Am Anfang war die Filmspur
In den frühen 1920er-Jahren kommt der polnische Ingenieur Józef Tykociński-Tykociner auf die Idee, Film- und Tonspur zu kombinieren. Er stellt ein Verfahren vor, mit dem es möglich ist, auf das Trägermaterial eines Films eine optische Spur für den Ton hinzuzufügen.
Der Wahlamerikaner strebt die Anmeldung eines Patents an. Doch es gibt Unstimmigkeiten mit dem Präsidenten seiner Universität, und so ist ein Konkurrent schneller: der Erfinder Lee de Forest. Forest produziert die ersten kommerziellen Tonfilme und verkauft seine Erfindung schließlich 1927 an die Fox Film Corporation, die bereits im Jahr zuvor zusätzlich die Rechte an dem deutschen Tri-Ergon-Tonverfahren erworben hat.
Obwohl Tykociński-Tykociner als Vater der Idee gilt, machen sich andere Erfinder früh ähnliche Gedanken und setzen sie schneller um. Man könnte Tykociner deshalb als den ersten Verlierer der Tonfilm-Ära bezeichnen, aber bei weitem nicht als den tragischsten.
Die ersten Sätze der Filmgeschichte
Als die Filmgesellschaft Warner Brothers 1927 den Film "The Jazz Singer" veröffentlicht, ist das Unternehmen stark angeschlagen. Bereits im Vorjahr wollte Warner den Tonfilm "Don Juan" in die Kinos bringen – ein Versuch, der das Unternehmen an den Rand des Konkurs führte.
"The Jazz Singer" ist zwar bereits eine erfolgreiche Broadway-Produktion, dennoch ist es ein großes Risiko, noch einen Tonfilm auf den von Stummfilmen bestimmten Markt zu bringen. Vor allem, da wenige Kinos überhaupt die nötige Technik besitzen, um einen Film mit Ton zu zeigen.
Aber die Begeisterung des Publikums gibt den Warner Brothers Recht. "The Jazz Singer", der erste abendfüllende Film mit synchroner Musik, Geräuschen und sogar Sprechszenen wird zum internationalen Erfolg.
Seit dem "Jazz Singer" zählt jedes Wort
Nun rüsten Studios und Kinos weltweit auf den Tonfilm um. Geradezu prophetisch klingt in diesem Zusammenhang übrigens einer der ersten Sätze, die auf Film festgehalten wurden.
Al Jolson, Hauptdarsteller des "Jazz Singer", unterbricht in der Eröffnungsszene das Orchester mit den berühmt gewordenen Worten "Wait a minute, I tell yer, you ain't heard nothin' yet!" Dieser Satz kann zwei Bedeutungen haben: "Wartet einen Augenblick, ich sage euch: Noch habt ihr nichts gehört" oder auch "Was ihr bisher gehört habt, war noch gar nichts!"
Protest der Musiker
Beim Stummfilm sind oft viele Leute an einer Vorführung beteiligt: Die meisten werden von einem Orchester, einer Kapelle oder einem Film-Pianisten begleitet. Kinos und wandernde Vorführungen bieten damit in den 1920er-Jahren einen wichtigen Arbeitsmarkt für Musiker.
Der Tonfilm setzt diesem Arbeitsverhältnis ein jähes Ende. Der Film bringt nun Begleitmusik und atmosphärische Geräusche bereits in die Vorführsäle mit. Ein wilder Disput entbrennt zwischen Künstlervertretern und der Filmindustrie.
In Pamphleten wird zum Protest aufgerufen. Es heißt unter anderem, Tonfilm sei "Kitsch" oder "wirtschaftlicher und geistiger Mord" und "seine Konservenbüchsen-Apparatur klingt kellerhaft, quietscht, verdirbt das Gehör und ruiniert die Existenzen der Musiker und Artisten". Doch die Proteste nutzen nichts. Allein in Deutschland werden 12.000 Musiker arbeitslos.
Grammophone und Orchester kamen aus der Mode
Sprachfehler und schlechtes Englisch
Viele Verlierer gibt es auch unter den Schauspielern weltweit. Manche haben eine quietschige oder unangenehme Stimme, andere lispeln, näseln oder – daie größte Hürde – sprechen die Sprachen der Länder kaum oder gar nicht, in denen sie drehen. All das wird nun hörbar.
Der bekannteste deutsche Schauspieler, dessen Karriere sich durch den Tonfilm ändert, ist Theodor Friedrich Emil Janenz, bekannt als Emil Jannings. Er ist in der Weimarer Republik ein beliebter Schauspieler, bevor er 1926 nach Hollywood wechselt.
Auf dem Höhepunkt seines internationalen Erfolgs wird ihm 1929 der Oscar in der Kategorie "Bester Schauspieler" verliehen. Doch Jannings spricht nur schlecht Englisch, und mit dem Tonfilm bleiben Engagements aus. Er kehrt nach Deutschland zurück und hat im Gegensatz zu vielen Kollegen Glück: Wenigstens das nationale Kino bleibt ihm gewogen.
Karriereknick durch Tonfilm: Oscargewinner Jannings
Ein großer Gegner der synchronisierten Tonfilme ist zu Beginn der Technik auch der durch Stummfilme legendär gewordene Charlie Chaplin. Seiner Meinung nach zerstören "talkies", also sprechende Filme, die älteste Kunst der Welt: die Pantomime.
In "Lichter der Großstadt" (1931) setzt Chaplin zwar zum ersten Mal selbstkomponierte Musik ein, doch die wird dem Film noch so beigeordnet, dass sie ihn mehr karikiert als untermalt. Im Jahr 1936 wehrt sich Chaplin ein letztes Mal gegen die Entwicklung: "Moderne Zeiten" wird sein letzter Stummfilm in Spielfilmlänge, danach passt er sich an und dreht mit Ton.
Gegen den Lärm der "talkies": Chaplin
Filmisches Denkmal
Hollywood selbst setzt der wichtigen Umbruchphase vom Stumm- zum Tonfilm mit ihren Problemen und Eigenheiten im Jahr 1952 ein Denkmal. In dem Musical-Klassiker "Singin' In The Rain" (im Deutschen "Du sollst mein Glücksstern sein") sollen die fiktiven Stummfilm-Legenden Don Lockwood (Gene Kelly) und Lina Lamont (Jean Hagen) in einem der ersten Tonfilme ihre Standard-Rolle, das Liebespaar, darstellen.
Die Aufnahmen werden allerdings massiv behindert durch den unflexiblen Schauspielstil der Diva; so knistern entweder ihre Kleider an den Aufnahmegeräten, oder sie dreht sich aus Versehen von den Mikrofonen weg. Schlimmer ist aber noch, dass erst durch den Tonfilm deutlich wird, wie unangenehm schrill Lamonts Stimme ist. Nach viel Tanz, Musik, Drama und Intrigen endet der Film damit, dass die Diva durch eine junge, talentiertere Schauspielerin ersetzt wird.
(Erstveröffentlichung 2011. Letzte Aktualisierung 15.03.2022)
Quelle: WDR