Verfassung in Deutschland
Geschichte des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht ist das oberste Gericht in Deutschland. Es sorgt für die Einhaltung und Durchsetzung der Grundrechte und sichert somit die Demokratie. Hier kann jeder Klage einreichen, wenn er oder sie sich in seinen Grundrechten beschnitten fühlt.
Von Sabine Kaufmann und Wiebke Ziegler
Der Gang nach Karlsruhe
Jeder, der sich in seinen Grundrechten verletzt fühlt, kann sich an die Verfassungsrichter in Karlsruhe wenden. Über eine Verfassungsbeschwerde hat jeder Bürger Zugang zum obersten deutschen Gericht.
Legendär ist der Fall eines Gefangenen, der mittels einer Postkarte seine Beschwerde vorbrachte. Er beklagte, dass seine Gefängniszelle zu klein sei, was gegen Artikel 1, die Menschenwürde, verstoße. Er bekam Recht.
Aber nicht jede Beschwerde hat Erfolg. Neben formalen Kriterien muss eine begründete Grundrechtsverletzung vorliegen. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet aber auch in Streitfällen zwischen dem Bund und den Ländern sowie zwischen obersten Bundesorganen und muss hinzugezogen werden, wenn ein Parteiverbotsverfahren eingeleitet werden soll.
Die Urteile der Verfassungsrichter sind endgültig und unanfechtbar. Im Zweifelsfall können sie sogar Gesetze für verfassungswidrig erklären, die bereits vom Bundestag verabschiedet wurden.
Gericht mit weitreichenden Kompetenzen
Die höchsten deutschen Gerichte
Als Konsequenz aus der Lehre, die man aus den Gräueln des Nationalsozialismus gezogen hatte, eröffnete Bundeskanzler Konrad Adenauer am 28. September 1951 das Bundesverfassungsgericht. Jeglicher Missbrauch der Verfassung sollte grundsätzlich unterbunden werden.
Ein Gericht, das den Bürger vor den Eingriffen des Staates schützte und dazu noch den Status eines Verfassungsorgans bekam, war in der deutschen Geschichte neu. Zwar kannte man bereits das Reichskammergericht von 1495 oder den Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich aus der Weimarer Zeit, aber über die weitreichenden Kompetenzen des heutigen Bundesverfassungsgerichts verfügten sie nicht.
Vielmehr regelten sie Streitigkeiten zwischen den einzelnen Staatsorganen. Das Reichsgericht, das man im Zuge der Deutschen Revolution 1848 vorgesehen hatte, nahm seine Arbeit nie auf und in der Verfassung des 1871 gegründeten Deutschen Reichs war überhaupt kein Verfassungsgericht vorgesehen.
Die Richter des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht besteht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richterinnen und Richtern, die anteilig vom Bundesrat und dem Bundestag gewählt werden.
Außerdem müssen sie mindestens 40 Jahre alt sein und die Qualifikation besitzen, ein Richteramt auszuüben. Ihre Amtszeit beträgt zwölf Jahre. Danach dürfen sie nicht wiedergewählt werden. Ihre Urteile fällen sie unabhängig von der Parteipolitik.
Nach spätestens zwölf Jahren ist Schluss
Was in Karlsruhe entschieden wird, sorgt oft für großes Aufsehen in der Politik und in der Gesellschaft. So zum Beispiel das "Kruzifix-Urteil" im Mai 1995: Das Bundesverfassungsgericht hob damals ein bayerisches Schulgesetz auf, wonach ein Kreuz in jedem Grundschul-Klassenzimmer hängen sollte.
Auch die "Tucholsky-Entscheidung" 1995 sorgte für viel Empörung. 1931 hatte Kurt Tucholsky in einer Glosse den Satz geschrieben: "Soldaten sind Mörder". Mehrfach stand dieser Ausspruch daraufhin in der Kritik, da er die Reichsarmee beziehungsweise später die Bundeswehr beleidigt haben soll.
Die Klage ging schließlich bis zum Bundesverfassungsgericht, das 1995 ein Urteil fällte: Es ist nicht verboten, zu behaupten, dass Soldaten Mörder sind. Eine solche Behauptung ist entsprechend der Meinungsfreiheit in Deutschland zulässig.
Weniger spektakulär und von der Öffentlichkeit nicht so wahrgenommen, dafür aber umso folgenreicher, ist das "Awacs-Urteil" aus dem Jahr 2008. Die Bundesrepublik darf sich demnach in internationalen Verbänden engagieren und deutsche Soldaten können fortan im Ausland eingesetzt werden.
Das Bundesverfassungsgericht schützt die im Grundgesetz festgeschriebenen Rechte
Immer wieder sind auch Einzelpersonen vor dem BVerfG erfolgreich, wie etwa bei dem Urteil über die Pendlerpauschale. Ein süddeutsches Ehepaar erstritt ein Urteil, von dem Millionen anderer Pendler in Deutschland profitieren.
Das Gesetz, das eine Steuerbegünstigung erst ab dem 20. Kilometer vorsah, verstieß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Denn entweder hätte niemand eine Steuererleichterung bekommen dürfen oder alle. Wie schon viele Male zuvor kippte das Bundesverfassungsgericht ein bereits beschlossenes Gesetz.
2013 entschieden die Verfassungsrichter, dass die Ungleichbehandlung von gleichgeschlechtlichen Ehepartnern beim Ehegattensplitting verfassungswidrig ist. Schwule und lesbische Ehepaare können nun genau wie heterosexuelle Ehepaare von den steuerlichen Vergünstigungen profitieren. Dieses Urteil hat weitreichende Folgen für die soziale Gleichberechtigung von Homosexuellen.
(Erstveröffentlichung 2010. Letzte Aktualisierung 26.09.2019)
Quelle: SWR/WDR