Auf dem Bild sieht man verschiedene Putzmittelflaschen und bunte Schwämme.

Forschung

Chemie im Alltag

Die Chemie hat ein Imageproblem: Sofort assoziiert man Wörter wie "giftig" und "künstlich". Dabei steckt Chemie überall im Alltag. Egal, ob wir ein Frühstücksei kochen, uns die Haare färben, putzen oder backen.

Von Franziska Badenschier

Chemie im Körper

Selbst unser Körper ist ein vielseitiges Chemie-Labor: Ganz natürlich laufen hier ständig chemische Prozesse ab. Im Mundspeichel zum Beispiel gibt es das Enzym Alpha-Amylase: Es spaltet die Kohlenhydrate von Brot in seine Zuckermoleküle – deswegen schmeckt Brot nach längerem Kauen süß.

Im Zwölffingerdarm zerlegt die Gallenflüssigkeit Fette aus der aufgenommenen Nahrung. Außerdem werden zahlreiche Körperfunktionen von Hormonen gesteuert, und die sind letztlich auch nur chemische Substanzen. Insulin zum Beispiel senkt den Blutzuckerspiegel, das Wachstumshormon Somatotropin verlängert Knochen und Östrogen lässt Eizellen reifen.

Chemie in der Küche

Doch schon bevor wir mit dem Verdauen anfangen, ist in der Küche jede Menge Chemie im Spiel: Das Frühstücksei wird nur hart, weil das kochende Wasser das Eiweiß gerinnen lässt.

Der Käse auf dem Frühstücksbrötchen ist das Endprodukt zahlreicher chemischer Prozesse vom Pasteurisieren der ursprünglichen Milch über die Arbeit von Milchsäurebakterien oder Schimmelpilzen bis hin zum Salzbad, Reifen und Konservieren.

Und wenn sich so mancher Hobbykoch daran versucht, einen Hauch von Nichts zum Abendessen zu kredenzen, dann ist er ein wahrhaftiger Chemiker: Die Molekulare Küche brachte Pipetten und Petrischalen von den Laboren in die Luxus-Restaurants dieser Welt und von dort in die heimischen Küchen.

Molekularer blauer Kaviar auf einem Servierlöffel

Auch Hobbyköche lieben die Molekularküche

Das Image der Chemie bessert sich

Warum also ist das Image der Chemie so schlecht? "Bilder von großen Chemieunfällen prägen die Menschen. Das Dioxin-Unglück im italienischen Seveso 1976 oder den Sandoz-Unfall, der 1986 den Rhein vergiftet hat, vergisst man nicht so leicht", sagt Renate Hoer von der "Gesellschaft Deutscher Chemiker". "Allerdings wandelt sich das Ansehen der Chemie seit ein paar Jahren."

1983 und 1998 hatten Chemie-Didaktiker Schüler malen lassen, was sie sich unter Chemie vorstellten: Tote Mäuse, das Totenkopf-Symbol und Fabriken mit schwarz rauchenden Schloten waren zu sehen.

Als Renate Hoer 2003 einen Malwettbewerb in München durchführte, waren die Motive schon freundlicher: Künstlerisch wurden die Chemie und die Natur verbunden und überdimensionierte Molekül-Modelle ausgemalt.

Der Image-Wandel habe mehrere Gründe, sagt Hoer. Es habe in jüngerer Zeit keine großen Chemie-Unglücke gegeben. Und in der Öffentlichkeit werde die Chemie zunehmend als Problemlöser wahrgenommen.

"Globale Zukunftsprobleme wie die Energieversorgung können wir ohne Chemie nicht lösen. Solarzellen, Brennstoffzellen, eine effizientere Nutzung von Rohöl – das alles geht nur mit Chemie", so Hoer.

Ein älterer Lehrer erklärt einigen Schülern ein Molekülmodell.

Chemieunterricht wird besser

Außerdem habe sie den Eindruck gewonnen, dass der Chemie-Unterricht besser geworden ist. Die Lehrer gingen zu mehr Fortbildungen und hätten bei der Unterrichtsgestaltung mehr Freiraum. "Dass sich mehr Schüler für das Fach begeistern, zeigt sich dann daran, dass immer mehr Leistungskurse zustande kommen."

Außerdem gibt es zahlreiche Aktionen und Projekte, die den Schulkindern die Chemie näherbringen sollen. Das einstige Hass-Fach gehört zu den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), die seit Jahren gefördert werden. So bieten zahlreiche Universitäten Projekttage oder ein Schnupperstudium an.

Deutsche Erfolge bei Chemie-Olympiade

Auf sich aufmerksam macht auch die "Internationale Chemie-Olympiade". Das Auswahlverwahren für das deutsche Team wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Hunderte Nachwuchs-Chemiker aus Deutschlands Schulen nehmen Jahr für Jahr an der ersten Runde des Chemie-Schülerwettbewerbs teil.

"Wir versuchen zunehmend, Sachaufgaben mit einem Bezug zum Alltag der Schüler stellen, zum Beispiel zum Thema Wasser", erklärt Sabine Nick. Die Chemikerin vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel war von 2006 bis 2017 Geschäftsführerin des deutschen Auswahlverfahrens zur "Internationalen Chemie-Olympiade".

In der zweiten Runde gibt es theoretische Aufgaben, die zu Hause gelöst werden müssen. "Die zweite Runde ist die schwierigste von allen, aber die Schüler können zu Hause ja verschiedene Hilfsmittel und Materialien nutzen", erzählt Nick.

Vier Reagenzgläser, die mit blauer, grüner und gelber Flüssigkeit gefüllt sind.

Forschung im Reagenzglas: Chemie muss nicht langweilig sein

Nach zwei Auswahlseminaren – Runde 3 und 4 – bleiben schließlich die vier talentiertesten Nachwuchs-Chemiker übrig: Sie vertreten Deutschland beim internationalen Wettbewerb, der jedes Jahr in einem anderen Land stattfindet.

Die Ergebnisse können sich sehen lassen: "Die besten Nationen sind zwar meistens China, Südkorea und andere asiatische Länder sowie Russland und Ungarn", sagt Nick, "aber Deutschland ist immer im vorderen Drittel mit dabei."

Bei der 44. Internationalen Chemie-Olympiade 2012 in Washington D.C. erzielte erstmals seit 20 Jahren wieder ein Deutscher den 1. Gesamtplatz. Florian Berger konnte sich gegen 283 Schüler aus 72 Nationen durchsetzen. Seine drei Team-Kollegen waren ebenfalls erfolgreich – es gab zweimal Silber und einmal Bronze.

Chemie-Nobelpreisträger

An der "Internationalen Chemie-Olympiade" nimmt Deutschland seit 1974 teil. Die chemische Forschung hat hierzulande aber schon viel länger eine große Tradition: 29 deutsche Forscher wurden bis 2019 mit einen Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.

Der Namensgeber und Stifter des Preises, Alfred Nobel, war selbst ein leidenschaftlicher Chemiker und Tüftler: Der Schwede entwickelte das Dynamit. Fünf Jahre nach Nobels Tod wurde 1901 die Auszeichnung zum ersten Mal vergeben. Mal bekam ein einzelner Laureat den Preis, mal teilten sich ihn zwei oder drei Chemiker.

Schwarzweiß-Porträt von Alfred Nobel. Er trägt Vollbart.

Der Chemiker Alfred Nobel um 1890

Nur ein einziger Forscher erhielt gleich zweimal einen Nobelpreis für Chemie: Frederick Sanger. Der Brite wurde 1958 "für seine Arbeit zur Struktur von Proteinen, insbesondere der von Insulin" ausgezeichnet und 1980 "für seinen Beitrag zur Ermittlung der Basensequenzen in Nukleinsäuren".

(Erstveröffentlichung 2011. Letzte Aktualisierung 16.07.2020)

Quelle: WDR

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