Das Dorf Madrid
Dort, wo heute in Madrid der prunkvolle Königspalast steht, befand sich in den Anfängen der Stadt ein Alcazar, eine maurische Burg. Muhammad I., der Emir von Córdoba, ließ sie 852 dort errichten.
Von "Mayrit", wie das Städtchen damals hieß, hatte man einen weiten Blick auf die Umgebung. Die Araber hofften, dadurch früh gewarnt zu sein, wenn Angriffe der Christen aus dem Norden drohten.
1085 wurde das nahegelegene reiche Toledo dennoch erobert, und auch Madrid fiel an die Christen.
In den nächsten Jahren entwickelte sich in der kleinen Stadt auf dem Hochplateau zwar ein reger Marktplatz, mit den nahegelegenen historischen Metropolen Segovia, Àvila und Toledo konnte Madrid jedoch weder wirtschaftlich noch kulturell auch nur ansatzweise mithalten.
Von dem arabischen Erbe der Stadt ist heute in Madrid nicht mehr viel zu sehen. Erhalten ist nur ein Teil der Stadtmauer in der Straße Cuesta de la Vega.
Im Sommer finden dort oft Konzerte und Theateraufführungen statt, denen die arabischen Mauern und die prächtige Almudena-Kathedrale eine reizvolle Kulisse bieten.
Plötzlich Hauptstadt
Als König Philipp II. Madrid 1561 zur Hauptstadt von Spanien erklärte, war Madrid immer noch so unbedeutend, dass es nicht einmal das Stadtrecht besaß.
Jahrhundertelang hatten Spaniens Könige von Toledo, Segovia oder Valladolid aus regiert, warum entschied Philipp II. sich für eine so unwichtige Stadt wie Madrid?
Gerade weil Madrid keine politische Vergangenheit hatte. Hier musste der König keine Konkurrenten fürchten – in Madrid gab es schlichtweg keine alteingesessenen mächtigen Familien. Außerdem war die Lage ideal, genau in der Mitte Spaniens.
Und Madrid verfügte bereits über eine Burg. Die ließ Philipp II. einfach zum Palast umbauen, als er seinen Regierungssitz nach Madrid verlegte.
Madrid brauchte viele Jahre, um in die neue Rolle als Residenzstadt und Verwaltungszentrum hineinzuwachsen. Die meisten Wahrzeichen der Stadt wurden erst Jahrhunderte später geschaffen.
Eine Sehenswürdigkeit jedoch entstand schon unter Philipp II.: der Retiro-Park. Im 16. Jahrhundert lag er noch weit außerhalb der Stadt und blieb dem König und seinen Gästen vorbehalten.
Heute liegt El Retiro mitten im Zentrum und ist ein beliebter Treffpunkt bei allen Stadtbewohnern.
Der See im Retiro-Park wurde künstlich angelegt
Das goldene Jahrhundert
Unter Philipp II. wuchs Madrid gewaltig: Am Ende seiner Regierungszeit hatte die Stadt bereits 60.000 Einwohner. Und der Aufschwung erlahmte auch unter Philipps Nachfolgern nicht.
Im Gegenteil, Ende des 16. Jahrhunderts begann in Spanien "El Siglo de Oro", das goldene Jahrhundert.
Die Kolonien in Südamerika machten Spanien reich. Und von den gewaltigen Schätzen, die die Entdecker von dort mitbrachten, profitierten auch viele Künstler und Baumeister.
Überall in Madrid wurden in dieser Zeit kostbare Gemälde in Auftrag gegeben und prächtige Bauwerke im barocken Stil errichtet. So erhielt die Stadt nach und nach ein unverwechselbares Gesicht. Zum ersten Mal sah Madrid jetzt auch aus wie eine Hauptstadt.
Ende des 17. Jahrhunderts war Madrid bereits zur fünftgrößten Stadt Europas angewachsen. 175.000 Menschen verschiedener Völker und Schichten lebten hier: Adelige und Diener, Soldaten und Kleriker, Bettler und Künstler. Nur Paris, London, Neapel und Konstantinopel – das heutige Istanbul – waren größer.
Das Zentrum von Madrid in dieser Zeit ist heute der Mittelpunkt von ganz Spanien: die Puerta del Sol. Auf dem "Platz der Sonne" ist im Straßenpflaster der Kilometer Null markiert: Hier beginnen alle großen Fernstraßen des Landes.
An der Puerta del Sol laufen außerdem alle großen Straßen der Stadt zusammen sowie die meisten Bus- und U-Bahnlinien.
Denkmalgeschützt – die einzige Leuchtreklame auf der Puerta del Sol
Da Philipp II. und seine Nachfolger zu den Habsburgern gehörten, nennen die Madrilenen den Teil der Stadt, der von ihnen errichtet wurde, noch heute: "El Madrid de los Austrias", das Madrid der Österreicher.
Die Herrschaft dieser "Österreicher" dauerte bis 1700, dann starb mit Karl II. das Geschlecht der Habsburger aus.
An der Frage, wer seine Nachfolge antreten sollte, entzündete sich der Spanische Erbfolgekrieg, in den alle führenden europäischen Königshäuser verwickelt waren.
Madrid wird Weltstadt
1714 entschieden die Bourbonen den Erbfolgekrieg für sich. Damit begann in Madrid eine neue Ära: Der Hof schottete sich nicht mehr so rigoros von der Stadt ab wie unter den Habsburgern und um sich dem französischen Adel anzupassen, begannen immer mehr reiche Familien in Madrid, ihre Residenzen in Paläste zu verwandeln.
Nachdem die maurische Burg abgebrannt war, bezog König Karl III. 1764 das heutige prunkvolle Königsschloss.
Als Standbild ist Karl III. noch gegenwärtig
In Madrid gilt Karl III. bis heute als "bester Bürgermeister der Stadt". Von der Infrastruktur, die er schuf, profitiert die Stadt immer noch. Karl III. ließ die Verkehrsknotenpunkte der Stadt ausbauen und Ringstraßen anlegen. Außerdem sorgte er dafür, dass die Straßen geteert, beleuchtet und mit Abwasserläufen versehen wurden.
Karl III. regierte im Zeitalter der Aufklärung. Er war ein belesener Mann, der ein großes Interesse an der Wissenschaft hatte. 1785 veranlasste er den Bau des Prado, den er zu einer bedeutenden Begegnungsstätte für Wissenschaftler machen wollte.
Sein Nachfolger Ferdinand VII. eröffnete das Gebäude jedoch als Museum für Malerei. Bedeutend blieb der Bau trotzdem: Der Prado ist heute eines der wichtigsten Kunstmuseen der Welt.
Blutige Jahre
Von 1808 bis 1813 regierte Napoleons ältester Bruder Joseph Bonaparte von Madrid aus das Land. Zumindest versuchte er es.
Beim Volk war Joseph Bonaparte nämlich ausgesprochen unbeliebt. In Madrid kam es am 2. Mai 1808 zu einem blutigen Aufstand, der im ganzen Land zu Aufruhr führte. Es entwickelte sich ein regelrechter Guerilla-Krieg, der Spanien über Jahre lahmlegte, sodass sich die politische Krise auch zu einer wirtschaftlichen entwickelte.
1813 verzichtete Joseph Bonaparte schließlich auf die Herrschaft über Spanien. Um an den ersten großen Aufstand zu erinnern, ist der 2. Mai in Madrid auch heute noch ein Stadtfeiertag.
Madrid modern
Im späten 19. Jahrhundert wurde Madrid zu einem bedeutenden Finanzplatz. Davon zeugen viele prächtige Bankgebäude, wie das der spanischen Nationalbank.
1939 übernahm Francisco Franco nach einem Aufstand die Macht in Spanien und regierte bis zu seinem Tod 1975 als Diktator.
Erst nach dem Ende von Francos Herrschaft entwickelte sich Madrid wirklich zu einer modernen Großstadt. Plötzlich genossen viele Madrilenen Freiheiten, die ihnen vorher lange verwehrt waren. Sex, Drogen und Alkohol waren plötzlich überall zu haben. In dieser Zeit verwandelte sich Madrid in das Paradies für Nachtschwärmer, das es heute ist.
Die Stadt zog so viele Kreative und Künstler an, dass aus dem bunten Treiben eine Bewegung wurde, die "Movida Madrilena". An ihrer Spitze stand der Bürgermeister der Stadt: Enrique Tierno Galván.
Der ehemalige Universitätsprofessor prägte das Lebensgefühl der Movida Madrilena, als er der Bevölkerung riet: "a colocarse y ponerse al loro", was frei übersetzt etwa so viel bedeutet wie: "Macht soviel Party wie ihr könnt!" Als er 1986 verstarb, erschien fast jeder fünfte Stadtbewohner zu seiner Beerdigung: mehr als eine Million Menschen.
Heute ist Madrid mit etwas mehr als drei Millionen Einwohnern eine der bedeutendsten europäischen Metropolen. Die meisten Stadtbewohner sind Zugezogene oder die Kinder von Zugezogenen. Das macht es Fremden leicht, sich in Madrid zu Hause zu fühlen.
Anschluss zu finden ist ohnehin recht einfach, schließlich findet das Leben in Madrid eher selten hinter heimischen Mauern statt, sondern meist auf den Straßen und Plätzen.
Die beiden Türme werden "Das Tor Europas" genannt
(Erstveröffentlichung 2011. Letzte Aktualisierung 18.03.2020)
Quelle: WDR