Vergilbtes Bild des Reichstagsgebäude an dem an rostigen Ketten ein Schild mit der Aufschrift "Demokratie" hängt.

Deutscher Bundestag

Demokratie – Volksherrschaft mit Fehlern

Mehr als 70 Jahre währt die Demokratie in Deutschland bereits – wenn das kein Grund zur Freude ist. Doch das System ist keineswegs perfekt.

Von Beate Krol

Wer hat, der wird gehört

Unsere Demokratie ist nicht gerecht. Was viele bereits ahnten, wiesen Wissenschaftler der Universität Osnabrück 2016 in einer Studie wissenschaftlich nach.

Im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums untersuchten sie, ob die Bundestagsabgeordneten bei der Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen im Blick haben oder ob sie einzelne Gruppen bevorzugen beziehungsweise benachteiligen. Das Ergebnis: In den 15 untersuchten Jahren, von 1998 bis 2013, gab es eine erhebliche Schieflage.

Das Muster, das die Wissenschaftler fanden, ist wenig überraschend: Der Bundestag orientiert sich an sozial Bessergestellten, Beamten und Selbstständigen. Befürworteten sie eine Änderung der Politik, folgte ihnen die Politik häufig. Plädierten hingegen die mittleren und unteren Einkommensgruppen für eine Änderung, reagierte die Politik weitaus seltener.

Die Wissenschaftler stellten sogar einen gegenteiligen Effekt fest: Je mehr einkommensschwache Menschen eine Änderung befürworteten oder auch gegen eine Änderung waren, umso störrischer wurde die Politik.

Systemfehler – was der Demokratie schadet

Planet Wissen 11.09.2020 02:20 Min. Verfügbar bis 11.09.2025 SWR

Der Demokratie wohnt ein Spaltpilz inne

Die Bundesrepublik unterscheidet sich damit nicht von den USA, wo die sogenannte Systematische Verzerrung schon länger bekannt ist. Aus den USA weiß man auch, wohin es führt, wenn die Politik im Sinne der Einkommensstarken entscheidet. Da reichere Menschen tendenziell dagegen sind, dass der Staat Einkommen umverteilt, bleibt die Umverteilung aus und die Vermögen vermehren sich stetig weiter.

So entsteht ein Teufelskreis: Die Wohlhabenden finden noch mehr Gehör in der Politik, während die Menschen mit mittlerem und niedrigem Einkommen die Politik zunehmend als elitäre Veranstaltung empfinden und sich abwenden. So verliert die Politik die Belange der weniger Wohlhabenden immer weiter aus dem Blick und die Gesellschaft spaltet sich.

Parlamentarier bevorzugen ihresgleichen

Doch weshalb bevorzugen die Bundestagsabgeordneten die Wohlhabenden und setzen so den wichtigsten Grundsatz der Demokratie außer Kraft, nach dem alle Menschen gleich viel zählen?

Paradoxerweise erzeugt die Demokratie diesen undemokratischen Effekt selbst. Um unabhängig zu sein, müssen die Abgeordneten genügend Geld verdienen. Das führt dazu, dass ihnen die Anliegen der Bessergestellten vertrauter sind als die der Menschen mit mittleren und kleineren Einkommen.

Zudem haben viele Abgeordnete auch vorher schon gut verdient. Die meisten von ihnen sind Beamte, Angestellte des Öffentlichen Dienstes und Anwälte. Anders als Handwerker und Arbeiter können sie an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, wenn das Mandat ausgelaufen ist. Das macht den Wechsel in die Berufspolitik für sie leichter.

Ministerialbeamte bestimmen über Gesetze

Andere Demokratieforscher kritisieren, dass immer mehr Macht vom Parlament zu den Ministerien wandert. Das ist einerseits gut, denn bei den Ministerialbeamten sitzt viel Sachverstand und sie können die Parlamentarier entlasten.

Andererseits engt die Ministerialbürokratie die demokratische Gestaltungsfreiheit ein. So legt ein Ministerium den Abgeordneten nicht mehrere verschiedene Gesetzentwürfe und Verwaltungsvorschriften vor, über die das Parlament diskutieren kann, sondern lediglich einen Entwurf. Dieser ist noch dazu oft parteipolitisch gefärbt, weil sich die Beamten heute sehr viel stärker als früher als "politische Beamte" verstehen.

Welche Informationen in den Entwurf eingeflossen sind und welche fehlen, können die Abgeordneten nicht nachvollziehen. Auch inwieweit die Beamten Stellungnahmen von Lobbygruppen eingearbeitet haben, bleibt im Dunkeln. So können sie die Politik indirekt in ihrem Interesse steuern.

Quelle: SWR | Stand: 06.01.2020, 13:45 Uhr

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