Wirtschaftswunder

Humor im Wirtschaftswunder

Eigentlich gab es in Deutschland nicht viel zu lachen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg: Viele Menschen hatten alles verloren und mussten ein zerstörtes Land wieder aufbauen. Und doch feierten viele deutsche Komiker in dieser Zeit ihre größten Erfolge.

Von Markus Schall

Die Blütezeit des deutschen Kabaretts

Die erfolgreichste Ära des deutschen Kabaretts waren die 1950er- und 1960er-Jahre. Künstler wie Heinz Erhardt, Wolfgang Neuss oder Theo Lingen brachten das Volk nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zum Schmunzeln.

Die Vorstellungen des Düsseldorfer Kom(m)ödchens, das 1947 gegründet wurde, oder der Stachelschweine in Berlin (Gründung 1949) waren meistens ausverkauft und ihre Popularität steigerte sich weiter mit dem Einzug des Fernsehens in die deutschen Haushalte ab 1952. Die Münchner Lach- und Schießgesellschaft eröffnete im Herbst 1956 und war damit das dritte überregional bekannte Kabarett.

In der ersten Hälfte der 1960er waren die Ensembles derart populär, dass der Gaststättenverband seine Mitglieder vor einem drohenden Umsatzeinbruch warnte, wenn die berüchtigten Fernsehauftritte der Schießgesellschaft oder der Stachelschweine anstanden.

Abrechnen mit der Vergangenheit

Ein Erfolgsgeheimnis des Kabaretts der 1950er und 1960er lag in seiner neuen Exaktheit. Es wurde Klartext gesprochen auf den Kabarettbühnen. Die Vergangenheitsbewältigung der Naziverbrechen, der Ost-West-Konflikt oder der Kalte Krieg standen thematisch mit an erster Stelle.

Dem Volk und den Herrschenden wurde der Spiegel vorgehalten, die allgegenwärtigen Lebenslügen wurden kompromisslos entlarvt: Die totgeschwiegene Vergangenheit vieler Amtsträger im Nazireich wurde plötzlich deutlich sichtbar auf die Bühne gestellt.

Die Wirtschaftswunderzeit mit ihrer Sehnsucht nach Ordnung erschien in einem neuen, kritischen Licht. Heinz Erhardt spielte den autoritätsliebenden Prototypen des spießigen Wirtschaftswunder-Deutschen, ließ ihn in all seiner Lächerlichkeit und Hilflosigkeit lebendig werden.

Heinz Erhardt mit Fuß auf der Stoßstange eines Mercedes

Heinz Erhardt mimte perfekt den Spießbürger der Wirtschaftswunderzeit

Verbotene Kunst in der Nazi-Zeit

In der Nachkriegszeit räumten Kabarettisten mit dem nationalsozialistischen Gedankengut auf, das noch in der Gesellschaft fortlebte. Während der Nazizeit waren Satire und Kritik dagegen weitgehend ausgeschaltet gewesen.

Werke von Kurt Tucholsky oder Erich Kästner waren verbrannt worden. Werner Fincks Kabarett "Katakombe" war 1935 geschlossen worden. Die Nationalsozialisten hatten ihn verhaftet und in das Konzentrationslager Esterwegen deportiert.

Die meisten Kabarettisten und Verfasser kabarettistischer Texte – darunter Erika Mann, Max Reinhardt, Fritz Grünbaum, Bertolt Brecht und Friedrich Hollaender – waren nach Hitlers Machtübernahme ins Ausland emigriert. Zurückgeblieben war nur ein staatlich kontrolliertes Kabarett, in dem völkische Witze erzählt wurden.

Schwarzweiß-Bild: Brennenden Haufen mit Büchern, im Hintergrund  SS-Leute und Schaulustige

Die Nationalsozialisten hatten viele Werke von Kabarettisten und Satirikern verbrannt

Nach Kriegsende förderten die Besatzungsmächte das wieder entstehende politische Kabarett. Sie betrachteten es als Mittel zur Umerziehung der Deutschen.

(Erstveröffentlichung: 2004. Letzte Aktualisierung: 13.06.2019)

Quelle: WDR

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