Deutsches Propaganda-Plakat aus dem Zweiten Weltkrieg mit der Aufschrift: "Feind hört mit!"

Verbrechen

Spione

Spione versuchen, Geheimnisse auszuspähen – aus wirtschaftlichen, militärischen oder politischen Gründen. Früher brauchten sie dafür vor allem schauspielerische Begabung, heute dagegen sind Organisationstalent, technisches Verständnis und Teamgeist gefragt.

Von Ingo Neumayer

Spionage in der Steinzeit

Das Wort Spionage geht auf das lateinische Wort "spicare" (ausspähen) zurück, allerdings gab es Spione schon lange vor der Römerzeit. Schon in der Steinzeit sollen sich konkurrierende Stämme beschattet haben, um geeignete Jagdgründe zu finden.

Auch in den frühen Schriften der meisten Kulturen wird Spionage erwähnt. Der Chinese Sunzi (um 500 vor Christus) widmet in seinem einflussreichen Werk "Die Kunst des Krieges" dem Thema ein ganzes Kapitel. Im Alten Testament schickt Moses Späher ins Feindesland nach Kanaan.

Alexander der Große nutzte beim Aufbau seines Weltreichs die Dienste von Spionen, die ihm Informationen über das persische Heer lieferten. Zudem ließ er die eigenen Truppen überwachen, um mögliche Aufrührer zu identifizieren.

Dem römischen Kaiser Julius Caesar wird der Ausspruch nachgesagt: "Ich liebe den Verrat, doch ich hasse den Verräter." Auch er vertraute in seiner Regierungszeit auf ein großes Netz aus Spähern und Spionen.

In der Spätphase des Römischen Reiches ändert sich das Bild: Waren es vorher hauptsächlich Kaufleute, die die Spionage als Nebentätigkeit betrieben, gibt es nun immer mehr hauptberufliche Spione, die sich als Händler tarnen.

Spionage spielte nicht nur im Militär schon früh eine Rolle, sondern auch in der Diplomatie. So sollen römische Gesandte um 440 nach Christus das Wissen ihrer Geheimdienste benutzt haben, um die anstürmenden Hunnen davon zu überzeugen, dass nicht die Römer ihr wahrer Feind seien, sondern die Nibelungen. Mit Erfolg: Die Nibelungen erlitten eine vernichtende Niederlage gegen die Hunnen.

Gemälde: Hunnisches Heer greift an.

Dank Spionage leiteten die Römer den Hunnen-Ansturm um

Spione im Mittelalter

Nicht nur militärische, sondern auch wirtschaftliche Geheimnisse waren schon früh das Ziel von Spionen. Der weltweite Handel mit Waren wie Gewürzen, Farbstoffen oder Stoffen wurde bedeutender. Viele Rohstoffe und Rezepte unterlagen strengen Bestimmungen; wer sie illegal ausführte, wurde oft mit dem Tod bestraft.

Dennoch gelang es immer wieder, Produktionsmonopole zu brechen. So schmuggelten 553 nach Christus zwei Mönche in ihren Wanderstäben Seidenraupen und Samen des Maulbeerbaums aus China nach Konstantinopel. Das Oströmische Reich konnte nun selbst die begehrte Seide anbauen, statt sie importieren zu müssen, und nahm viel Geld damit ein.

Im Ritterwesen des Mittelalters nahm die Bedeutung von Spionen ab. Ehre und Fairness standen bei Auseinandersetzungen und Kriegen im Mittelpunkt. Die wenigen Spione, die es gab, spähten Größe und Bewegungen des gegnerischen Heeres aus, ansonsten galten List und Täuschung als hinterhältig und verpönt.

Diese Einstellung änderte sich während der Kreuzzüge, als die christlichen Heere immer wieder in Hinterhalte gerieten. Im Spätmittelalter wurden dann wieder verstärkt Spione eingesetzt. Viele Staaten etablierten Geheimdienste, die im In- und Ausland spionierten.

Gewürzmarkt in Marokko.

Mittelalterliche Spione waren auf Gewürze scharf

Spione stützen die Machthaber

Seit der Neuzeit gehört Spionage in nahezu allen Staaten zum Repertoire der Informationsbeschaffung: Im England des 16. Jahrhunderts fingen Spione die Briefe der schottischen Königin Maria Stuart ab, die später ihr Todesurteil bedeuteten.

In Frankreich legte Kardinal Richelieu die Grundlage für den französischen Absolutismus durch ein weitreichendes Geheimdienstnetz, das der Feldherr Napoleon Bonaparte Anfang des 19. Jahrhunderts weiterentwickelte. Er ließ Dossiers zu allen wichtigen Persönlichkeiten seiner Zeit anfertigen, um herauszufinden, ob und wie sie erpressbar waren.

Auch die Presse wurde ausspioniert und kontrolliert. Zudem platzierte er einen Spion in den höchsten österreichischen Militärkreisen, dessen Wirken letztendlich zur Kapitulation Österreichs führte.

Doch am Ende schlugen ihn seine Gegner mit den eigenen Waffen: Die entscheidende Niederlage im belgischen Waterloo erlitten Napoleons Truppen, nachdem englische Spione die geheimen Marschrouten des französischen Heeres in Erfahrung gebracht hatten.

Gemälde Napoleon Bonaparte

Napoleons Erfolge hingen auch von Spionen ab

Im 19. Jahrhundert wurden Geheimdienste auch verstärkt im Inland eingesetzt. Nachdem der Wiener Kongress 1815 die Monarchie gestärkt hatte, gingen die Herrscher rigoros gegen revolutionäre Umtriebe in den eigenen Ländern vor. Das Spitzelwesen hatte Hochkonjunktur.

Auch nach der deutschen Reichsgründung durch Bismarck wurden politische Gegner beschattet und infiltriert. Besonders die sozialistischen Parteien hatten darunter zu leiden.

Technisierung im Kalten Krieg

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wandelten sich die Geheimdienste aufgrund neuer Informationstechnologien wie Telegraf, Telefon und Funkverkehr. Das Klischeebild vom heldenhaften Spion, der – vielleicht sogar verkleidet – im Lager des Feindes tätig ist, entsprach immer seltener der Wirklichkeit.

Die Spionage wurde technisiert und bürokratisiert; Regierungen richteten ganz offiziell Nachrichtendienste ein, die vertrauliche Informationen sammelten, einordneten und aufarbeiteten.

Nach dem Erfolg der Russischen Revolution 1917 waren die Geheimdienste zunehmend ideologisch geprägt. Den Höhepunkt bildete der Kalte Krieg zwischen 1945 und 1989, in dem sich die Westmächte unter Führung der USA und der von der Sowjetunion dominierte Ostblock gegenüberstehen.

Aufklärungssatelliten und Spionageflugzeuge kamen zum Einsatz, Telefonate und Funkkommunikation wurden abgehört. Zwar setzten die Geheimdienste weiter auf Aufklärung durch Personen ("Human Intelligence"), doch die Arbeit für Spione wurde durch die wachsenden Informationsmengen erschwert.

Es gelang kaum noch, eigene Agenten zu platzieren. Stattdessen versuchten beide Seiten, Verbindungsleute (auch V-Männer oder V-Leute genannt) in den Reihen des Gegners für sich zu gewinnen, manchmal versorgten auch Überläufer die Dienste mit Informationen.

Allerdings war die Verlässlichkeit in solchen Fällen oft fraglich. Immer wieder entpuppten sich V-Leute oder Überläufer als Doppelagenten, die weiter für ihr Herkunftsland tätig waren und Falschinformationen streuten.

Mehrere Männer stehen auf einer Brücke

In Berlin fanden im Kalten Krieg mehrere Agentenaustausche statt

Spionage im 21. Jahrhundert

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion orientierten sich die Geheimdienste neu. Statt eines klar sichtbaren Gegners gab es in der globalisierten Welt viele kleinere Organisationen, die überwacht wurden: Terroristen, organisierte Kriminelle, Verfassungsfeinde. Die Arbeit der Dienste ist transparenter geworden – nicht zuletzt, weil oft die Mitarbeit der Bürger gefragt ist, um auf die neuen Bedrohungen reagieren zu können.

Zudem tut sich neben Politik und Militär/Polizei ein dritter Bereich auf, in dem zunehmend spioniert wird: die Wirtschaft. Unternehmen versuchen Geschäftsgeheimnisse, Pläne und Knowhow der Konkurrenz auszuspähen, Produktpiraten kopieren Markenwaren. Zum Teil geschieht das auf eigene Faust, oft – wie zum Beispiel in China – steckt aber auch der Staat dahinter, der Spionage unterstützt, um seine Wirtschaft zu stärken.

Der Weg von Moses' Spähern bis zum modernen Hightech-Spion war weit, doch das Grundprinzip der Spionage ist gleich geblieben. Und mit ihm eines der Grundprobleme: die Kontrolle. Was im Geheimen passiert, wissen oft nur die Auftraggeber, die natürlich wenig Interesse daran haben, ihre Arbeit offenzulegen und unabhängigen Prüfungen zu unterziehen.

So findet Spionage auch heute noch weitgehend im rechtsfreien Raum statt. Deshalb gilt weiterhin: Ein Spion darf alles – außer sich erwischen lassen.

(Erstveröffentlichung 2010. Letzte Aktualisierung 12.08.2021)

Quelle: WDR

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