Das Kastensystem in Indien

Planet Wissen 12.10.2023 02:31 Min. UT Verfügbar bis 12.10.2028 WDR Von Birgit Amrehn

Indien

Das Kastensystem in Indien

Das indische Kastensystem ist eine strenge Rangordnung, die alle Inder in Gruppen einteilt. Jeder bleibt ein Leben lang an seine Kaste gebunden. Laut indischer Verfassung darf dabei zwar niemand diskriminiert werden – aber die Realität sieht anders aus.

Von Ana Rios

Jati, Varna und Kaste

Von Geburt an gehört jeder Inder zu einer bestimmten sozialen Gruppe, einer sogenannten Jati. Diese Gruppe lässt sich häufig am Namen ablesen. Der Name "Dhobi" zum Beispiel bedeutet Wäscher, "Gandhi" heißt Parfümverkäufer.

Nach Schätzungen gibt es in Indien rund 2000 solcher Jatis. Je nach Jati wird der Mensch bereits mit der Geburt einer Varna zugeordnet, also einer Kaste.

Varna: Die Kaste nach Farben

Die klassische Ordnung des Kastensystems gliedert sich in vier Hauptkasten, so genannte Varnas. Diesen vier Hauptkasten ist je eine Farbe zugeordnet. Schon am Personennamen lässt sich oft die Kastenzugehörigkeit erkennen.

Die Brahmanen als oberste Kaste sind besonders hoch angesehen und haben die Farbe weiß. Darunter rangiert die Kriegerkaste der Kshatriyas (rot). Darauf folgen die Vaishyas (gelb), traditionell Bauern und Kaufleute. An unterster Stelle der vier Varnas stehen die Shudras (schwarz), die meist Diener, Knechte oder Tagelöhner sind.

Grafik des indischen Kastensystems

Das indische Kastensystem

Außerhalb dieser Varnas stehen die "Unberührbaren", die auch Paria und Harijans genannt werden. Viele Menschen, die zu den Unberührbaren gezählt werden, lehnen diese Bezeichnung ab. Sie nennen sich selbst "Dalits" und betrachten sich als Nachfahren der indischen Ureinwohner.

Dalits werden im Westen häufig als "Kastenlose" bezeichnet, was nicht genau zutrifft. Die Dalits oder Unberührbaren sind eine Kaste, die allerdings nicht zu den Varnas in der Pyramide zählt.

Die Dalits – außerhalb der Varna-Kasten

Mehr als 240 Millionen Menschen in Indien gehören der Kaste der Dalit an. Die Dalits gelten nach der religiösen Unterscheidung im Hinduismus immer noch als "unberührbar" und "unrein".

Damit sind sie noch heute in vielen Bereichen vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und gehen "unreinen" Berufen nach – wie Wäscher, Friseur und Müllbeseitiger. Die meisten von ihnen leben bis heute in Armut.

Ein Wäscher bei der Arbeit in Mumbai

Wäscher gelten in Indien als "unrein"

Besonders in ländlichen Regionen ist die Diskriminierung der Dalits noch sehr verbreitet. Sie werden belästigt, angegriffen und sogar getötet. So müssen die Dalits häufig in Siedlungen leben, die getrennt von den anderen Wohngebieten liegen. Auch wird ihnen verboten, Tempel zu betreten oder Brunnen zu nutzen. Das Heiraten über die Kasten hinweg ist gerade in ländlichen Gebieten ein absolutes Tabu.

Seit sich die Dalits stärker gegen ihre Diskriminierung wehren, sind sie auch häufiger Opfer von Gewalt.

Woher kommt das Kastensystem?

Die genaue Herkunft des Kastenwesens in Indien ist nicht geklärt. Es gibt Ansichten, wonach sich die Kasten durch die Einteilung der Menschen nach ihrer Hautfarbe entwickelten: je heller die Haut, desto höher die Kaste.

Andere Meinungen gehen davon aus, dass die Varna auf eine "geistige" Farbgebung verweist. Die Farben sollten die Qualitäten und Eigenschaften des Menschen beschreiben.

Die Religion des Hinduismus, die in Indien ihren Ursprung hat und der über 80 Prozent der indischen Bevölkerung angehören, bezieht sich stark auf die Varnas und die rituelle Reinheit, die einzelnen Kasten zugewiesen wird. Die Hindus ordnen auch Menschen anderer Religionen in dieses System ein.

Gibt es eine Chance, dem Kastensystem zu entkommen?

In den Städten verliert das Kastenwesen an Bedeutung. Zwar ist das Denken in Kasten auch in der Stadt noch sehr verbreitet, zum Beispiel bei der Partnerwahl – aber das System wird durchlässiger.

An Stelle der Kasten treten inzwischen die sozialen Unterschiede. Wer über ein gutes Einkommen verfügt, fühlt sich der entsprechenden sozialen Gruppe verbunden und weniger seiner Kaste.

Seit den 1930er-Jahren gewähren öffentliche Einrichtungen eine bestimmte Anzahl an Mandaten und Positionen den Dalits. Auch Plätze an Universitäten werden nach einem bestimmten Schlüssel an Dalits vergeben. Solche Begünstigungen führen in der Regel zu Auseinandersetzungen mit Angehörigen der höheren, "reinen" Kasten.

Dennoch haben einige Dalits inzwischen bereits hohe Ämter bekleidet: Mit Meira Kumar wurde 2009 eine "Ex-Unberührbare" Parlamentspräsidentin. Zwei Dalits haben es sogar bis zum Staatsoberhaupt Indiens gebracht: K.R. Narayanan von 1997 bis 2002 und Ram Nath Kovind von 2017 bis 2022.

Indiens Staatspräsident Ram Nath Kovind (links) empfängt den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier

Ram Nath Kovind (links) war der zweite Dalit, der Staatspräsident Indiens wurde

Quelle: SWR | Stand: 21.09.2020, 14:30 Uhr

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