Zwei Geiger spielen in den Straßen von Budapest.

Budapest

Roma in Budapest

Die Roma sind mit rund sechs Prozent der Bevölkerung nicht nur die größte Minderheit in Ungarns Hauptstadt Budapest, sondern auch die ärmste.

Von Eva Mommsen

Geschichte der Roma in Ungarn

Wer an Ungarn denkt, der hat sofort die Geigenklänge der Csárdás-Musik im Ohr, die von ungarischen Roma-Ensembles gespielt werden. So wie die sogenannte "Gypsy-Musik" sind auch die Roma nicht aus der ungarischen Gesellschaft wegzudenken.

In Ungarn erschienen die ersten Roma laut historischen Quellen im 15. und 16. Jahrhundert. Sie waren vor den türkischen Truppen geflohen und kamen meist vom Balkan. Zu dieser Zeit verdienten sie ihren Lebensunterhalt mit handwerklichen Arbeiten, aber auch als Tänzer, Künstler und Musiker.

Dass sie nicht sesshaft waren und sich in die bestehende Gesellschaft nicht integrieren wollten, war nicht ungewöhnlich für die Zeit und wurde toleriert. Doch nach der türkischen Herrschaft versuchte die österreichische Habsburger-Monarchie, sie einzugliedern.

Kaiserin Maria Theresia und ihr Sohn Joseph II. erließen Mitte und Ende des 18. Jahrhunderts mehrere Verordnungen, um die Roma zu Ungarn zu machen. Eheschließungen wurden eingeschränkt und den Roma wurden Kinder weggenommen, um sie in ungarischen Familien zu erziehen.

1783 wurde ihnen sogar der Gebrauch ihrer Sprache verboten. Das Vorhaben war – aus Sicht des Staates – zum Teil erfolgreich und führte dazu, dass viele Roma ihre Kultur aufgaben und sesshaft wurden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen aber neue Einwanderer nach Ungarn, die sich bis heute dagegen wehren, ihre Kultur aufzugeben.

Gemälde von Kaiserin Maria Theresia.

Maria Theresia erließ strenge Verordnungen

Das dunkle Kapitel der Verfolgung

Anfang des 20. Jahrhunderts entbrannte in Ungarn erneut die Diskussion um die nicht sesshaften Roma. Eine Polizei- und Seuchenverordnung, die sich vor allem gegen diese Bevölkerungsgruppe richtete, führte zur Unterdrückung der Minderheit. Unter anderem sollten den Roma Pferde und Waffen abgenommen werden, um sie dazu zu zwingen, sich niederzulassen.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde unter der deutschen Besatzung aus Unterdrückung Völkermord. Zu Tausenden wurden die ungarischen Roma in Konzentrationslager gebracht und ermordet. Offizielle Zahlen gibt es nicht, aber die Schätzungen variieren zwischen 5000 und 30.000 Todesopfern.

Die Probleme der Roma nach der Wende

Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte die kommunistische Partei, die Roma zwangsweise in die Gesellschaft zu integrieren. Mit Wohnprojekten und besonderer Ausbildungsförderung hatte die ungarische Führung in Budapest sogar Erfolg.

In dieser Zeit stieg das Bildungsniveau, 85 Prozent der Roma hatten eine geregelte Arbeit und ihre Siedlungen verschwanden durch den Bau neuer Wohnungen.

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989/90 endete diese Entwicklung. Die Bauindustrie und der Bergbau gerieten in die Krise, Hilfsarbeiter wurden nicht mehr gebraucht. Die Bevölkerungsgruppe der Roma wurde zur ärmsten des Landes. Die meisten Familien waren auf Sozialhilfe angewiesen und leben bis heute davon.

Eine geregelte Arbeit finden die Roma in Budapest kaum. Überdurchschnittlich viele haben keine Ausbildung und sind Analphabeten. Die Öffnung des Eisernen Vorhangs veränderte die Budapester Gesellschaft. Besitz wurde wichtig – und die Verlierer des Systemwechsels waren die Roma.

Die Vorurteile gegen sie und die Diskriminierung erlebten zu dieser Zeit eine neue Hochphase. Gängige Vorurteile waren und sind bis heute: Die Roma seien nicht integrationswillig, sie seien meist arm, lebten am Rande der Gesellschaft und unterschieden sich auch äußerlich von "normalen" Ungarn.

Roma-Frau vor einer halb zerfallenen Baracke.

Ärmste Bevölkerungsgruppe des Landes

Das neue Minderheitengesetz bietet eine Chance

1993 reagierte die Politik auf die zunehmende Verarmung der Roma und deren wachsende Diskriminierung. Denn die ungarische Führung erkannte die Roma als Wahlklientel. Es wurde ein Minderheitengesetz verabschiedet, das erneut deren Integration fördern sollte, aber diesmal auf einem völlig anderen Weg.

Das Gesetz funktioniert nach dem Prinzip der "positiven Diskriminierung": Die Minderheit behält ihre Autonomie. Die Politik versucht eine Integration gar nicht erst, aber sie fördert die Roma finanziell. So können die Roma ihre kulturellen Eigenarten beibehalten.

Seither gibt es in vielen Vierteln Budapests, die einen hohen Roma-Anteil haben, eigene Roma-Delegierte in den Stadtteilverwaltungen. Die Roma haben Etats, eine Selbstverwaltung sowie Geld für Aufklärungskampagnen und Kulturprogramme.

Das hat einiges für die Roma in Budapest bewirkt, denn sie haben jetzt zumindest eine eigene Stimme.

Die Gypsy-Musik der Roma stirbt aus

Die Gypsy-Musik war noch vor einigen Jahrzehnten überall in Budapest zu hören. In mehr als 60 Lokalen wurde die ungarische Volksmusik Csárdás von den Roma gespielt.

Heute verbannen viele Restaurants die Kapellen aus ihren Läden, die Touristen fühlen sich durch sie gestört und die Besitzer wollen Geld sparen. So spielen die großen Künstler oft auf der Straße, auch die des berühmten 100-köpfigen Gypsy-Orchesters. In der Innenstadt verdienen sie sich ein paar Euro als Straßenmusiker.

Eine in der Welt einzigartige Schule kämpft in Budapest unermüdlich gegen den Untergang der Gypsy-Musik. An der Egressy Béni Music Middle School unterrichten berühmte Lehrer wie András Suki den Nachwuchs.

Nur die Besten werden hier aufgenommen, aber in Ungarn finden sie auch nach der strengen Ausbildung keine Arbeit. Sie gehen in die berühmten Orchester in New York, London oder Tokio. In Budapest ist ihre Musik heute nicht mehr populär.

Eine Vier-Mann-Kapelle spielt in einem Restaurant.

Viele Restaurants verbannen die Roma-Ensembles

(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 27.05.2020)

Quelle: WDR

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