Byzantion
Der Sage nach erhielt der Grieche Byzas eine Empfehlung vom Delphischen Orakel. Er solle gegenüber der "Stadt der Blinden" eine Siedlung errichten. Auf der Suche nach dieser Stadt erreichte Byzas den Ort Chalcedon, das heutige Kadiköy.
Gegenüber von Chalcedon aber, auf der anderen Seite des Marmarameeres, entdeckte Byzas eine Halbinsel, deren Wasserarm sich ideal für einen Hafen eignete. Wie blind mussten diejenigen sein, die dies noch nicht entdeckt hatten, dachte sich Byzas und errichtete eine Siedlung gegenüber der "Stadt der Blinden": Byzantion, dort wo sich heute die Altstadt von Istanbul befindet.
Tatsächlich gehört Istanbul zu den ältesten kontinuierlich bestehenden Städten der Welt. 660 vor Christi Geburt siedelten hier Dorer (Griechen). Die Siedlung wuchs bald zu einer blühenden Handelsstadt, um die sich wechselnde Herrscher stritten. Mal waren es die Perser, mal Sparta, mal Athen.
Um sich der Angriffe zu erwehren, schloss sie sich dem aufstrebenden Römischen Reich als Bundesgenosse an. Für 400 Jahre hatte Byzantion eine relative Selbständigkeit, bis das Römische Reich sich die Stadt einverleibte und ihr bald auch einen neuen Namen gab: Konstantinopel.
Istanbul – bereits 1885 eine bedeutende Metropole
Konstantinopel
Der römische Kaiser Konstantin der Große, der zwischen 306 und 337 nach Christus regierte, wollte im Osten des Römischen Reiches eine neue Hauptstadt errichten, ein neues Rom. Er fand es in Byzanz. 330 nach Christus wurde es zu seinen Ehren Konstantinopel genannt – oder einfach "die Stadt", denn schon zu damaliger Zeit war Konstantinopel mit keiner anderen Ortschaft zu vergleichen.
Während das alte Rom und das Weströmische Reich dem Untergang geweiht waren, wuchs das Byzantinische Reich weiter und mit ihm seine Hauptstadt. Im 6. Jahrhundert, zur Zeit Justinians, war es das wirtschaftliche und religiöse Zentrum der westlichen Welt, nach außen dokumentiert durch den Bau der prächtigen Kirche Hagia Sophia.
Der Erfolg brachte es allerdings auch mit sich, dass Konstantinopel sich immer wieder gegen Angriffe von außen wehren musste. Der byzantinische Hof suchte Bundesgenossen und fand sie in Venedig, einem der italienischen Stadtstaaten, die im Verlauf der Kreuzzüge zu immer größerer Macht gekommen waren.
Doch die Freundschaft mit Venedig war nur von kurzer Dauer. Als sich die beiden Regimes zerstritten, erstürmten die Venezianer 1204 Konstantinopel und plünderten die Stadt.
Mit Hilfe Genuas gewann der byzantinische Hof zwar etwa 50 Jahre später seine Macht zurück, musste aber Galata, eine Stadt auf der anderen Seite des Goldenen Horns, an die Italiener abtreten. 200 Jahre später sollten sich die Machtverhältnisse erneut ändern. Die Osmanen, Nachfahren der Seldschuken, eroberten Konstantinopel.
Die Stadtmauer bei der Festung Yedikule
Die Eroberung von Konstantinopel
Schon seit dem 13. Jahrhundert waren die Osmanen immer weiter nach Süden und Westen vorgedrungen. Das Byzantinische Reich war kleiner geworden, hatte sich auf der einen Seite in die Hände der Italiener begeben, auf der anderen Seite in die Hände der Osmanen.
Konstantinopel mit seinen starken Mauern hielt den Angriffen immer wieder stand. Erst 1453 gelang es dem jungen Sultan Mehmed II. (Mehmed, der Eroberer), die Stadt einzunehmen.
Seine wichtigste Aufgabe sah er darin, aus Konstantinopel eine muslimische Stadt zu machen, nachdem er sich dazu entschlossen hatte, hier seine Residenz zu errichten. Er ließ die Hagia Sophia zu einer Moschee umbauen und errichtete den Topkapi-Palast.
Doch Belagerung, Eroberung und Plünderung hatten die Menschen aus der Stadt vertrieben. Um neue Bewohner in die Stadt zu bekommen, siedelte er Türken aus anderen osmanischen Provinzen in der Stadt an.
Den verbliebenen Griechen versprach Mehmed II. die ungestörte Ausübung ihrer Religion. Um die Wirtschaft neu anzukurbeln, ließ er Markthallen bauen, aus denen später der "Große Basar" werden sollte. Für Konstantinopel begann eine neue Blütezeit.
Schlacht um Konstantinopel
Konstantinye im Osmanischen Reich
Im 16. Jahrhundert war "die Stadt", wie viele sie nach wie vor nannten, wieder zu einem Zentrum von Kultur und Wirtschaft gewachsen, das viele Kulturen beherbergte. Jüdische Flüchtlinge aus Spanien oder Portugal fanden hier eine Bleibe, ebenso wie Perser, Armenier und andere Volksgruppen.
Zwar hatten Nichtmuslime weniger Rechte: Sie durften beispielsweise nicht gegen Muslime bei Gericht aussagen und ihre Häuser durften die ihrer muslimischen Nachbarn nicht überragen. Allerdings gab es keine Verfolgungen aus religiösen Motiven.
Während die Stadt an Bedeutung gewann, verloren die Sultane im Laufe der Zeit an Führungskraft. Das Osmanische Reich begann zu schwächeln. Gleichzeitig wuchsen in Europa dank der Industrialisierung bedeutende Staaten heran. Sie wurden zu den neuen Vorbildern Istanbuls.
Die Stadt erhielt eine Brücke über das Goldene Horn – der Bosporus-Bucht, die Istanbul teilt – und eine von Pferden gezogene Straßenbahn. Das Eisenbahnnetz wurde ausgebaut, so dass mehr Touristen mit dem legendären Orient-Express nach Istanbul reisen konnten.
Die zwar erdbebensicheren, aber feuergefährdeten Holzhäuser wurden zunehmend von modernen Gebäuden abgelöst, der Jugendstil hielt auch in Istanbul Einzug.
Istanbul wurde das Paris des Ostens, mit Kaffeehäusern und Künstlervierteln, fernab vom Rest des Osmanischen Reiches, das zunehmend zerfiel. Der Erste Weltkrieg führte schließlich zum Zusammenbruch des Osmanischen Reiches, und das hatte auch Folgen für Istanbul.
Der prächtige Innenraum der Hagia Sophia
Istanbul heute
Ab wann genau die Stadt als Istanbul bezeichnet wurde, ist nicht ganz klar. Vermutlich kommt ihr Name von dem griechischen Ausdruck "ei stan polis", "geh in die Stadt". Seit mehr als 1500 Jahren war sie die Hauptstadt der unterschiedlichsten Regierungen gewesen.
1923 bestimmte die erste Regierung des neuen türkischen Staates, dass die Hauptstadt ins Landesinnere nach Ankara verlegt werden solle. Das Land sollte türkisch werden. Hunderttausende von Griechen und Armeniern mussten das Land verlassen und wurden aus Istanbul vertrieben.
Trotz aller Umsiedlungen und Vertreibungen konnte sich Istanbul eine kosmopolitische Atmosphäre bewahren und ist das wirtschaftliche Zentrum des Landes geblieben.
Die Einwohnerzahl ist in wenigen Jahrzehnten von einer Million auf von weit mehr als zwölf Millionen gewachsen. Der Zuzug kommt bis heute vor allem aus dem türkischen Hinterland. Seit den 1950er-Jahren strömt die Landbevölkerung aus Anatolien in die Metropole am Bosporus. Ganze Viertel sind so neu entstanden.
"Gecekondus" heißen die kleinen Häuser und Hütten, zu deutsch: "über Nacht gebaut". Der Name bezieht sich auf eine Art Gewohnheitsrecht aus dem Osmanischen Reich, das besagt, dass ein Haus, das über Nacht auf öffentlichem Grund errichtet wurde, dem Erbauer gehört.
Die Stadt Istanbul hat diese Art der Urbanisierung nicht nur zugelassen, sondern auch gefördert. Diese ungeplanten Viertel wurden später an die öffentliche Versorgung angeschlossen und die provisorischen Häuser durch mehrstöckige Mehrfamilienhäuser ersetzt.
Bauboom in Istanbul
Dagegen ist nördlich des Goldenen Horns inzwischen ein modernes Istanbul mit Shopping-Centern und Hochhäusern entstanden, die an Hongkong oder London erinnern. Im Stadtteil Beyoğlu wird die Nacht zum Tage, Jugendliche aus aller Welt vergnügen sich hier in Diskotheken und Nachtclubs.
2000 Moscheen stehen in der gleichen Stadt, in deren engen Altstadtgassen man ein Leben wie aus einer anderen Zeit vorfinden kann. Istanbul ist ein Ort geblieben, in dem man mehrere Kulturen leben kann.
(Erstveröffentlichung 2006. Letzte Aktualisierung 18.03.2020)
Quelle: WDR