Junge Kohlmeise schaut aus einem Vogelhäuschen

Vögel

"Singvögel das ganze Jahr über füttern"

Der Ornithologe Professor Dr. Martin Kraft vom Marburger Institut für Ornithologie und Ökologie e.V. (MIO) erklärt, wieso die Fütterung über das ganze Jahr für kleinere Reviere und mehr Gelege sorgen kann.

Von Claudia Füßler

Planet Wissen: Herr Kraft, Sie plädieren für das ganzjährige Füttern von Vögeln. Warum ist das eine gute Idee?

Martin Kraft: Wir haben damit jetzt bereits seit Anfang der 80er-Jahre Erfahrungen gesammelt. Unsere Untersuchungen haben gezeigt: Je höher das Nahrungsangebot ist, umso weniger aggressiv und territorial verhalten sich die Vögel.

Eine zuverlässige und optimale Nahrungsquelle führt dazu, dass das Revier immer kleiner wird. Letztlich kommt es zur völligen Strukturauflösung der ursprünglich scharf gegen Vertreter der eigenen Art abgegrenzten Reviere. Stattdessen bilden sich an den Futterstellen selbst neue Rangordnungshierarchien. Dort steht dann beispielweise eine ältere und erfahrene Kohlmeise besonders hoch in der Rangordnung.

Ein Star sitzt zwischen Zweigen

Gegen neue Nachbarn: Vögel verteidigen ihr Revier lautstark

Warum ist das Auflösen der Reviere wünschenswert?

Weil wir gesehen haben, dass in kleineren Revieren die Siedlungsdichte zunimmt. Das konnten wir mit Kontrollgebieten vergleichen, in denen nicht zugefüttert worden ist. In den Gebieten mit Zufütterung stiegen zudem die Gelegedichte und die Tendenz zur Zweitbrut.

Das haben dann natürlich auch Beutegreifer wie Eichhörnchen, Mauswiesel oder Buntspecht gemerkt, die holen sich gern die Eier. Doch auch mit der zusätzlichen Mortalität durch Räuber übersteigen wir in den entsprechenden Gebieten nicht die natürliche Mortalität.

Sperling sitzt mit einer Feder im Schnabel auf einem Nistkasten

Beim Nestbau: ein Feldsperling

Der Naturschutzbund NABU kritisiert, mit dem Zufüttern erhalten die Vögel unnatürliche Nahrung, die ihnen nicht bekommt.

Das ist Blödsinn, es gibt auch keine ernst zu nehmende Studie, die das bestätigen würde. Die Vögel sind ja nicht dumm, sie können sich ja ihre Nahrung aussuchen und geben ihr natürliches Nahrungssuchverhalten nicht auf, weil zugefüttert wird. Es ist immer so, dass die Tiere zunächst in der unmittelbaren Umgebung des Nestes nach Essbarem suchen und dann, wenn es dort nichts gibt, die zuverlässig bestehenden Ressourcen wie eine Futterstelle nutzen. 

Blaumeise auf einem Futtertrog mit Körnern

Zuverlässige Quelle im Winter und Sommer: eine Futterstelle

Kann man mit dem ganzjährigen Füttern dem Artensterben entgegenwirken?

Dort, wo es genügend Nahrung gibt, in gut strukturierten Gärten und Parks mit vielen Blühflächen, ist es sicher nicht nötig zuzufüttern, um Arten zu erhalten. Aber wir haben in Deutschland auch völlig ausgeräumte Landschaften, wo es kaum noch Insekten oder Blumen gibt und die Vögel echte Probleme haben, die Jungen durchzufüttern. Hier kann das Zufüttern durchaus Sinn machen.

Um eine Art vor dem Aussterben zu bewahren, muss der ökologische Faktor Nahrung ebenso wie der Faktor Brutplatz stimmen. Eine Zufütterung kann auch einfach mal eine Initialzündung sein, um Vögel wieder irgendwo anzusiedeln, das kann man dann langsam ausklingen lassen. Oder aber man erfreut sich an dem Schauspiel und behält das Füttern bei. Durch Beobachten kann man da viel lernen. Und es gibt nach wie vor keinen wissenschaftlichen Beleg, dass das Füttern übers ganze Jahr schädlich ist.

Junge Blaumeise frisst an einem Meisenknödel

Kann Vögeln beim Füttern der Jungen helfen: ein Meisenknödel

Was muss ich beim Füttern beachten?

Im Winter sollte der Fettanteil höher liegen als im Sommer. In den warmen Monaten sollte man darauf achten, dass das Futter Substanzen enthält, die für die Eier wichtig sind, also Kalk. Es empfiehlt sich, den Insektenanteil und damit die Eiweißzufuhr zu erhöhen. Wie viel Futter nötig ist, sieht man von Fall zu Fall.

Ich würde zunächst nur so viel anbieten, dass die Vögel wirklich alles auffressen, und diese Menge dann allmählich erhöhen. Das Futterhäuschen sollte ein wenig geschützt sein, so dass die fressenden Vögel nicht Opfer von Katzen werden. Auch an eine Tränke und eine Gelegenheit zum Baden sollte man denken, das kann durchaus alles an unterschiedlichen Stellen stehen.

Katze sitzt auf einem Futterhäuschen

Futterhäuschen sollten nur für die Vögel selbst erreichbar sein

Quelle: WDR | Stand: 28.08.2019, 13:10 Uhr

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