Aus einer Menschenmasse heraus erhebt sich ein Turm aus blau-weiß gekleideten Akrobaten.

Türme

Castelles – Türme aus Menschen

In Katalonien im Nordosten Spaniens werden an bestimmten Festtagen ganz besondere Türme gebaut: akrobatische Turmkonstruktionen namens "Castelles".

Von Susanne Decker

An der Festa Major, dem mehrtägigen Sommerfest, wird in Katalonien, im Nordosten Spaniens, nicht nur zünftig gefeiert und getanzt. Ein ganz besonderes Ritual zum Fest macht diese Region weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.

Es sind Türme aus Menschen, die "Castelles" genannt werden (was wörtlich übersetzt "Burg" bedeutet). Dabei klettern die so genannten "Castelleres" – die Menschen, die an einem solchen Turmbau beteiligt sind –, aneinander hoch und bilden akrobatische Turmkonstruktionen, die aus bis zu zehn Ebenen bestehen können.

Ihren Ursprung haben diese Menschenpyramiden in Valls, einer katalanischen Stadt in der Provinz Tarragona (etwa 100 Kilometer südlich von Barcelona). Valls gilt als "die Wiege der Castelles".

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts begannen Gruppen, die bis dahin bei religiösen Prozessionen kleine Menschentürme aus etwa vier bis sechs Personen gebildet hatten und als solche durch die Straßen liefen, sich gegenseitig mit immer höheren und gewagteren Turmkonstruktionen zu überbieten.

Bald organisierten sich die Castelleres und bildeten Vereine. Die ersten "Colles Castelleres" entstanden. So gelangten immer ausgefeiltere Turmkonstruktionen bis in Schwindel erregende Höhen von 20 Metern.

Heute werden die Castelles zu unterschiedlichen festlichen Anlässen in ganz Katalonien gezeigt. Sie sind ein fester Bestandteil der katalanischen Kultur geworden. Das ganze Jahr werden Wettkämpfe veranstaltet, bei denen verschiedene Vereine gegeneinander antreten. Bis zu hundert Menschen sind am Bau eines Castells beteiligt.

Menschenturm in einem Stadion

Manche Castelles sind bis zu 20 Meter hoch

Ein Castell erfordert ein ausgeklügeltes statisches Konzept und ist aus drei Teilen aufgebaut. Ganz unten wird die "Pinya" gebildet, das ist ein kompakter Menschenring, auf dem das ganze übrige Gewicht des Turmes lasten kann. Sie bietet auch Schutz, falls der Turm ins Wanken kommt und die Oberen herunterstürzen.

Der "Tronc" ist der zentrale Teil des Castells. Hier müssen Kraft und Gleichgewicht optimal kombiniert werden, um den Turm in so vielen Etagen wie möglich und damit besonders hoch bauen zu können.

Die obere Kuppel, der "Pom de dalt", wird von den drei obersten Turmstufen gebildet und die "Spitze" des Turmes schließlich von einem "Anxaneta", einem Kind, das ganz oben auf den Turm klettert. Mit einer Bewegung, der "Aleata" ("Flügel"), bei der das Kind die Handfläche über seinen Kopf hebt, ist das Castell fertig. Danach folgt der vorsichtige Abbau des Turmes - beim Herunterklettern ist von den Castelleres immer noch höchste Konzentration gefordert.

Der Aufbau jedes Castells wird von einem Lied begleitet, dem "Toc de Castells".

Männer in der Mitte eines Castell

Ein Castell erfordert Kraft und Gleichgewichtssinn gleichermaßen

Quelle: SWR | Stand: 14.10.2019, 14:51 Uhr

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