Hochwasser in Venedig

Planet Wissen 02.08.2023 03:35 Min. UT Verfügbar bis 22.10.2026 WDR

Venedig

Hochwasser in Venedig

Seit langer Zeit kämpft Venedig mit dem Hochwasser. Weil der Meeresspiegel steigt und der sandige Untergrund jedes Jahr weiter absackt, droht Venedig im Meer zu versinken. Das aufwendige und umstrittene Projekt "Mose" soll die Stadt retten.

Von Josefine Fehr

Wasserkomitee schon im 16. Jahrhundert

Mehrmals im Jahr ist Venedig, die "Perle der Adria", nicht nur vom Wasser umgeben. Dann wird das Wasser der Lagune, das der Stadt einst Macht und Einfluss garantierte, plötzlich zum Fluch: Die historischen Plätze werden zu kleinen Seen, die Gassen unpassierbar, Keller und untere Stockwerke laufen voll und das Leben wird mühsam in Venedig.

Schon seit Jahrhunderten versuchen die Venezianer, ihre Stadt vor dem Wasser zu retten. Immer wieder kam es im Laufe der Geschichte zu Überschwemmungen und Hochwasser – doch lange nicht so häufig wie heute.

Schon im 16. Jahrhundert war den Venezianern bewusst, dass das Überleben ihrer Stadt vom Zustand der Lagune abhing. Man gründete ein "Wasserkomitee", das zum Beispiel die Aufgabe hatte, die Versandung der Lagune aufzuhalten.

Um das zu erreichen, starteten die Ingenieure ein gigantisches Bauprojekt: Die Flüsse Sile, Brenta und Piave auf dem Festland wurden so umgeleitet, dass Sand und Schlick nicht mehr in die Lagune gespült wurden. Noch heute verlaufen die Flüsse in den Betten, die damals ausgehoben wurden.

Um die Stadt vor den Wassermassen der Adria zu schützen, baute man außerdem Wehre und Dämme an der dem Mittelmeer zugewandten Seite der Stadt, die Lagune und Meer bis heute trennen. Allerdings konnte man die Lagune nicht vollständig vom Meer abschotten, da der Austausch des Wassers zwischen Meer und Lagune für das Ökosystem enorm wichtig ist. Nur so können die Abwässer der Stadt ins offene Meer abfließen.

Da von der Industrie auch chemische Abwässer in die Lagune geleitet werden, würde diese ohne den natürlichen Wasseraustausch in kürzester Zeit verseucht werden. So ließ man drei Öffnungen in den Begrenzungen, durch die Ebbe und Flut ungehindert strömen konnten.

Die bisherigen Maßnahmen reichen heute nicht mehr aus, um die Stadt vor Überschwemmungen zu schützen. Klimaforscher rechnen mit zunehmend häufigeren und schlimmeren Hochwassern. Nach ihren Berechnungen könnte Venedig in 50 Jahren ein Drittel des Jahres unter Wasser stehen.

Photocrom von 1890: Blick über Venedig und Wasser

Venedig ist vom Wasser umschlossen

Das Wasser steigt, der Boden sinkt

Schuld am Hochwasser ist aber nicht nur der Klimawandel und der damit verbundene Anstieg der Meeresspiegel. Problematisch ist auch, dass der Boden der Inseln, auf denen Venedig erbaut wurde, unter dem gewaltigen Gewicht der Bauwerke nachgibt.

So kommt es, dass Venedig nicht nur ertrinkt, sondern gleichzeitig versinkt. Einige Millimeter im Jahr sinkt der Boden unter der Stadt in die Lagune – in den vergangenen 100 Jahren insgesamt um 23 Zentimeter.

In den 1960er-Jahren wurde dieser Prozess verstärkt: Zu diesem Zeitpunkt siedelten sich auf dem Festland in den Stadtteilen Mestre und Marghera Industriebetriebe an. Da die Industrie einen enormen Bedarf an Süßwasser hatte, begann man, Grundwasser aus dem Boden unter der Lagune abzupumpen. Das führte dazu, dass der sandige Boden verstärkt absackte und die Stadt mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 14 Millimetern im Jahr in der Lagune versank.

Erst Ende der 1960er-Jahre erkannte man das Problem und begrenzte die Grundwasserentnahme. So konnte der Prozess verlangsamt werden. Heute sacken nur in jüngerer Zeit bebaute Bereiche ab – um ein bis zwei Millimeter pro Jahr. Doch das Problem ist nicht behoben.

Besorgniserregend ist auch, dass die Zahl der Wasserpflanzen in der Lagune durch die Wasserverschmutzung stark zurückgegangen ist. Diese Pflanzen sind jedoch für das biologische Gleichgewicht in der Lagune wichtig, da sie der Erosion entgegenwirken und den Untergrund festigen. So sichern sie den Erhalt der Sandbänke.

Touristen auf dem Markusplatz, Restaurantstühle stehen im Wasser

Viele Faktoren führen dazu, dass die Zahl der Überschwemmungen steigt

Gummistiefel in jedem Haushalt

Vor allem im Herbst und im Winter steigen die Pegel in Venedig. Die meteorologischen Beobachtungszentren können ungefähr 24 Stunden im Voraus vor Hochwasser warnen. Die Stadtverwaltung informiert dann die Bevölkerung durch Hinweise in den Zeitungen und Schilder an den Anlegestellen.

Das "Acqua alta" überflutet zuerst den niedrig gelegenen Markusplatz. Früher stand er oft nur zum Teil unter Wasser, heute aber übersteigt das Wasser des Öfteren die kritische Marke von 1,10 Meter. Dann stehen auch in den übrigen Vierteln der Stadt die historischen Palazzi im Nassen.

Ist absehbar, dass diese Situation eintritt, ertönen drei bis vier Stunden zuvor Sirenen. Dann werden nach einem genau festgelegten Plan Stege in der ganzen Altstadt befestigt, die dafür sorgen sollen, dass die Stadt auch weiter zu Fuß begehbar bleibt.

Die Venezianer haben gelernt, mit dem Hochwasser zu leben. Bei "Acqua alta" schützen Blechbarrieren die Eingänge und auch die schicksten Venezianerinnen steigen dann beherzt in ihre Gummistiefel. Im Kampf gegen den steigenden Wasserspiegel werden Fußböden und Gehwege seit Jahrhunderten schichtweise erhöht. Ewig fortsetzen lässt sich dieses Vorgehen gegen nasse Füße aber nicht.

Menschen gehen auf einem Steg über einen überfluteten Platz

Stege und Gummistiefel gegen Hochwasser

"Mose" soll Venedig retten

Das bisher schlimmste Hochwasser erlebte Venedig im Jahr 1966. Damals stiegen die Pegel auf 194 Zentimeter über Normalnull. Zahlreiche Stiftungen zur Rettung der Stadt wurden ins Leben gerufen, die Unesco schaltete sich ein und es wurden große Summen für den Erhalt von Baudenkmälern und historische Stätten sowie für Forschungsprojekte gestiftet.

Um die Stadt in Zukunft vor Hochwasser zu schützen, entwickelten Experten das Projekt "Modulo Sperimentale Elettromeccanico", abgekürzt "Mose": An den drei Eingängen zur Lagune sollen riesige Stahlkästen die Fluten der Adria fernhalten. Fünf Meter dick, 20 Meter breit und bis zu 30 Meter hoch sollen die Kästen sein, die in Betonfundamenten verankert werden. Bei normalen Wasserständen liegen die Stahlkolosse – so der Plan – am Meeresgrund verborgen.

Sobald der Wasserspiegel auf einen Meter über Normal steigt, wird computergesteuert Luft in die Kästen gepresst. Dadurch richtet sich die künstliche Mauer auf und Venedig wird vom offenen Meer abgeriegelt.

Insgesamt sollen für "Mose" 79 dieser gigantischen Fluttore auf einer Gesamtlänge von anderthalb Kilometern installiert werden. Im Jahr 1996 billigte die damalige Regierung das Projekt, 2003 wurde mit den Bauarbeiten begonnen.

Bauarbeiten in der Lagune von Venedig. Mehrere Kräne stehen im Wasser.

Die Bauarbeiten für "Mose" haben begonnen

Kontroverse Diskussion

Doch "Mose" stößt nicht nur auf Zustimmung: Vor allem die immensen Kosten, gerechnet wird mit mindestens sechs Milliarden Euro, werden kritisiert. Dabei sind sich die Experten über die Wirksamkeit des Hightech-Projekts nicht einig. Besonders Umweltschützer sind skeptisch. Sie befürchten schlimme Auswirkungen für das Ökosystem der Lagune.

In Venedig gibt es keine künstliche Abwasserentsorgung. Würden die Tore über einen längeren Zeitraum geschlossen, könnten die Abwässer nicht mehr von der Lagune ins offene Meer abfließen. Da die Industrie auch chemische Abwässer in die Lagune leitet, könnte diese in kurzer Zeit verseucht werden.

Die Planer von "Mose" argumentieren mit der relativ kurzen Dauer des Hochwassers, das selten länger als einige Tage dauert. Ihrer Ansicht nach müssten für einen dauerhaften Schaden in der Lagune die Fluttore mehrere Wochen geschlossen werden.

Im Jahr 2022 soll "Mose" abgeschlossen werden. Doch obwohl die Bauarbeiten im Gange sind, dauert der Streit um das Projekt an. Einig sind sich aber sowohl Experten als auch Bürger der Stadt, dass Sandsäcke, Blechbarrieren und Stege auf Dauer nicht ausreichen, um Venedig vor dem Ertrinken zu retten.

(Erstveröffentlichung: 2007. Letzte Aktualisierung: 28.10.2019)

Quelle: WDR

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