Karl der Große

01:39 Min. UT Verfügbar bis 27.09.2027 Von Robert Schotter, Claudio Como


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Mittelalter

Karl der Große

Seit 1200 Jahren versuchen die Nationen, Karl den Großen für sich zu vereinnahmen. War er nun Deutscher, Franzose oder gar Vater Europas? Weder noch. Denn Nationalstaaten wie heute gab es um 800 noch nicht. Karl war der erste abendländische Kaiser des Mittelalters.

Von Sabine Kaufmann

Herkunft

Selbst wenn es im 8. Jahrhundert schon Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Belgien gegeben hätte, wüsste man nicht, welcher Nationalität der spätere Kaiser zuzurechnen wäre. Denn wo und selbst wann genau Karl geboren wurde, darüber scheiden sich die Geister.

Als Geburtsjahr wird häufig das Jahr 747 angegeben. Wahrscheinlich ist, dass Karl in einer der vielen Residenzen, die sein Vater Pippin zwischen der Loire und dem Rhein besaß, das Licht der Welt erblickte.

Über seine Kindheit und Jugend ist nichts bekannt, so berichtet es zumindest Karls Biograf Einhard. Der Geistliche brachte 15 Jahre nach dem Tod des Frankenkönigs das Leben Karls zu Papier. Einhards Biografie ist die wichtigste Quelle, die heutige Historiker nutzen, um Karls Taten und Wirken zu beschreiben.

Was bekannt ist: Karl der Große stammte aus dem Geschlecht der Karolinger, das auf Karl Martell zurückgeht, den Großvater des späteren Kaisers. Die Karolinger gehörten wie verschiedene andere Familiengeschlechter zum Frankenreich. Die fränkische Königskrone beanspruchte bis ins 8. Jahrhundert das Geschlecht der Merowinger.

Unter der merowingischen Dynastie versahen die Karolinger das Amt des "Hausmeiers", des "major domus". Der Hausmeier war der oberste Amtsträger im merowingischen Königreich, der für den königlichen Haushalt und die Landgüter zuständig war.

Karls Vater Pippin, der auch die militärische Befehlsgewalt und die finanziellen Befugnisse an sich gerissen hatte, brachte in seiner Position als Hausmeier das fränkische Reich immer stärker unter seine Kontrolle. Bis zur endgültigen Machtübernahme fehlte nur noch ein winziger kühner Schritt.

Den tat Pippin im Jahr 751: Er schickte den letzten Merowingerkönig Childerich ins Kloster und setzte sich selbst die fränkische Königskrone aufs Haupt.

Kriege

Nach dem Tod seines Vaters teilte sich Karl zunächst die Herrschaft mit seinem Bruder Karlmann. Als auch dieser 771 starb, wurde Karl der Große zum alleinigen Herrscher der Franken.

Das Frankenreich erstreckte sich damals vom heutigen Thüringen über Friesland bis zur französischen Atlantik-Küste. Um sein Reich an den Grenzen zu festigen, führte Karl jahrelang einen Mehrfrontenkrieg.

Im Süden kämpfte er auf der Seite von Papst Hadrian I. gegen die Langobarden, besiegte deren letzten König Desiderius und verleibte sich dessen Königstitel ein. An der Westgrenze gelang es Karl nach mehrmaligen Feldzügen über die Pyrenäen, die dort ansässigen Mauren zu schlagen.

Das ihnen abgerungene Territorium nördlich des Flusses Ebro verwandelte er gemäß der kaiserlichen Verwaltungssprache in eine "Spanische Mark".

Am längsten hielten die Sachsen – ein westgermanischer Volksstamm, der sich vehement der Christianisierung widersetzte – den Frankenkönig im Nordosten des Reiches in Atem. Am Anfang der Sachsenkriege stand die Zerstörung der Irminsul im Jahr 772. In diesem heidnischen Baumheiligtum vermuteten die Sachsen die Weltsäule, die das Himmelsgewölbe trug.

Karl sah sich in den folgenden Jahren einem Gegner gegenüber, der eine Art Guerillakrieg gegen seine Truppen führte. Die kleinen Scharen der Sachsen verschanzten sich immer wieder in den Sümpfen und Wäldern Norddeutschlands und überfielen die übermächtigen Franken aus dem Hinterhalt.

Immer wieder drangen Karls Truppen auf sächsisches Gebiet vor und gründeten Ansiedlungen wie die Karlsburg, das heutige Paderborn. Indem Karl das eroberte Gebiet entvölkerte und viele Sachsen, vor allem aus den Führungsschichten der Stammesgesellschaften, in sein Reich deportierte, gelang es ihm schließlich die Sachsenstämme zu schlagen und das Land östlich und westlich der Weser zu besetzen.

Doch erst nach einem letzten Aufstand im Jahr 804 war der sächsische Widerstand vollends gebrochen.

Karl der Große Unterwerfung der Sachsen

Unterwerfung der Sachsen

Kaiserkrönung

Auf dem Höhepunkt seiner Macht erstreckte sich Karls Reich von der Nordsee bis nach Mittelitalien, von den Pyrenäen bis ins heutige Ungarn. Er war der mächtigste Mann in Europa, doch Karl wollte mehr. Er sah sich selbst als legitimer Nachfolger der römischen Kaiser, krönen konnte ihn jedoch nur der Papst.

Papst Leo III. befand sich 799 in einer prekären Lage. Er musste sich in Rom einer starken Opposition erwehren, die ihn wegen seines unsittlichen Lebenswandels aus dem Amt vertreiben wollte. Der Papst sollte geblendet und ihm die Zunge herausgeschnitten werden. Er floh nach Paderborn, um Karl um Hilfe zu bitten. Dort fiel die Entscheidung: Karl verlangte im Gegenzug für seine Unterstützung die Kaiserkrone.

An Weihnachten im Jahr 800 zog Karl in Rom ein und empfing die kaiserliche Salbung. Das Kaisertum vollendete nun Karls Machtanspruch im Herzen Europas.

Bereits zwei Jahre zuvor hatte Karl das Kaisertum angestrebt und in Kooperation mit dem oströmischen Kaiserreich Byzanz vorbereitet. Bis dato war die byzantinische Kaiserin Irene die legitimierte Nachfolgerin des untergegangenen Römischen Reiches gewesen.

Die Krönung Karls des Großen

Krönungszeremonie in Rom

In einer erst kürzlich entdeckten Quelle heißt es, dass 798 ein byzantinischer Gesandter dem Frankenkönig ein Schriftstück der Kaiserin überbracht habe, in dem die Kaiserin Irene Karl den gleichberechtigten Anspruch auf das "Römische Imperium" gewährte.

In der Quelle steht auf Latein "Imperium traditurum" – zu Deutsch: "das Imperium soll übergeben werden". In Konstantinopel gingen sogar Gerüchte um, fränkische Diplomaten hätten eine Hochzeit zwischen Karl und Irene vereinbart.

Die byzantinische Führungsklasse lehnte jedoch jede Annäherung der beiden Reiche ab. Kaiserin Irene wurde abgesetzt und verbannt, auch weil eine Frau nach römischem Recht nicht das Oberkommando des Heeres haben konnte.

Ihr Nachfolger Nikephoros I. erkannte Karls Kaisertitel nur widerwillig an. Fortan einigte man sich auf die Koexistenz zweier römischer Reiche innerhalb der christlichen Welt.

Die in Rom vollzogene Krönungszeremonie bestätigte Karls Führungsrolle in der lateinischen Kirche und seine Vormachtstellung über den Papst. In einer zeitgenössischen Quelle des irischen Priesters Cathwulf heisst es: "... denn du (Karl) stehst hier an Gottes Stelle, damit du über alle Kinder seines Volkes wachst und sie regierest... der Bischof von Rom dagegen steht an zweiter Stelle."

Innenpolitische Reformen

Karl war nicht nur ein erfolgreicher Feldherr und Außenpolitiker, sondern er krempelte sein Reich auch innenpolitisch um. Zu den Grundpfeilern seiner Macht gehörte die Grafschaftsverfassung. Die verschiedenen Stämme in seinem Reich sollten durch ein einheitliches Verwaltungssystem vereint werden.

Karl setzte einen Grafen als Stellvertreter des Königs in einem bestimmten Gebiet ein, der die oberste Befehlsgewalt hatte und Karl direkt unterstellt war. Als Gegenleistung erhielt der Beamte ein Lehen, er wurde rechtmäßiger Eigentümer von Grund und Boden in dem Gebiet. Boten überbrachten den verantwortlichen Grafen die Anweisungen Karls des Großen. Zudem hatten die Boten die Aufgabe, die Grafen zu kontrollieren.

Karl band sowohl die Boten als auch die Grafen mittels eines Treueeides an sich. Außerdem setzte er Vasallen ein, die ihm zum Kriegsdienst verpflichtet waren und die für ihren Dienst mit einer Grundherrschaft, Ländereien oder anderen Würden entlohnt wurden. Es gab etwa 1000 Familien, die als Vasallen im Dienste Karls standen.

Im Rahmen der Kirchenverfassung organisierte Karl die Erzbistümer neu und vollzog eine Bildungsreform in den Klöstern, die den allgemeinen Bildungsstandard der Christen verbessern sollte. In St. Gallen und auf der Insel Reichenau im Bodensee wurden Klosterschulen gegründet, in denen neben jungen Mönchen auch auswärtige Schüler unterrichtet wurden.

Stiftskirche des Klosters Sankt Gallen

In St. Gallen wurde eine Klosterschule gegründet

Kulturelle Blüte

Unter der Federführung Karls des Großen kam es in Dichtung, Bildung und Baukunst zu einem kulturellen Aufschwung. Der Frankenkönig versammelte viele Gelehrte um sich. Der Hof wurde zum Zentrum geistiger Gelehrsamkeit, von dem viele reformerische Impulse ausgingen.

Im Rahmen der klösterlichen Bildungsreform hatten viele Mönche nicht nur Lesen und Schreiben gelernt, sondern sie wurden auch dazu verpflichtet, Handschriften systematisch zu sammeln und Bücher zu kopieren. Antike, überwiegend weltliche Handschriften wurden abgeschrieben und blieben so der Nachwelt erhalten.

Die Herstellung der Buchkopien hatte auch erheblichen Einfluss auf die Schrift: Die Einführung einer vereinfachten einheitlichen Schriftart, der karolingischen Minuskel, erleichterte das Lesen und Schreiben.

Neben der neuen Schrift führte Karl der Große auch eine einheitliche Währung ein: Er ließ Münzen mit einem erhöhten Silberanteil prägen, die für den gesamten Handel bis in den Orient Gültigkeit besaßen.

Karls Tod und das Ende seines Reiches

Schon zu Lebzeiten führte Karl den Titel "der Große". Im Herzen Europas hatte er das größte Reich nach dem Untergang des Römischen Imperiums unter sich vereinigt und konnte auf eine außergewöhnlich lange Regierungszeit von 46 Jahren zurückschauen.

Für mittelalterliche Begriffe hatte er ein sehr hohes Alter erreicht, was ihn nicht davon abhielt, seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen – dem Jagen.

Im Herbst 813 erkältete er sich bei einem Jagdausritt in den Ardenner Wäldern. Der Kaiser war gezwungen, in seiner Aachener Kaiserpfalz das Bett zu hüten, doch das Fieber ging nicht zurück.

Als auch noch eine Lungenentzündung hinzukam, hatte Karls ausgelaugter Körper keine Widerstandskraft mehr. Am 28. Januar 814 starb der Kaiser in Aachen. Sein Sohn Ludwig der Fromme war der einzige legitime Erbe, der seinen Vater überlebte. Um die Machtübergabe zu erleichtern, hatte Karl ihn bereits zu Lebzeiten zum Mitregenten erhoben.

Die Größe des Frankenreiches, die es unter Karl dem Großen erreicht hatte, bestand nach seinem Tod nur noch etwa 20 Jahre lang. Im Vertrag von Verdun 843 wurde das Reich unter den drei Enkeln Karls, die ihren Vater Ludwig den Frommen beerbten, aufgeteilt. Entsprechend der fränkischen Erbfolge hatte jeder männliche Nachkomme den Anspruch auf einen gleichgroßen Teil des väterlichen Erbes.

Karl der Kahle erhielt den westlichen Teil des Reiches von den Pyrenäen bis zum Fluss Schelde im heutigen Belgien. Ludwig dem Deutschen wurde der östliche Teil von Schleswig-Holstein bis Bayern zugesprochen. Lothar wurde Herrscher über das dazwischen liegende Gebiet von den Niederlanden und Belgien über Teile des heutigen Ostfrankreich bis zur Schweiz und Mittelitalien.

Ein ähnlich großes Reich wie das von Karl dem Großen hat es in Mitteleuropa nie wieder gegeben.

Quelle: SWR | Stand: 09.02.2021, 14:09 Uhr

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