Sport

Boxen

Ein Sport für mutige Männer? Oder ein brutaler Wettbewerb? Die Meinungen über den Boxsport gingen schon in den Antike auseinander. Nach tausend Jahren Ruhepause wurde der Faustkampf in der Neuzeit wieder entdeckt und ist heute eine der populärsten Sportarten.

Von Ingo Neumayer

Anfänge in der Antike

Wenn man der Bibel glaubt, fand der erste Faustkampf sehr früh in der Menschheitsgeschichte statt: Kain gegen Abel. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Rivalen dominierten auch die Umgangsweisen in der Steinzeit.

Kampfszenen mit bloßen Fäusten sind aus nahezu allen Kulturen bekannt, von Ägypten bis zur Südsee, von China bis zu den Etruskern. Doch wann wurde aus Ernst Spaß? Wann aus einer normalen Schlägerei eine sportliche Auseinandersetzung?

Laut Homer wurde das Boxen 688 vor Christus ins Programm der Olympischen Spiele übernommen. Statt Handschuhen trugen die Boxer Lederriemen, die Kämpfe folgten festgelegten Regeln. Boxen als ertüchtigendes Kräftemessen war Teil des griechischen Körperkults.

Doch das Boxen veränderte sich, als es nach Rom kam. Die Brutalität stieg, die Kontrahenten boxten mit Metallzacken an den Fäusten. Das Publikum wollte Blut sehen. Oft gingen die Kämpfe tödlich aus.

Mit der Ausbreitung des christlichen Glaubens wurden die als heidnisch empfundenen Rituale in den Arenen abgeschafft. 393 nach Christus verbot Kaiser Theodosius die Spiele in Olympia. Das Boxen geriet in Vergessenheit.

Vom Jahrmarktspaß zum verbindlichen Regelwerk

Es dauerte mehr als tausend Jahre, bis das Boxen aus seiner Verbannung zurückkehrte. Ende des 17. Jahrhunderts tauchte der Faustkampf auf englischen Jahrmärkten in Form des "Prize Fight" wieder auf. Boxer fuhren durch die Lande und konnten von mutigen Zuschauern herausgefordert werden. Das Publikum hielt Wetten auf den Ausgang des Kampfes ab.

Der Ring war kreisrund, es wurde mit bloßen Fäusten geboxt. Ein Kampf war beendet, wenn einer der beiden Kontrahenten am Boden lag oder erkennbar verletzt war. 1694 wurde das Wort "to box" als Synonym für "mit den Fäusten kämpfen" erstmals schriftlich erwähnt.

1838 gab es den ersten Versuch, das Boxen systematischen Regeln zu unterwerfen: Tiefschläge und Kopfstöße wurden verboten, der Ring bekam quadratische Maße. 1867 reformierte der Marquess von Queensberry die Regeln und legte den Grundstein für den heutigen Boxsport.

Er teilte Kämpfer in verschiedene Gewichtsklassen ein, schrieb gepolsterte Handschuhe vor und führte die K.o.-Regel ein: Wenn ein niedergeschlagener Boxer nach zehn Sekunden nicht auf den Beinen war, wurde der Kampf beendet.

Außerdem war der Schiedsrichter angewiesen, auf das gesundheitliche Wohl der Boxer zu achten. Die Queensberry-Regeln fanden schnelle Verbreitung, der Boxsport wurde immer populärer. 1904 war Boxen in St. Louis wieder Teil des olympischen Programms.

Boxhandschuhe sind erst seit 1867 vorgeschrieben | Bildquelle: imago sportfotodienst

Die Professionalisierung des Boxens

Im 20. Jahrhundert entwickelte sich das Boxen in zwei verschiedene Richtungen: das olympische Amateurboxen und das Profiboxen. Bei den Amateuren wurde und wird mehr Wert auf technisches Können gelegt. Zudem steht die Gesundheit der Sportler im Vordergrund.

Im Gegensatz dazu gerieten die Profikämpfe immer mehr zur Show – und zum einträglichen Geschäft. Die Preisgelder stiegen rasant an, und als das Fernsehen anfing, Kämpfe zu übertragen, wurde aus dem Profiboxen eine ganze Entertainment-Industrie. Boxer zählten schnell zu den bestbezahlten Sportlern überhaupt.

Seit den 1980er-Jahren gibt es vier große Weltverbände, die miteinander konkurrieren: Die "World Boxing Associaton" (WBA), den "World Boxing Council" (WBC), die "International Boxing Federation" (IBF) und die "World Boxing Organization" (WBO).

Jeder Verband kürt seine eigenen Weltmeister, hat eigene TV-Verträge und regionale Partnerverbände, teilweise unterscheiden sich sogar die Kampfregeln. Auch die Kampfpaarungen kommen oftmals unter undurchsichtigen Bedingungen zustande. Viele Weltmeister können ihren Titel jahrelang verteidigen, weil sie nur gegen mittelmäßige Gegner antreten.

Durch diese Unübersichtlichkeit und diverse Manipulationsmöglichkeiten hatte das Boxen in Deutschland lange Zeit den Ruf als Sportart, die vor allem in der Halbwelt geschätzt wird. Erst in den 1990er-Jahren änderte sich das Image, Boxen galt als schick und salonfähig. Dank der Erfolge von Regina Halmich wurde mit Beginn des neuen Jahrtausends sogar das lange verpönte Frauenboxen populär.

Regina Halmich machte das Frauenboxen populär | Bildquelle: ddp/Danny Gohlke

Bekannte Boxpersönlichkeiten

Lange Zeit konzentrierte sich das öffentliche Interesse vor allem auf die Königsklasse des Boxens, das Schwergewicht, in der Boxer ab 86 Kilogramm Kampfgewicht gegeneinander antreten. 1882 wurde John L. Sullivan der erste Weltmeister in dieser Gewichtsklasse. 16 Jahre später errang mit Jack Johnson der erste Schwarze die Weltmeisterkrone – eine Initialzündung.

Boxen wurde zum Lieblingssport der afroamerikanischen Minderheit in den USA, die nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1990er-Jahre hinein die Siegerlisten anführte: Floyd Patterson, Sonny Liston, Muhammad Ali, Joe Frazier, George Foreman, Mike Tyson, Evander Holyfield heißen die berühmtesten Weltmeister.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion (UdSSR) endete diese Dominanz. Viele gut ausgebildete Kämpfer aus dem Ostblock gingen in den Westen und unterschrieben Profiverträge, was ihnen zu UdSSR-Zeiten untersagt war. Seit der Jahrtausendwende prägen Vitali und Wladimir Klitschko, Nikolai Walujew, Ruslan Tschagajew oder Sultan Ibragimow das Bild im Schwergewicht.

In Deutschland erreichte das Boxen eine erste große Popularität in den 1930er-Jahren, als Max Schmeling zum ersten deutschen Weltmeister im Schwergewicht gekürt wurde. Erst Anfang der 1990er-Jahre waren deutsche Boxer wieder international konkurrenzfähig. Henry Maske, Dariusz Michalczewski und Graciano Rocchigiani errangen Weltmeistertitel in niederen Gewichtsklassen.

Max Schmeling war in den 1930er-Jahren sehr populär | Bildquelle: akg-images

Dank der Unterstützung und Inszenierung des Privatfernsehens sowie obskurer Verbandsentscheidungen durfte selbst ein mittelmäßig begabter Boxer wie Axel Schulz drei Weltmeisterschafts-Kämpfe bestreiten, die er zum Teil unter widrigen Bedingungen verlor.

Boxen – mehr als ein Sport

So groß die Faszination des Kampfes Mann gegen Mann auch ist – Boxen ist und war stets mehr als nur Sport. Es hatte auch eine gesellschaftliche Funktion. So half der Erfolg schwarzer Boxer dem Selbstbewusstsein der schwarzen Minderheit in den USA. Muhammad Ali fungierte als Sprachrohr einer unterdrückten Bevölkerungsschicht, die offensiv auf ihre Rechte pochte.

Zu Zeiten des Kalten Krieges hatten Boxkämpfe zudem oft eine politische Komponente. In der UdSSR wurde der Boxsport gezielt gefördert, um dem Klassenfeind beim Zusammentreffen möglichst schmerzhafte und öffentlichkeitswirksame Niederlagen beizubringen. Eine Strategie, die auch der kubanische Präsident Fidel Castro verfolgte. Und zwar mit Erfolg: Das olympische Amateurboxen wurde lange von kubanischen Kämpfern dominiert.

Nicht zuletzt kann man im Boxen etwas über Inszenierungen lernen. Dort wurde zuerst demonstriert, wie man eine Sportart gewinnbringend kommerzialisiert: Millionenbörsen, weltweite Live-Übertragungen, ein ansprechendes Rahmenprogramm mit viel Show und Musik. Kein Wunder, dass Boxer verehrt werden wie Popstars.

Das allerdings gab es bereits in den Anfangstagen des Boxens. Wie im Falle des Euthymos aus Lokri. Der legte im 5. Jahrhundert vor Christus eine einzigartige Siegesserie bei Olympischen Spielen hin. Sein Lohn: Er wurde zum Gott erklärt.

Große Boxer wurden bereits in der Antike wie Helden verehrt | Bildquelle: AKG

(Erstveröffentlichung 2012. Letzte Aktualisierung 20.06.2020)