Villa Hammerschmidt, seit 1950 Amts- und Wohnsitz des Bundespräsidenten; seit 1994 Zweitwohnsitz

Nordrhein-Westfalen

Bonn

Bonn am Rhein hat eine einzigartige Geschichte: Mehr als 40 Jahre lang war die kleine Gemeinde von 1949 bis 1991 die vorläufige Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland.

Von Annette Holtmeyer

Ein Provinznest als Hauptstadt

Frankfurt oder Bonn? Das war 1949 die Frage, als nach dem Zweiten Weltkrieg eine provisorische deutsche Hauptstadt gesucht wurde – ein Platzhalter, in dem nur so lange regiert werden sollte, bis sich die politische Lage im besetzten Deutschland verändert hätte und Berlin wieder Hauptstadt werden könnte.

Frankfurt, das sich schon seit jeher als heimliche Hauptstadt fühlte und mit seiner Infrastruktur sowie der günstigen Lage am Schnittpunkt der westlichen Besatzungszonen punkten konnte, galt als Favorit. Allerdings befürchteten viele, was Berlins erster Regierender Bürgermeister Ernst Reuter aussprach: "Wenn Frankfurt Hauptstadt wird, wird es Berlin nie wieder".

Solche Ängste schürte die damals 100.000 Einwohner zählende Kleinstadt Bonn nicht – im Gegenteil: Gerade ihre Bescheidenheit sprach nach dem Größenwahnsinn der Nationalsozialisten für sie. Entscheidender war aber wohl die Tatsache, dass sich Bonn schon 1948 als Sitz des Parlamentarischen Rates bewährt hatte.

Dass der Bundestag Bonn am 3. November 1949 mit 200 gegen 176 Stimmen zur vorläufigen Hauptstadt wählte, hatte die Stadt vor allem ihrem Fürsprecher Konrad Adenauer zu verdanken. Immer wieder musste er sich gegen den Vorwurf wehren, er habe sich für Bonn stark gemacht, weil es nahe bei seinem Wohnort Rhöndorf lag.

Die Bonner jedenfalls freuten sich riesig über die Wahl – zumindest berichtet die Stadtgeschichte, dass sie das große Ereignis feucht-fröhlich gefeiert hätten.

Das Foto zeigt eine Schwarzweiß-Aufnahme von Konrad Adenauer aus dem Jahr 1949. Er blickt ohne zu lächeln im Halbprofil in die Kamera.

Adenauer kämpfte für die Hauptstadt Bonn

Regierungszeiten – die Welt blickt nach Bonn

"Bonn ist halb so groß wie der Zentralfriedhof von Chicago, aber doppelt so tot", lästerte der amerikanische Schriftsteller John le Carré über die damalige deutsche Hauptstadt. Und auch im Inland wurde das "Bundesdorf" lange Zeit belächelt und verspottet.

Ungeachtet dessen wurde die Stadt als Regierungssitz ausgebaut: Nach dem Auswärtigen Amt, dem Bundespostministerium oder dem Bundespresseamt entstand 1969 der so genannte "Lange Eugen" – das 29 Stockwerke hohe Abgeordnetenhochhaus, das damals Bonns höchstes Gebäude war und zum Wahrzeichen der Stadt wurde.

Der Dienstsitz der UN in Bonn befindet sich im ehemaligen Abgeordnetenhaus, auch "Langer Eugen" genannt.

Der "Lange Eugen" war Bonns Wahrzeichen

Neben diesen eher funktionalen neuen Gebäuden nutzte die Regierung aber auch die vorhandenen Prachtbauten wie die Villa Hammerschmidt, die noch heute zweiter Amtssitz des Bundespräsidenten ist, oder das Palais Schaumburg als Sitz des Bundeskanzlers.

Bei den Bonnern sorgten vor allem die anfangs noch ungewohnten Staatsbesuche für Aufsehen: von der iranischen Kaiserin Soraya (1955) über Präsident John F. Kennedy (1963) und dem spanischen Königspaar Juan Carlos und Sofia (1977) bis hin zum französischen Präsidenten François Mitterand (1987).

Wenn die Politprominenz zum Eintrag ins Goldene Buch im Alten Rathaus gebeten wurde, war der Marktplatz regelmäßig voller jubelnder Menschen.

Eindruck bei der Bevölkerung hinterließen aber auch die Großdemonstrationen. Im Jahr 1981 kamen 300.000 Menschen in die Hauptstadt, um sich "Für Frieden und Abrüstung" stark zu machen.

Jahrzehntelang wurde die Stadt Bonn im In- und Ausland in erster Linie als Regierungssitz wahrgenommen – erst das Doppeljubiläum 1989 "40 Jahre Hauptstadt" und "2000 Jahre Bonn" sorgte dafür, dass Bonn seine Vorzüge als historisch gewachsene Stadt mit inzwischen internationalem Flair ins rechte Licht rücken konnte.

So ist es fast Ironie des Schicksals, dass im gleichen Jahr mit dem Fall der Mauer die Weichen für den Wegzug der Regierung gestellt wurden.

Bonn, 1973. Berthold Beitz (rechts) und Leonid Breschnew (Politiker, Generalsekretär, KPdSU, UdSSR) anlässlich dessen Staatsbesuches. In der Mitte Willy Brandt.

1973 kam Breschnew zu Besuch

Die zweite Hauptstadtdebatte – Entscheidung für Berlin

Am 20. Juni 1991 kurz vor 22 Uhr verkündete Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth das für Bonn niederschmetternde Abstimmungsergebnis des Bundestages. Mit 320 Stimmen für Bonn und 338 für Berlin stand fest: Allen Protesten gegen die Vergeudung von Steuergeldern zum Trotz zieht die Regierung nach Berlin.

Die Stadt an der Spree war seit dem 3. Oktober 1990, dem Tag der Wiedervereinigung, wieder offiziell deutsche Hauptstadt. Die Mehrheit der Bonner reagierte entsetzt, verängstigt und wütend. Als der damalige Bonner Oberbürgermeister Dr. Hans Daniels bei einer öffentlichen Rede die Bürger dazu aufforderte, dennoch nach vorne zu blicken, brüllte ihm die Menge aufgebracht entgegen: "Ja, wie denn?"

Viele fürchteten angesichts der Entscheidung um ihren Arbeitsplatz, sahen schwarz für die Wirtschaft und die Gastronomie. In der Sommerpause 1999 war es dann soweit: Im Abgeordnetenhochhaus "Langer Eugen", in den Landesvertretungen und Botschaften wurden Koffer und Kisten gepackt, Umzugsunternehmen fuhren mit Sattelschleppern vor, Abschiedsfeste wurden gefeiert und die Regierung sagte Bonn Adieu.

Auf dem Foto sieht man viele Menschen mit Plakaten gegen den Umzug demonstrieren. Auf den Plakaten kann man unter anderem 'Umzug ist Unfug' und 'Umzugswahn legt Rheinland lahm' lesen.

In Bonn kam der Regierungsumzug nicht gut an

Die Bundesstadt – "Boomtown" mit Zukunft

Auch wenn Bonn auf eine Zukunft als Regierungssitz im wiedervereinten Deutschland gehofft hatte – die Bonner Stadtväter hatten sich auf eine negative Entscheidung des Bundestages offenbar gut vorbereitet. Bereits wenige Tage nach dem Beschluss vom 20. Juni 1991 legten sie ein Konzept zum Strukturwandel der Region vor, mit dem sich die Bundesregierung größtenteils einverstanden zeigte.

1994 wurde das Bonn-Berlin-Gesetz beschlossen und Bonn zur "Bundesstadt" erklärt. In dem Vertrag wurde unter anderem festgeschrieben, dass sechs Bundesministerien ihren Hauptsitz in Bonn behalten, der größte Teil der Arbeitsplätze der Ministerien erhalten bleiben muss und 21 Bundesämter von Berlin und Frankfurt nach Bonn umziehen.

Dass der Ausbau der Region als Standort für Wissenschaft und Kultur gelungen ist, dazu haben auch die Ausgleichsgelder für Bonn und die Region von 1,43 Milliarden Euro wesentlich beigetragen. Mit dem Geld wurden unter anderem mehrere Fachhochschulen, Forschungseinrichtungen sowie ein Wissenschaftsprojekt gegründet; 51 Millionen Euro flossen in den Kulturbereich.

Wirtschaftlich profitiert die Bundesstadt vor allem davon, dass sich mit der Telekom und der Post gleich zwei Global Player niedergelassen und viele Tausend Arbeitsplätze geschaffen haben. Zu dieser Entwicklung passt auch die Tatsache, dass der 2002 fertiggestellte Post-Tower mit 41 Stockwerken und 162,5 Metern Höhe nicht nur das höchste Bürogebäude in Nordrhein-Westfalen ist, sondern auch das neue Wahrzeichen der Stadt.

Und nicht zuletzt hat sich Bonn einen Namen als erste UN-Stadt Deutschlands gemacht. 18 Organisationen der Vereinten Nationen und 150 international tätige Institutionen und Nicht-Regierungsorganisationen haben ihren Sitz in der Bundesstadt.

Telekom in Bonn

Die Telekom schuf in Bonn neue Arbeitsplätze

(Erstveröffentlichung: 2006. Letzte Aktualisierung: 17.08.2020)

Quelle: WDR

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