Akupunkturnadeln in einer Hand.

Medizin

Akupunktur

Alternative Heilverfahren haben sich auch in Deutschland inzwischen durchgesetzt – wie die Akupunktur, die eine günstige und nebenwirkungsarme Behandlung verspricht.

Von Jochen Zielke

Lebensenergie fließen lassen

Nach Ansicht chinesischer Ärzte hilft Akupunktur bei einer Vielzahl von Krankheiten und lindert insbesondere die oft begleitend auftretenden chronischen Schmerzen. Akupunktur hat im Rahmen der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) eine jahrtausendealte Geschichte.

Oft wird Akupunktur im Verbund mit Heilkräutern, Massagen, Bewegungstherapie, Ernährungsberatung und Diät eingesetzt. Der Mensch wird als Ganzes gesehen und auch entsprechend behandelt.

Krankheiten sind nach der TCM Ausdruck einer gestörten Körperharmonie. Wenn die Energiekonzepte Yin und Yang sich nicht in einem harmonischen Gleichgewicht befinden, ist auch der Fluss der Lebensenergie Qi gestört. Das Ziel einer Akupunktur-Therapie ist es daher, die Lebensenergie Qi wieder ungehindert fließen zu lassen.

Mit Nadeln Blockaden lösen

Akupunktur soll körpereigene Regulationsmechanismen anregen und wiederherstellen, Selbstheilungskräfte stimulieren. Sie ist also eine Reiztherapie. Mit jedem Nadelstich wird nach der Theorie dem Körper Energie zugeführt oder abgezogen. Dadurch soll blockierte Qi-Energie an den Akupunkturpunkten wieder ungehindert fließen können.

Jeder Akupunkturpunkt kann bestimmten Organen oder Körperfunktionen – und damit auch Krankheitsbildern zugeordnet werden. Verschiedene dieser Punkte, die einem Organ zugeordnet sind, liegen auf sogenannten Meridianen. Sie verlaufen über den gesamten Körper.

Es gibt 14 Meridiane – oder auch Energiebahnen – mit 361 klassischen Akupunkturpunkten. Je nach Krankheitsbild oder -symptom werden Akupunkturnadeln entlang der betroffenen Meridiane gesetzt. Das soll Organe und Nerven direkt beeinflussen und das harmonische Energiegleichgewicht im Körper wieder herbeiführen.

Zwei nackte Menschen an denen Akupunktur-Punkte gezeigt werden.

Jeder Punkt kann bestimmten Organen zugeordnet werden

Erklärungsversuche bleiben lückenhaft

Seit etwa 40 Jahren findet die Akupunktur auch in der westlichen Welt immer mehr Anhänger. Neben niedergelassenen Ärzten bieten vor allem Schmerzambulanzen Akupunktur als Therapieform an.

Akupunktur ist heute zwar die am besten erforschte alternative naturheilkundliche Behandlungsform, birgt aber immer noch viele Rätsel. Nur lückenhaft können westliche Naturwissenschaften bisher die offensichtlichen Behandlungserfolge in der Schmerztherapie erklären, zu komplex scheint die Wirkung gesetzter Akupunkturnadeln auf das menschliche Nerven- und Hormonsystem zu sein.

Tatsächlich liegen die Endpunkte vieler Nervenbahnen an Akupunkturpunkten. Gemessen wurde bisher ein veränderter Hautwiderstand an gereizten Akupunkturpunkten. Die Reizbarkeit von schmerzkontrollierenden Nervenzellen soll sich verändern.

Außerdem wird eine Reflexwirkung diskutiert. Ein erkranktes Organ soll für Verspannungen und Durchblutungsstörungen in entfernt liegenden Muskel- und Hautpartien sorgen. Eine Akupunktur dieser Stellen soll auf das erkrankte Organ zurückwirken.

Und nicht zuletzt vermuten Wissenschaftler umfassende Wirkungen auf den Stoffwechsel von Nervenzellen, zum Beispiel auf die Freisetzung von schmerzlindernden morphinähnlichen, körpereigenen Botenstoffen (Endorphine).

Aber es kann auch sein, dass die Schmerzleitung unterbrochen wird, weil die Nervenzellen übererregt werden. Außerdem sollen die Immunzellen stimuliert werden.

Mehr als reine Schmerztherapie?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine Liste von etwa 100 Erkrankungen veröffentlicht, die sich für eine Akupunkturbehandlung anbieten. Von deutschen gesetzlichen Krankenkassen werden seit 2007 immerhin Akupunktursitzungen bei chronischen Rücken- und Knieschmerzen als Regelleistung bezahlt.

Mehrere Studien haben ergeben, dass die kleinen Stiche durchaus eine große Wirkung haben können – vor allem bei chronischen Schmerzen wie Migräne, Spannungskopfschmerzen und chronischen Rückenschmerzen.

Scheinbar lassen sich einige Krankheiten auch ursächlich behandeln – Akupunktur wäre demnach weit mehr als reine Schmerztherapie.

Hauptanwendungsgebiete für Akupunkturbehandlungen sind laut WHO: Kopfschmerzen, Migräne, chronische Rückenschmerzen, Rheuma, Asthma, Allergien, Bronchitis, aber auch Sucht-Entwöhnung wie zum Beispiel bei Nikotinsucht.

Allein der Glaube versetzt Berge

Kritiker meinen, dass weniger die Nadeln im Körper, sondern eher die Einbildungskraft der Patienten für kleine Wunder sorge. Akupunktur-Effekte seien von Placebo-Effekten kaum zu unterscheiden.

Tatsache ist: Nur wenige westlich angelegte Studien brachten bisher einen eindeutigen Wirkungsnachweis. Und solange für die Akupunktur nicht in allen qualifizierten Studien eindeutige Wirkungsmechanismen und -nachweise gezeigt werden können, wird dieser "westliche Makel" weiter auf der alternativen Behandlungsform lasten.

Es fragt sich allerdings auch, ob nicht die Symptomlinderung das Maß aller Dinge sein sollte. Und wenn diese auch nur indirekt oder teilweise über die Akupunktur erreicht wird, warum sollte man das fernöstliche Verfahren dann nicht ernster nehmen?

Für das Ausnutzen von Placebo-Effekten bei der chronischen Schmerzbehandlung sprechen sich mittlerweile viele Schmerzforscher aus. Nach neuesten Studien spielt die Psyche, die Schmerzverarbeitung im Gehirn, eine wichtige Rolle. Sie wird durch Erwartungen, Stress oder Suggestion stark beeinflusst.

Über das hormonelle und neuronale Systeme kann so auch das Schmerzerlebnis beeinflusst werden. Ärzte, Spritzen, Pflaster oder bedeutsam erscheinende bunte Pillen haben eine deutlich schmerzlindernde Wirkung. Bei technisch oder auch mystisch wirkenden Maßnahmen wie der Akupunktur sind solche Effekte ebenfalls beobachtet worden.

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Keine gravierenden Nebenwirkungen

Angst haben muss man vor einer Akupunkturbehandlung nicht, vorausgesetzt man findet einen qualifiziert ausgebildeten Akupunktur-Spezialisten. Standards setzt der Fortbildungsleitfaden "Akupunktur für Ärzte". Er sieht eine 350 Stunden umfassende Zusatzausbildung inklusive Prüfung vor der zuständigen Ärztekammer vor.

Leider wird Akupunktur aber auch oft von Personen angeboten, die nur Wochenendseminare hinter sich haben. In Schmerzambulanzen von Universitätskliniken dürfte man aber gut aufgehoben sein – Adressen für seriöse Akupunkturbehandlungen kann man auch über Ärztegesellschaften für Akupunktur erfragen.

Ernsthafte Nebenwirkungen sind bei der Akupunktur nicht zu erwarten. Berichtet wird stellenweise über kurzfristige Hautrötungen, Wärmegefühl, Kribbeln, Taubheit.

Das Fehlen von gravierenden Nebenwirkungen könnte im Hinblick auf die Schmerztherapie ein großer Vorteil sein. Statt Nebenwirkungen durch langfristige Medikamenteneinnahme in Kauf zu nehmen, lohnt es sich, auch einmal über eine begleitende Akupunkturtherapie nachzudenken und sich von Fachärzten beraten zu lassen.

Quelle: SWR | Stand: 25.05.2020, 14:51 Uhr

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