Aquarellzeichnung von Conibu-Indios, 1873

Amazonien

Terra Preta

Der größte Regenwald der Erde wächst auf extrem nährstoffarmen Böden. Doch er besitzt auch kleine Flächen mit mächtigen humusreichen Böden. Sie sind das Überbleibsel einer längst untergegangenen Kultur und könnten eine Chance für die Zukunft sein.

Von Dieter Engelmann

Carvajals Aufzeichnungen

Es war um das Jahr 1540, als der Dominikanermönch Fray Gaspar de Carvajal zusammen mit dem spanischen Eroberer Francisco de Orellana als erster Europäer den Amazonas von den peruanischen Anden bis zu seiner Mündung in den Atlantik bereiste.

In seinen Aufzeichnungen berichtet er unter anderem von zahlreichen Siedlungen, die sie auf ihrer 3000 Kilometer langen Fahrt passierten.

Nach seiner Beschreibung waren es riesige Siedlungen, in denen Zehntausende Menschen lebten. Tempel und Statuen waren hier zu bewundern sowie Straßen, die die Siedlungen miteinander verbanden und ins Hinterland reichten.

Lange Zeit hielt man diesen Bericht für ein Phantasieprodukt Carvajals – schließlich fanden spätere Expeditionen nur noch wenige und kleine Ansiedlungen. Außerdem hätte der unfruchtbare Amazonasboden wohl kaum eine solch riesige Menschenzahl ernähren können. Was ist also dran an der Chronik des Dominikanermönches?

Büste von Francisco de Orellana

Francisco de Orellana befuhr als erster den gesamten Amazonas

Spuren im Urwald

Inzwischen entdecken Archäologen immer mehr Spuren einer großen Zivilisation, die einst an den Ufern des Amazonas gelebt haben muss. Dabei handelt es sich aber nicht um spektakuläre Ruinen oder Ähnliches – die Gebäude wurden aus Holz und anderen vergänglichen Materialien errichtet und sind längst verrottet.

Doch überall, wo vor der Ankunft der Europäer am Amazonas Indianer lebten, ist der Boden mit einer bis zu einem Meter dicken, schwarzen und fruchtbaren Schicht bedeckt. Diese ist häufig mit zahlreichen Scherben durchsetzt, den Resten irdener Gefäße, die hier einst in großer Zahl gefertigt und verwendet wurden.

Die Einheimischen nennen diese Böden "Terra Preta", also "Schwarze Erde". Man weiß inzwischen, dass Terra Preta von Menschenhand geschaffen wurde, und dass sie häufig ein Alter von 2000 bis 3000 Jahren aufweist. Doch die Terra Preta ist noch viel mehr als nur ein stummer Zeuge aus vergangenen Zeiten.

Luftbild einer archäologischen Ausgrabungsstätte

Archäologen entdecken immer wieder Zeugnisse vergangener Hochkulturen

Fruchtbare Erde

Die Terra Preta könnte sich als der wahre Schatz Amazoniens erweisen. Viel wertvoller noch als das Gold, nach dem die Konquistadoren so gierig jagten. Denn diese alten Böden weisen einige erstaunliche Eigenschaften auf.

Terra Preta ist fruchtbar – und das ganz ohne künstlichen und teuren Dünger. Die Erträge auf ungedüngter Terra Preta übertreffen die Erträge auf normaler, also unfruchtbarer gedüngter Amazonaserde um ein Vielfaches.

Und Terra Preta ist nachhaltig fruchtbar – schließlich ist sie zum Teil schon seit weit über tausend Jahren dem extremen Klima Amazoniens ausgesetzt und funktioniert nach wie vor.

Für die Bauern am Amazonas sind die Schwarzerden ein Garten Eden, auf dem es sich sorgenfrei leben lässt. Kein Geld muss für Dünger ausgegeben werden, die Böden selbst sind quasi der Dünger und versorgen ihre Besitzer mit reichlich Nahrung.

Regenwald in Amazonien

Regenwald in Amazonien

Das Geheimnis der Terra Preta

Die Terra Preta ist ein Gemisch aus Holzkohle, Tonscherben und zahlreichen organischen Materialien, wie Küchenabfällen, Knochen und Fäkalien. Fast alles, was an organischem Material anfiel, wurde wohl für ihre Herstellung verwendet, ganz ähnlich wie es gute Gartenbesitzer noch heute mit ihrem Kompost praktizieren.

Untersuchungen von Bodenwissenschaftlern zeigen, dass wohl vor allem die Holzkohle ein entscheidender Faktor für die Fruchtbarkeit der Terra Preta ist. Sie wirkt wie ein Speicher und verhindert, dass wichtige organische Nährstoffe durch den reichlichen Niederschlag aus dem Boden ausgewaschen werden.

Noch müssen die Bodenkundler lernen, die Terra Preta besser zu verstehen. Doch sie hoffen, recht bald eine einfache Methode zu entwickeln, mit der die heutigen Bauern Amazoniens eine neue Terra Preta erzeugen könnten.

Zurück zu Carvajals Aufzeichnungen

Die neuen Erkenntnisse um die Terra Preta lassen den Bericht Carvajals plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen. Die gefundenen Knochen lassen darauf schließen, dass die Menschen damals Schweine und Rinder züchteten.

Einige Indizien legen nahe, dass die Besiedelung an den Ufern des Amazonas vor rund 2000 Jahren am dichtesten gewesen sein könnte. Hatten also Orellana und seine Männer wirklich zig Millionen von Menschen bei ihrer Reise auf dem Amazonas getroffen? Und wenn ja, warum sind diese so plötzlich verschwunden?

Wir können heute nur Vermutungen anstellen. Man nimmt an, dass die Spanier Seuchen einschleppten, die die Siedlungen am Amazonas innerhalb weniger Jahre entvölkerten.

Doch was auch immer für den Untergang verantwortlich war: Die Ureinwohner am Amazonas schafften es wohl nicht nur, hier zu überleben, sondern entwickelten auch Wohlstand für eine riesige Zahl von Menschen.

Die Terra Preta ist ihr Vermächtnis an uns. Mit ihrer Hilfe könnten wir lernen, in den Tropen weltweit zu leben. Und zwar ohne diesen einzigartigen Lebensraum endgültig zu zerstören.

(Erstveröffentllichung 2007, letzte Aktualisierung 19.10.2018)

Quelle: SWR

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