Auf der Suche nach verschollenen Kunstwerken

03:44 Min. Verfügbar bis 07.02.2025

Tatort Kunst

Raubkunst

Zahllose Kunstliebhaber mussten unter dem Druck der Nazis ihre Bilder weit unter Wert verkaufen, oder die Gemälde wurden direkt beschlagnahmt. Nach dem Krieg wurde das Problem der Raubkunst jahrzehntelang ignoriert – und bleibt bis heute ein heikles und hochumstrittenes Thema.

Von Anette Kiefer

Raubkunst ist nicht gleich Beutekunst

Das Prinzip der Beutekunst ist simpel: Wenn der Krieg gewonnen ist, nimmt sich der Sieger, was er will – das war schon nach den Schlachten des Altertums gang und gäbe. Im Dreißigjährigen Krieg etwa erbeuteten die Schweden beim "Prager Kunstraub" die gesamten Schätze der Prager Burg, und Napoleon nahm sich 1806 kurzerhand die Quadriga vom Brandenburger Tor als Andenken mit nach Paris.

Doch die Raubkunst stellt einen Spezialfall der Geschichte dar: Während des Nazi-Regimes mussten zahllose Kunstsammler aus Deutschland fliehen – vor allem Juden, aber auch politisch Verfolgte.

Wer blieb, durfte oft seinen Beruf nicht mehr ausüben und kam deshalb schnell in finanzielle Schwierigkeiten. Andere wurden verhaftet, viele davon ermordet. Ihren Besitz – und damit auch ihre Kunstwerke – mussten die meisten entweder zurücklassen oder weit unter Wert verkaufen.

Deshalb verstehen die Juristen heute unter "Raubkunst" alle Kunstwerke, die aufgrund der NS-Herrschaft unrechtmäßig in Besitz genommen wurden. Und der Internationale Militärgerichtshof verurteilte die Raubkunst schon 1945 als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".

Hitler vor geraubten Gemälden.

Hitler vor geraubten Gemälden

Das Problem ist bis heute groß

Das Ausmaß der Raubkunst ist riesig. Schätzungsweise 600.000 Kunstwerke wurden zwischen 1933 und 1945 von den Deutschen in ganz Europa gestohlen oder für erzwungene Spottpreise erworben. Bis heute gilt ein großer Teil davon als verschollen. Vermutlich hängen viele Werke versteckt in privaten Sammlungen oder unerkannt in öffentlichen Museen.

Experten vermuten, dass sich noch mehr als 100.000 Exemplare unrechtmäßig in fremden Händen befinden. Ronald Lauder, der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, nannte die geraubten Kunstwerke deshalb "die letzten Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs".

Der Widerstand der Besitzer

03:42 Min. Verfügbar bis 07.02.2025

Hin und wieder tauchen Einzelstücke in Auktionshäusern auf und können dann nach vielen Jahrzehnten an die Erben ihrer früheren Besitzer zurückgegeben werden. Das Land Berlin sorgte 2006 für Aufsehen, als es die "Berliner Straßenszene" von Ernst Ludwig Kirchner an die Erbin des jüdischen Kunstsammlers Alfred Hess zurückgab – und dafür von vielen Seiten heftig kritisiert wurde, weil das Bild von der Familie damals freiwillig verkauft worden sei und daher nicht zur Raubkunst gehöre.

Besonders spektakulär war die Entdeckung, die Zollfahnder 2012 bei Cornelius Gurlitt machten: In der Münchener Wohnung des Kunstliebhabers fanden die Ermittler fast 1300 Kunstwerke, die Gurlitt von seinem Vater geerbt hatte. Der war als Kunsthistoriker von Adolf Hitler persönlich beauftragt worden, Kunstwerke für das geplante "Führermuseum" und andere Galerien des Deutschen Reichs zusammenzutragen – auch aus beschlagnahmten Beständen jüdischer Sammler.

Allerdings konnten nur wenige Werke, die 2012 bei Cornelius Gurlitt gefunden wurden, zweifelsfrei als Raubkunst identifiziert werden: zum Beispiel das "Klavierspiel" von Carl Spitzweg und "Zwei Reiter am Strand" von Max Liebermann. Bis 2021 wurden alle 14 Objekte, die wahrscheinlich Raubkunst waren, den Erben der ursprünglichen Besitzer zurückgegeben.

Collage Gurlitt-Sammlung.

Die Gurlitt-Sammlung sorgte für Aufsehen

Späte und zögerliche Aufklärung

Heftig kritisiert wurde die Bundesregierung für ihre zögerliche Aufklärung im Fall Gurlitt. Zwei Jahre lang habe etwa die Staatsanwaltschaft Augsburg keine Anstrengungen unternommen, die potenziellen früheren Besitzerfamilien zu kontaktieren, berichten Medien. Der Jura-Professor Volker Rieble von der Ludwig-Maximilians-Universität München nannte die Beschlagnahmung der Bilder unrechtmäßig und eine "Pervertierung der Rechtsstaatlichkeit".

Die Juristin Sabine Rudolph, die sich auf Raubkunst spezialisiert hat, fordert daher: Die Gerichte müssten endlich klar festlegen, welche Pflichten Auktionshäuser und Kunsthändler beim Verkauf von Gemälden hätten, die vor 1945 entstanden.

Ein Provenienzforscher hält ein Gemälde von Lovis Corinth hoch

Raubkunst oder nicht? Oft verliert sich die Spur in den Wirren des Weltkriegs

Denn der ernsthafte und umfassende Versuch, das Schicksal der Raubkunst-Werke aufzuklären, hat erst spät begonnen. Ein halbes Jahrhundert lang war das Thema weitgehend ignoriert worden – bis 1998 mit der "Washingtoner Erklärung" der Stein ins Rollen kam. Sie besagt, dass sich die Regierungen der betroffenen Länder verpflichten, den rechtmäßigen Erben entweder die Kunstwerke zurückzugeben oder sie finanziell dafür zu entschädigen.

Auch das "Art Loss Register", die weltweit größte Datenbank für Raubkunst, kann inzwischen bei der Suche helfen und hat einige Erfolge verzeichnet. Privatsammler allerdings betrifft die Washingtoner Erklärung nicht: Für sie gilt nur die gesetzliche Verjährungspflicht von 30 Jahren, danach gehören die Kunstwerke allein ihnen.

Besitz oder Eigentum – die rechtliche Situation

01:29 Min. Verfügbar bis 07.02.2025

(Erstveröffentlichung: 2014. Letzte Aktualisierung: 18.05.2021)

Quelle: WDR

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