Mehrere große Steinfiguren stehen auf einem Hügel.

Chile

Rapa Nui – die Insel der mysteriösen Steinfiguren

Mitten im Pazifik liegt eine der Hauptattraktionen Chiles: die Osterinsel oder Rapa Nui. Sie ist bekannt für ihre immensen Steinfiguren, genannt Moai. Wie diese Statuen gebaut wurden, ist nur eines der vielen ungelösten Rätsel der Insel.

Von Hernán J. Martín

Isoliert vom Rest der Welt

Es ist das Jahr 1722, ein niederländisches Expeditionsschiff durchkreuzt den Südpazifik. Mehrere tausend Kilometer vom südamerikanischen Festland entfernt rufen die Seeleute plötzlich: "Land in Sicht!". Forschungsleiter Jacob Roggeveen notiert das Datum: Es ist der 5. April, Ostersonntag. Er nennt seine Entdeckung daher kurzum "Osterinsel".

Die indigenen Bewohner wissen bis heute wenig mit diesem Namen anzufangen. Sie nennen ihre Insel "Rapa Nui" sowie ihr Volk und ihre Sprache "Rapanui". Der Name stammt von den Vorfahren der indigenen Bevölkerung, die polynesische Seefahrer waren. Das neu entdeckte Land erinnerte sie an eine ihrer Heimatinseln, Rapa Iti (Kleines Rapa). Sie nannten es daher Rapa Nui (Großes Rapa).

Die Osterinsel oder Rapa Nui ist aus einem Vulkan entstanden und gerade einmal so groß wie Liechtenstein. Das Auffälligste sind die monströsen Steinfiguren, die die Küste zieren. Die Einheimischen nennen sie "Moai", was so viel heißt wie "steinerne Figur".

Historisches Foto, das die Ureinwohner der Osterinsel zeigt.

Die indigene Bevölkerung der Osterinsel heißt Rapanui

Lange Zeit war die Osterinsel von der Außenwelt abgeschnitten. Zwar gehört die Insel seit 1888 politisch zu Chile, sie ist aber so weit vom Festland entfernt, dass Geografen sie bereits zu Polynesien zählen. Forscher und Touristen konnten sie lange Zeit nur durch eine mehrwöchige Schifffahrt erreichen.

Das änderte sich plötzlich, als die chilenische Regierung in den 1980er-Jahren einen Flugplatz errichten ließ. Reisende aus aller Welt kamen, um die meterhohen Statuen zu sehen. Der Tourismus ist seitdem die wichtigste Einnahmequelle der Insel. Der Nationalpark Rapa Nui gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe.

Heute leben die Nachfahren der indigenen Bevölkerung, Festland-Chilenen und weitere Einwanderer aus dem Ausland auf der Osterinsel. Die meisten von ihnen wohnen in der Hauptstadt Hanga Roa. Laut der aktuellen Zählung von 2017 hat die Osterinsel insgesamt knapp 8.000 Einwohner.

Damit hat sich die Bevölkerung seit 2002 mehr als verdoppelt. Hinzu kommen mehr als 100.000 Touristen, die jährlich die Insel besuchen. Einheimische betrachten diese Entwicklung mit einem kritischen Auge. Sie befürchten, dass die Umwelt und die begrenzten Ressourcen der kleinen Insel darunter leiden. Die lokalen Behörden planen daher, die Zahl der Touristen und Einwanderer in Zukunft zu begrenzen.

Die Entdeckung der Osterinsel (am 05.04.1722)

WDR ZeitZeichen 05.04.2022 14:52 Min. Verfügbar bis 05.04.2099 WDR 5


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Verlust von Kultur und Wissen

Seit der Entdeckung der Osterinsel interessieren sich Forscher für die geheimnisvolle Kultur der Rapanui. Sie gehen davon aus, dass Seeleute von den Marquesas-Inseln im heutigen Französisch-Polynesien ihre Vorfahren sind. Die Polynesier kamen rund 600 nach Christus mit ihren Booten auf die Insel und brachten Tiere und verschiedene Gemüsesorten mit. Sie ließen sich auf der Osterinsel nieder und betrieben Landwirtschaft.

Ein Mann namens Ariki Mau wurde der König des neuen Volks. Er hatte sowohl die politische als auch die religiöse Macht über die abgelegene Insel. Schritt für Schritt entwickelte sich aus den polynesischen Vorfahren die Kultur und Sprache der Rapanui.

Im Laufe der Jahre bildeten sich zehn verschiedene Gruppen, die unterschiedliche Regionen der Insel vereinnahmten und kontrollierten. Jeder Stamm baute große Figuren aus Vulkangestein, womöglich um ihren Vorfahren zu ehren: die berühmten Moai, die bis heute die Osterinsel prägen.

Historisches Foto, das die Ureinwohner der Osterinsel und Europäer zeigt.

Die ersten Europäer kamen 1722 auf die Osterinsel

Historiker schätzen, dass die Kultur zu Beginn des 17. Jahrhunderts ihre Hochphase erlebte. Bis zu 17.500 Menschen lebten zu der Zeit auf der Insel. Wissenschaftler vermuten, dass dieser Bevölkerungsüberschuss der Grund für den Untergang der Kultur war. Die Stämme fingen an, um die knappen Ressourcen der Insel zu kämpfen. Während dieser Kriege rissen sie die Statuen der jeweils rivalisierenden Gruppen nieder. Sie glaubten, dass sie so die spirituelle Energie und damit den Status der anderen Gruppe schwächen konnten.

Als ein spanisches Expeditionsschiff im Jahr 1770 (knapp 50 Jahre nach der Entdeckung durch die Holländer) auf die Insel kam, zählten die Seeleute nur 3.000 Einwohner. In den darauffolgenden Jahren besuchten europäische Wissenschaftler immer wieder die Insel und stellten fest, dass die Rapanui jedes Mal mehr Steinfiguren umgeworfen hatten. In der Mitte des 19. Jahrhunderts lagen alle 900 Moai auf dem Boden. Die Bevölkerung schrumpfte nicht nur, weil sich die gegnerischen Stämme bekämpften. Die Europäer brachten Sklaven mit, die wiederum Krankheiten wie die Pocken auf der Insel verbreiteten. Am Tiefpunkt der Rapanui, am Ende des 19. Jahrhunderts, waren nur noch 100 von ihnen übrig.

In dieser Phase ging viel Wissen über das Volk und ihre Kultur verloren. Denn es verstarben auch Ariki Henua, das letzte Stammesoberhaupt, die Moari, Hüter der religiösen Bräuche und die Tangata Rongo Rongo, die in der Lage waren, die Schriftzeichen zu lesen. Zudem kamen seit der Entdeckung immer wieder Missionare auf die Insel, die die katholische Religion verbreiteten und zum Verlust der religiösen Bräuche der Rapanui führten.

Die Moai: bis heute ein Rätsel für Archäologen

Im 20. Jahrhundert haben sich Archäologen bemüht, die Kultur der Rapanui zu rekonstruieren. Sie konnten viele der Steinfiguren wiederaufrichten und restaurieren. Zu ihrer Überraschung sahen sie dabei, dass es sich bei den Statuen nicht nur um Köpfe handelt. Die Figuren sind viel größer als angenommen und haben einen Körper, der im Laufe der Jahrzehnte von Erde bedeckt worden war. Insgesamt messen sie zwischen acht und elf Metern – das ist so hoch wie ein zweistöckiges Wohnhaus.

Außerdem fanden die Forscher heraus, dass die Moai auf Plattformen standen, die die Rapanui "Ahu" nennen. Diese fungierten als Begräbnisstätte für die Stammesführer. Und: Einige Moai tragen einen weiteren, zylinderförmigen Stein auf dem Kopf, genannt "Pukao".

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Rapanui diese Art Spezial-Hüte nutzten, um die wichtigsten Steinfiguren zu kennzeichnen. Eine andere Theorie geht noch weiter und besagt, dass die Bewohner sie den Figuren während der Stammeskämpfe aufgesetzt haben, um Macht zu symbolisieren. Momentan gibt es rund 60 Moai mit Pukao – und rund 30 auf der Insel verstreute Pukao ohne Besitzer.

Acht Steinfiguren unterschiedlicher Höhe stehen nebeneinander.

Der zweite Moai von rechts war besonders wichtig: Er trägt einen sogenannten Pukao

Das Gestein für die Figuren stammt vom Vulkan Rano Raraku im Osten der Insel, in dessen Krater Archäologen rund 300 halbfertige Moai gefunden haben. Wie die Rapanui die Moai gebaut und – noch wichtiger – wie sie die 25 Tonnen schweren Statuen transportiert und auf der ganzen Insel verteilt haben, konnten die Wissenschaftler jedoch bislang nicht entschlüsseln.

Um diese Frage zu beantworten, hat ein Team der California State University ein Experiment mit einer Nachbildung eines Moai durchgeführt. Drei Gruppen von Menschen gelang es die Statue mithilfe von Seilen zu transportieren, indem sie sie von einer Seite zur anderen kippten (Link zum Video siehe unten).

Auch auf die Frage, warum die Bewohner die Statuen errichteten, gibt es verschiedene Antworten. Eine weit verbreitete Theorie ist, dass die Rapanui sie gebaut haben, um ihren Vorfahren zu ehren. Einige Wissenschaftler sprechen ihnen außerdem eine Schutzfunktion zu, da ein Großteil der Statuen mit dem Rücken zum Meer gerichtet war. Die Forscher nehmen an, dass die Bewohner sie so positioniert haben, um sich vor Eindringlingen zu schützen.

Eine weitere Studie aus dem Jahr 2019 verbindet die Standorte der Moai mit dem Vorhandensein von Süßwasser, einem seltenen Gut auf der Insel. Die Forscher vermuten, dass die Moai den Nachfahren die natürlichen Ressourcen der Insel zeigen sollten.

(Erstveröffentlichung 2021. Letzte Aktualisierung 01.02.2021)

Quelle: WDR

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