NS-Tötungsanstalt Grafeneck

Nationalsozialistische Rassenlehre

Euthanasie im Dritten Reich

Die Nazis verfolgten und ermordeten nicht nur Juden, sondern auch Kranke und Menschen mit Behinderung. Sie hielten sie für "lebensunwertes Leben", für "Parasiten am deutschen Volkskörper".

Von Ulrich Baringhorst und Andrea Böhnke

Die "Aktion T4"

Adolf Hitler selbst gab das Ermordungsprogramm in Auftrag. Die Nazis bezeichneten es auch als "Euthanasie" – eine zynische Entfremdung des Wortes, das eigentlich einen leichten und schönen Tod meint. Das Programm lief unter dem Decknamen "Aktion T4".

T4 steht für die Tiergartenstraße 4 in Berlin. Hier befand sich der Hauptsitz der Aktion. Ihr Leiter war der Chef der "Kanzlei des Führers", Philipp Bouhler. Gemeinsam mit Ärzten, Pflegern und anderen setzte er die Tötung von mehreren Tausend Kranken und Menschen mit Behinderung um.

Das Vorgehen war genau organisiert: Schon 1939 versandten Mitarbeiter der Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten Meldebogen an alle infrage kommenden Pflegeheime und Anstalten im Deutschen Reich.

Für jeden Patient musste ein Meldebogen ausgefüllt werden. Erfasst wurden dabei die Krankengeschichte, die Aufenthaltsdauer, die Arbeitsfähigkeit und die Heilungsaussichten.

Das eigentliche Ziel der Befragung war den angeschriebenen Anstalten nicht bekannt. Anhand der Meldebögen entschieden dann die Gutachter in Berlin, ob die Betroffenen leben durften oder sterben mussten.

Fiel die Entscheidung auf Tod, lieferte die Gemeinnützige Krankentransportgesellschaft sie in spezielle Tötungsanstalten ein. Dort erwartete die Patienten der Tod durch Vergasung oder Giftspritze.

Mehr als 100.000 Opfer

Innerhalb eines Jahres ermordeten die Nazis mehr als 70.000 Kranke und Menschen mit Behinderung. Die Leichen äscherten sie ein. So konnten die Angehörigen keine Obduktion veranlassen. Zudem versandten sie Schreiben, in denen sie eine falsche Todesursache und einen falschen Todesort angaben.

Obwohl sich die Nazis bemühten, die "Aktion T4" geheim zu halten, gerieten ihre Taten bald an die Öffentlichkeit. Die Mehrheit der Bevölkerung war empört.

Auch Mitglieder der Kirche protestierten gegen das menschenverachtende Vorgehen der Nazis – allen voran Clemens August Graf von Galen, der Bischof von Münster. Er hielt mehrere verurteilende Predigten.

Kurz darauf beendete Hitler die Aktion T4 offiziell. Im Geheimen gingen die Tötungen jedoch bis zum Kriegsende weiter. Zwischen 1941 und 1945 fielen etwa 30.000 weitere Menschen dem Euthanasieprogramm zum Opfer.

Für ein Erziehungsheim mit 130 Schwachsinnigen könnte man 17 Eigenheime bauen, lautet der Text auf dieser Tafel aus dem sogenannten Rasseatlas, der in allen Schulen der NS-Zeit eingesetzt wurde

"Erbkranke fallen dem Volk zur Last": Menschenverachtende Kosten-Nutzen-Rechnung im Schulunterricht

Rechtfertigung für die Massenmorde

Die Nazis fanden unterschiedliche Rechtfertigungen für die Massenmorde an Kranken und Menschen mit Behinderung. Hitler bezeichnete sie einmal als "Gnadenakt", als "Akt der Erlösung". Oftmals führten die Nazis in diesem Zusammenhang auch eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung an.

Auf einem Propagandaplakat der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) hieß es etwa: "60.000 RM kostet dieser Erbkranke die Volksgemeinschaft auf Lebenszeit. Volksgenosse, das ist auch Dein Geld."

Eine ultimative Berechtigung für ihr Tun fanden die Nazis ihrer Ansicht nach in der Biologie. Sie bezogen sich hierbei vor allem auf eine Theorie von Charles Darwin. Darwin ging davon aus, dass in der Natur ein ständiger Ausleseprozess herrsche. In diesem würden für das Überleben ungünstige Merkmale automatisch eliminiert.

Die Nazis verliehen diesem Gedanken eine rassistische Deutung: "Wir beschleunigen den in der Natur ohnehin vorhandenen Ausleseprozess. Ein Prozess, in dem sich nur die stärkere Rasse durchsetzen wird."

(Erstveröffentlichung 2003. Letzte Aktualisierung 04.06.2020)

Quelle: WDR

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