Ein Mann mit kurzen grauen Haaren und flacher schwarzer Brille schaut in die Kamera.

Insekten und Spinnentiere

Interview mit Heuschreckenforscher Thomas Fartmann

Professor Thomas Fartmann von der Universität Osnabrück erforscht Insekten. Im Interview erzählt er, was ihn an Grillen und Grashüpfern so begeistert.

Von Joachim Budde

Planet Wissen: Sie widmen Ihr ganzes Berufsleben den Heuschrecken – was fasziniert Sie an den Tieren?

Thomas Fartmann: Ich finde ganz toll an den Heuschrecken, dass man sie anfassen kann, ohne sie dabei direkt zu töten oder zu schädigen, dass man sie sich auch in Ruhe mal anschauen kann. Das hat man ja nicht bei vielen Organismengruppen. Wenn ich zum Beispiel einen Schmetterling nehme, dann muss ich sehr vorsichtig sein, sonst gehen die Schuppen von den Flügeln ab. Die Heuschrecken hingegen haben einen ziemlich stabilen Panzer. Und man sieht sie relativ gut. Vor allem für Kinder ist es toll, wenn sie Tiere in die Hand nehmen können. Das schafft einen ganz anderen Bezug zur Natur.

Dann ist da noch die Farben- und Formenvielfalt der Heuschrecken. Es gibt eine ganze Reihe von Arten mit bunten Flügeln. Wenn die Italienische Schönschrecke oder die Blauflügelige Ödlandschrecke vor einem herfliegt, kann man sie glatt für einen Schmetterling halten. Bei anderen ist der Körper ganz bunt – die Tiere sind einfach schön. Und es ist natürlich auch toll, dass sie singen. Am Ende des Frühjahrs hören die Vögel langsam auf zu singen, die Heuschrecken lösen sie ab mit ihrem Gesang und bereiten uns ein Sommerkonzert. Das ist einzigartig bei den Insekten. Ich fühle mich dann oft ans Mittelmeer versetzt.

Was teilen die Tiere einander mit über diesen Gesang?

Sie tauschen sich intensiv aus – wie das bei vielen anderen Tieren und auch bei den Menschen der Fall ist. Die Feldgrille zum Beispiel warnt ihre Artgenossen, wenn sich Feinde am Boden nähern. Sie stößt einen Warnruf aus, und alle Feldgrillen verschwinden in ihre Wohnröhren. Es gibt auch die Balzgesänge, mit denen die Männchen versuchen, die Weibchen zu bezirzen. Und es gibt Reviergesänge, bei denen die Tiere zeigen: "Hallo, hier ist mein Revier. Geh bitte nicht über die Grenze, sonst wird es hier gleich ein bisschen ungemütlich."

Kann ein Laie die verschiedenen Gesänge unterscheiden?

Das lässt sich relativ schnell lernen. Am besten ist es, man beobachtet ein Tier einer Art, die man schon kennt, wenn es gerade singt. Dann spricht man gleichzeitig zwei Sinne an und kann sich den Gesang der Art viel besser merken, als wenn man zum Beispiel den Gesang einfach nur auf einer CD oder im Internet hört, ohne das Tier zu sehen.

Wie stark sind Heuschrecken vom Insektensterben betroffen?

Heuschrecken verlieren massiv Lebensräume. Die Flächen, die geeignet sind für artenreiche Insektengemeinschaften, schrumpfen ständig. Auch Veränderungen der Landnutzung haben die Heuschrecken negativ beeinflusst. Wenn Landwirte Wiesen und Weiden sechs oder sieben Mal im Jahr mähen, dann brauchen wir über Heuschrecken nicht mehr zu reden.

Eine hellgrüne Heuschrecke mit roten Augen und langen orangefarbenen Fühlern hält sich an ein paar Grashalmen fest.

Die Südliche Eichenschrecke ist nach Mitteleuropa eingewandert

Warum ist das Mähen von Wiesen schädlich für die Tiere?

Weil sie geschreddert werden, um es mal platt zu sagen. Die Mähgeräte haben schnell drehende Messer – vor denen können Heuschrecken einfach nicht flüchten. Jede Mahd bedeutet starke Verluste bei den Heuschrecken. Auf der anderen Seite geht es aber auch nicht ganz ohne Mähen oder Beweidung. Wachsen die Pflanzen zu üppig oder zu hoch, kann sich der Boden nicht mehr genug erwärmen für die Heuschrecken. Also Mähen ja, aber maximal zweimal im Jahr.

Die intensive Düngung verschärft das Problem, denn sie verändert die Pflanzenwelt. Nicht nur in der Landwirtschaft – auch über den Autoverkehr gelangt viel Stickstoff in die Luft und düngt so die Natur. Und dann ist da noch die Industrie, die ebenfalls eine große Rolle spielt. Das sind die drei Verursacher. Pflanzen können dichter und höher wachsen. Und die Düngung hat auch direkte Auswirkungen: Wir konnten in Studien an Schmetterlingen zeigen, dass hohe Stickstoffgaben die Entwicklung der Schmetterlinge schädigen. Ähnliche Effekte sind auch bei den Heuschrecken zu vermuten.

Auf der anderen Seite haben wir indirekte negative Auswirkungen des Klimawandels auf Heuschrecken. Zum Beispiel haben Anfang der 2000er Jahre Landwirtinnen und Landwirte großflächig Grünland – also Wiesen und Weiden – umgebrochen, um Mais zu produzieren für die Biogaserzeugung. Wir haben in einer Studie in Westfalen gezeigt, dass auf diese Weise im Zeitraum von 20 Jahren ein Viertel der Heuschrecken-Lebensräume verschwunden ist.

Wie wirkt sich der Klimawandel auf Heuschrecken aus? Die Tiere mögen es doch eigentlich gerne warm.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Roesels Beißschrecke. Diese Tiere haben normalerweise kurze Flügel und können nicht fliegen. Nach einem warmen Frühling treten aber vermehrt Tiere mit langen Flügeln auf. Seit den 80er-Jahren beobachten wir das immer häufiger. Der Grund: Die Frühjahre bei uns werden zunehmend wärmer und trockener, und das bedeutet, dass mehr Larven überleben.

Die Larven treffen in der Natur häufiger aufeinander und geraten dadurch unter Stress. Dann schütten sie Hormone aus, die dafür sorgen, dass sie zu Erwachsenen mit langen Flügeln werden. Wir haben das an mehreren Heuschreckenarten im Labor und in freier Wildbahn gezeigt. Die Tiere mit den langen Flügeln können sich aus dem Weg gehen, also wegfliegen und sich neue Lebensräume suchen. Die Ursache ist ganz klar der Klimawandel.

Es gibt auch Arten, die direkt unter dem Klimawandel leiden. Zu diesen Verlierern zählen zum Beispiel der Sumpfgrashüpfer oder der Bunte Grashüpfer. Deren Eier sterben, wenn sie austrocknen. Hochgebirgsarten wie der Alpinen Gebirgsschrecke wiederum gehen die Lebensräume verloren. Noch können sie in höhere Lagen ausweichen, aber irgendwann ist es auch ganz hoch oben in den Bergen zu warm.

Was kann man als Privatmensch tun, um Heuschrecken zu schützen und zu fördern?

Es hilft schon viel, wenn ich einen Teil meines Gartens zu einer Wiese mache, die ich höchstens zweimal im Jahr mähe. Das Mähgut kommt auf den Komposthaufen. Ich kann auch an zwei, drei Stellen ein bisschen umgraben, sodass eine offene Bodenfläche entsteht. Denn viele Heuschrecken legen ihre Eier direkt in den Boden, und dieser Boden muss sich gut erwärmen, das ist ganz wichtig.

Und welche Heuschrecken kann ich dann erwarten?

Zum Beispiel den Gemeinen Grashüpfer oder den Nachtigall-Grashüpfer, das sind zwei typische Vertreter. Als Belohnung bekommen Sie ein Zirp-Konzert. Der Nachtigall-Grashüpfer hat einen sehr wohlklingenden Gesang. Darum heißt er so.

Quelle: WDR | Stand: 18.12.2020, 11:19 Uhr

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