Lago Onelli mit Gebirgskette im Nationalpark Los Glaciares in Argentinien

Südamerika

Argentinien

Kein anderes Land in Südamerika ist so sehr von Europäern geprägt wie Argentinien. Das zweitgrößte Land des Kontinents ist seit der Ankunft der Spanier im 16. Jahrhundert ein beliebtes Ziel für europäische Auswanderer.

Von Tobias Aufmkolk

Auf der Suche nach dem "Silberland"

Argentinien ist damals für die meisten Europäer noch ein weißer Fleck auf der Landkarte, als die Spanier schon große Teile des südamerikanischen Kontinents beherrschen. Sie beuten in großem Stil die Goldminen in Peru aus und verschiffen das Edelmetall ins Heimatland.

Doch das ist ihnen nicht genug. Sie vermuten immense Silbervorkommen im südlichen Teil des Kontinents. Also macht sich ein Schatzsucher nach dem nächsten auf, um diese Reichtümer zu erschließen. Auch der Name "Argentinien" weist auf diese Hoffnung hin: Er leitet sich ab von dem lateinischen Wort für Silber, "argentum".

Nach erfolglosen Expeditionen der Seefahrer Juan Diáz de Solís (1516) und Sebastián Caboto (1526) macht sich 1536 der spanische Admiral Pedro de Mendoza mit einer 1500 Mann starken Besatzung auf, die sagenhaften Silberschätze endgültig zu bergen. Er gründet das Fort "Nuestra Señora del Buen Ayre" ("Unsere Heilige Jungfrau von der guten Luft"), den Vorläufer des heutigen Buenos Aires.

Gründung von Buenos Aires (am 02.02.1536)

WDR ZeitZeichen 02.02.2021 14:49 Min. Verfügbar bis 03.02.2099 WDR 5


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Doch Mendoza schließt bald Bekanntschaft mit kriegerischen Eingeborenen. Sie belagern das Fort und hungern die Europäer aus. Bald darauf verlässt der Admiral Südamerika und lässt 500 Spanier im Fort zurück. Diese ernähren sich in den nächsten Jahren mühsam von Ackerbau und Viehzucht, bis die spanische Krone 1541 die Auflösung der Siedlung veranlasst.

Blick durch Kakteen auf einen lehmfarbenen spanischen Befestigungsturm.

Argentinien ist spanisch geprägt

Vom Schmugglernest zum Vizekönigreich

Da es am Río de la Plata offenbar keine reichen Silbervorkommen gibt, ist das Interesse der Spanier an einer weiteren Besiedlung erst einmal erlahmt. Der südamerikanische Kontinent wird von Peru und Bolivien aus regiert. Die atlantische Seite spielt nur eine untergeordnete Rolle.

Erst 1580 gründet Juan de Garay Buenos Aires ein zweites Mal, um einen Handelsstützpunkt am Atlantik aufzubauen. Doch die Stadt kann ihre Standortvorteile nicht nutzen, da die spanische Krone den freien Außenhandel verbietet. Sie will keinen großen Aufwand betreiben, um die Schiffe auf der atlantischen Route vor Piratenüberfällen zu schützen.

Doch gerade dieses Handelsverbot macht die Stadt in der Folgezeit reich. Buenos Aires wird zum Schmuggelzentrum ersten Ranges.

Da die spanische Krone den Schwarzhandel nicht wirkungsvoll unterbinden kann, strukturiert sie ihre komplette Kolonialverwaltung in Südamerika um. 1776 wird Buenos Aires die Hauptstadt des neuen Vizekönigreichs Río de la Plata, das sich vom heutigen Bolivien bis nach Paraguay und Uruguay erstreckt.

Die Stadt erlebt einen enormen wirtschaftlichen Boom. Und auch das Land boomt. Riesige Ländereien werden von reichen Familien aus Buenos Aires erschlossen, um im großen Stil Ackerbau und Viehzucht zu betreiben.

Zahlreiche braune Rinder in der weiten Ebene Argentiniens.

Die Viehzucht begründet Argentiniens Reichtum

Abnabelung von Spanien

Durch den wirtschaftlichen Aufschwung werden die Bewohner des Vizekönigreichs immer selbstbewusster, die Bevormundung durch das ferne Spanien wird ihnen immer lästiger.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ergreifen sie die Gelegenheit, den Einfluss des Mutterlandes zu brechen. In Europa herrscht zu diesem Zeitpunkt Krieg. Der spanische König Carlos IV. kämpft an Napoleons Seite gegen die Engländer und verliert dabei fast seine gesamte Seestreitmacht.

Als die Engländer 1806 vor Buenos Aires stehen, kann und will der spanische König der Stadt nicht helfen. In zwei entscheidenden Schlachten schaffen es die Argentinier jedoch, die Engländer zurückschlagen.

Dieser Erfolg bestätigt sie, sich auch gegen die Spanier zu erheben. 1810 setzen sie den Vizekönig ab und entmachten sämtliche spanischen Beamten. Doch es dauert noch sechs Jahre, bis sich auf einer Versammlung in der Stadt Tucumán die Argentinier auch offiziell von Spanien lossagen.

Gemälde von der Versammlung in Tucumán. Rechts und links stehen Männer, die Hüte in die Luft halten und damit abstimmen. Im Hintergrund ein Pult, über dem die argentinische Nationalflagge hängt.

In Tucumán sagt sich Argentinien von Spanien los

Der Weg in die Unabhängigkeit

Die Bildung eines einheitlichen argentinischen Staates ist von vielen Machtkämpfen begleitet. Auf der einen Seite stehen die liberalen Unitarier, die Argentinien als einheitlichen Staat mit Buenos Aires als zentralem Dreh- und Angelpunkt wollen. Auf der anderen Seite stehen die konservativen Föderalisten, die starke eigenständige Provinzen bevorzugen.

Es kommt zum Bürgerkrieg, in dem sich ein Provinzgouverneur durch besondere Brutalität hervortut: Juan Manuel de Rosas. Der selbstherrliche Diktator hält sich dank seiner Geheimpolizei "Mazorca" mehr als 20 Jahre an der Macht.

In dieser Zeit führt er unter anderem einen erbarmungslosen Krieg gegen die einheimische Bevölkerung und vergrößert das Territorium Argentiniens um ein Vielfaches. Viel fruchtbares Land steht nun wenigen Familien aus der Oberschicht zur Verfügung.

Erst 1852 kann ein anderer Gouverneur, Justo José de Urquiza, Rosas stoppen. Urquiza beruft ein Jahr später eine Versammlung aller Provinzgouverneure ein. Die auf dieser Versammlung verabschiedete Verfassung ist bis heute in ihren Grundzügen gültig.

Doch aufgrund der Rivalitäten dauert es noch neun Jahre, bis der Einheitsstaat perfekt ist. Die Unitarier setzen sich 1862 endgültig durch, erster Präsident Argentiniens wird Bartolomé Mitre.

Schwarz-Weiß-Zeichnung von Bartolomé Mitre im Anzug.

Bartolomé Mitre wird erster Präsident des Landes

Das goldene Zeitalter

Argentinien ist nun innenpolitisch gefestigt. Eine lange Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs beginnt. Immer mehr Einwanderer aus Europa zieht es in das Land nach Südamerika. Doch die Einwanderer bleiben vorwiegend in den großen Städten.

Im Gegensatz zu den USA dürfen sie in Argentinien kein Land erwerben. Das bleibt wenigen einflussreichen Familien vorbehalten. Und die Landnahme dieser Familien geht immer weiter. Ende des 19. Jahrhunderts unterwirft General Julio Argentino Roca die letzten einheimischen Völker im Süden des Landes, nimmt deren Weidegründe in Besitz und erweitert das argentinische Territorium bis nach Patagonien.

In der Folgezeit verdient Argentinien sehr gut an den Exporten landwirtschaftlicher Produkte. Während und nach dem Ende des Ersten Weltkriegs blüht der Handel mit dem wirtschaftlich ausgebluteten Europa. Argentinien ist zu diesem Zeitpunkt eines der zehn reichsten Länder der Erde.

Doch durch die Weltwirtschaftskrise 1929 fallen die Rohstoffpreise in den Keller. Argentiniens Wirtschaft gerät ins Taumeln und mit ihr auch die Politik.

Im Vordergrund ein roter Laubwald, im Hintergrund der schneebedeckte Berg Fitz Roy im Nationalpark Los Glaciares in Patagonien.

Der Staat annektiert immer mehr Land

Die Ära Perón

In den 1930er-Jahren putscht in Argentinien erstmals das Militär. Es folgen wechselnde, mäßig erfolgreiche Militärregierungen, bis Juan Domingo Perón die politische Bühne betritt. Zusammen mit seiner charismatischen Frau Evita gelingt es ihm, die zahlreichen Arbeiter auf seine Seite zu ziehen und sich 1946 demokratisch zum Präsidenten wählen zu lassen.

Neun Jahre hält er sich an der Macht, doch die zahlreichen Wohlfahrts- und Sozialprogramme kosten zu viel Geld. 1955 wird er aus dem Amt gejagt, es beginnt eine Zeit der Unsicherheit und des Terrors. Konservative Militärregierungen und linke Guerillatruppen bekämpfen sich bis aufs Blut.

1973 kehrt der übermächtig scheinende Perón aus dem spanischen Exil zurück und wird erneut zum Präsidenten gewählt. Er stirbt jedoch bald darauf und seine dritte Ehefrau María Estela Martínez de Perón übernimmt die Präsidentschaft. Innerhalb kurzer Zeit wirtschaftet sie das Land herunter, bis das Militär 1976 erneut putscht.

Evita und Juan Perón Arm in Arm.

Evita und Juan Perón

Militärdiktatur und Wirtschaftskrise

Die folgenden acht Jahre gehen als "Proceso" (der Prozess) in die argentinische Geschichte ein. Die Diktatoren lassen mehr als 30.000 Menschen verhaften, entführen und ermorden. Eine ganze Generation von Linken, Intellektuellen und Andersdenkenden wird Opfer eines systematischen Staatsterrors. Doch nach dem verlorenen Falklandkrieg gegen Großbritannien gibt die Diktatur 1983 überraschend auf.

Das Militär hinterlässt der neuen demokratischen Regierung ein politisch, moralisch und vor allem wirtschaftlich zutiefst zerrüttetes Land. Mit verschiedenen Mitteln versuchen die demokratischen Regierungen in der Folgezeit, die Wirtschaft und die immensen Auslandsschulden in den Griff zu bekommen – doch niemand hat das entsprechende Erfolgsrezept.

2001 ist Argentinien quasi bankrott. Der Zorn des Volkes entlädt sich in Plünderungen und Straßenschlachten. Nur mühsam gelingt es dem von 2003 bis 2007 regierenden Präsidenten Nestor Kirchner, die Wirtschaft in einigermaßen ruhiges Fahrwasser zu bringen.

(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 08.03.2020)

Quelle: WDR

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