Was ist eine Gewerkschaft?

Planet Wissen 02.03.2023 01:38 Min. Verfügbar bis 09.06.2027 WDR

Organisationen

Gewerkschaften

Wer eine feste Arbeitsstelle hat, macht in der Regel nach acht Stunden am Tag Feierabend. Wer krank ist, bekommt trotzdem sein Geld. Außerdem gibt es rund sechs Wochen Urlaub im Jahr. Das war nicht immer so. Gewerkschaften haben dafür mehr als 150 Jahre mühsam gekämpft.

Von Carsten Günther

Was sind Gewerkschaften?

Gewerkschaften sind Zusammenschlüsse von Arbeitern und Angestellten. Ihr Ziel ist es, sicherzustellen, dass menschliche Arbeit fair bezahlt wird und die Interessen der Arbeiterschaft vertreten werden. Denn Arbeit darf nicht krank machen und muss den Menschen ermöglichen, ein Leben ohne materielle Not zu führen.

Die Aufgaben der Gewerkschaften sind vielfältig: Sie verhandeln Tarife, also festgelegte Löhne, und setzen sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ein. Manchmal organisieren sie auch Arbeitskämpfe und Streiks, um ihre Forderungen durchzusetzen.

Trotz mancher Rückschläge und Niederlagen haben sie in den vergangenen Jahrzehnten vieles erreicht, was uns heute selbstverständlich erscheint: die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Mitbestimmung in den Betrieben, bezahlten Urlaub, Weihnachtsgeld, besseren Arbeitsschutz und vieles mehr. Gewerkschaften schalten sich auch in gesellschaftliche Debatten ein. Sie beteiligen sich an Demonstrationen und Mahnwachen für Frieden und Gerechtigkeit und betreiben Bildungsarbeit zu gesellschaftspolitischen Themen.

Heute ist das Recht auf die Bildung von Gewerkschaften im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland garantiert. Dort steht unter Artikel 9, Absatz 3: "Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet."

Manchmal können Gewerkschaften auch die Geschichte ganzer Länder verändern. Anfang der 1980er-Jahre kämpfte die polnische Gewerkschaft "Solidarność" für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen. Ihre Streiks und Aktionen trugen 1989 zum Sturz der kommunistischen Regierung in Polen und zum Ende des Kalten Krieges bei.

Eine Gruppe von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern hält Schilder hoch mit Aufschriften wie "Es reicht!" oder "Bildung im Sinne von Aufklärung und Demokratie"

Gewerkschaften mischen sich in aktuelle gesellschaftliche Diskussionen ein

Welche Gewerkschaften gibt es in Deutschland?

"Ein Pfennig von jeder Mark – dieser Beitrag macht uns stark": So lautet ein alter Slogan der Gewerkschaftsbewegung. Denn die Gewerkschaften finanzieren sich über die Mitgliedsbeiträge, und die betragen in der Regel ein Prozent des monatlichen Verdienstes.

Heute sind in Deutschland mehr als sieben Millionen Menschen Mitglied in einer Gewerkschaft.

Die größte Dachorganisation der deutschen Gewerkschaften ist der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Er hat rund 5,7 Millionen Mitglieder (Stand: 2021). Dem DGB gehören acht Einzelgewerkschaften an, die für verschiedene Berufsgruppen zuständig sind und fast alle Branchen und Wirtschaftsbereiche abdecken: Die IG Metall ist die größte unter ihnen, dann folgen die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), die IG Bergbau, Chemie, Energie, die IG Bauen-Agrar-Umwelt, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten und die Gewerkschaft der Polizei.

Daneben existieren noch zwei weitere Dachverbände: der DBB Beamtenbund und Tarifunion und der Christliche Gewerkschaftsbund (CGB).

Außerdem gibt es rund 50 kleinere unabhängige Gewerkschaften – für Piloten, Taxifahrer, Feuerwehrleute, Bundeswehrsoldaten, Hebammen, Schornsteinfeger, Opernsänger, Bühnentänzer oder andere Berufe. Sogar Youtuber haben eine eigene gewerkschaftsähnliche Organisation, die "Youtubers Union". Und Fußballer werden durch die "Vereinigung der Vertragsfußballspieler" vertreten.

Die älteste deutsche Gewerkschaft ist die "Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer" (GDL). Ihr Vorläufer war der 1867 gegründete "Verein Deutscher Lokomotivführer". Die GDL sorgte ab Anfang der 2000er-Jahre mehrfach mit bundesweiten Bahnstreiks für große Aufmerksamkeit.

Auf einem roten Schild steht in weißer Schrift "DGB"

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat 5,7 Millionen Mitglieder

Arbeitnehmer und Arbeitgeber

In Deutschland ist es üblich, die arbeitenden Menschen als Arbeitnehmer zu bezeichnen und die Unternehmer als Arbeitgeber.

Auch die Arbeitgeber haben sich in Verbänden zusammengeschlossen. Der erste deutsche Arbeitgeberverband war der 1869 in Mainz gegründete "Buchdrucker-Verein". Damals schlossen sich insgesamt 87 Druckereibesitzer zusammen, als Reaktion auf den "Buchdruckerverband", eine der ersten deutschen Gewerkschaften.

Arbeitgeberverbände führen für ihre Mitglieder Tarifverhandlungen durch und unterstützen sie bei Arbeitskämpfen. Außerdem betreiben sie Öffentlichkeitsarbeit für die Unternehmen, um ihr Image zu verbessern, etwa wenn sie wegen umweltbelastender Produktionsmethoden oder schlechter Behandlung der Beschäftigten in der Kritik stehen.

Zwei Hände schütteln sich, eine davon trägt einen Arbeiterhandschuh

Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten unterschiedliche Interessen, müssen aber zusammenarbeiten

Die Arbeitgeberverbände sind, ähnlich wie die Gewerkschaften, nach Wirtschaftsbranchen organisiert. So gibt es Verbände der Metall- und Elektroindustrie, der Lebensmittel- oder der Chemieindustrie. Ihr Dachverband ist die "Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitsgeberverbände" (BDA).

In der Regel wollen die Arbeiter mehr Geld und kürzere Arbeitszeiten. Die Unternehmen hingegen würden lieber die Löhne niedrig halten und die Arbeitszeiten erhöhen. Daher wird den Arbeitgeberverbänden oft vorgeworfen, sie wollten grundsätzlich die Arbeitnehmerrechte zurückdrängen.

Im September 1977 wurde der damalige Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer von Terroristen der "Roten Armee Fraktion" (RAF) entführt und sechs Wochen später ermordet. Für die linksradikalen Terroristen galt er als Symbolfigur für die Interessen der Unternehmer und die ungerechte Behandlung der Arbeiterklasse.

Wie laufen Tarifverhandlungen ab?

Um die Löhne für bestimmte Berufsgruppen festzulegen, gibt es regelmäßig Tarifverhandlungen. Sie werden auf der einen Seite von den Gewerkschaften im Auftrag ihrer Mitglieder geführt. Das ist für die Arbeitnehmer von Vorteil, denn ein Tarifvertrag bedeutet, dass nicht jeder einzelne Arbeiter seine Arbeitsbedingungen selbst verhandeln muss. Auf der anderen Seite stehen die Arbeitgeberverbände oder einzelne Unternehmen.

Diese beiden Seiten werden "Tarifvertragsparteien" oder auch "Tarifpartner" genannt. Es gilt die "Tarifautonomie", das heißt: Nur Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretungen sind für die Verhandlungen und den Abschluss der Tarife zuständig, die Politik darf nicht eingreifen.

Manche Tarifverhandlungen werden schnell abgeschlossen. Andere ziehen sich monatelang hin, wenn sich die beiden Seiten nicht einigen können. Dann spricht man von einem Arbeitskampf, der oft zu einem Streik führt.

Die Tarifverhandlungen finden meistens nach demselben Schema statt: Zuerst stellen die Gewerkschaften eine Forderung – etwa höhere Löhne, mehr Weihnachts- oder Urlaubsgeld, höhere Zuschläge für Überstunden oder ähnliches. Sie begleiten die Verhandlungen mit Infoständen, Demonstrationen oder sogenannten Warnstreiks, die meist nur einen Tag oder ein paar Stunden dauern.

Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in gelben Westen halten Schilder hoch, auf denen steht: "Arbeitsplatzsicherung" und "Tarifverträge schützen!"

Tarifverhandlungen sind oft kompliziert und können mehrere Wochen dauern

 

Die Arbeitgeber antworten mit einem Gegenvorschlag. Wenn die Verhandlungen nicht zum Erfolg führen, gibt es die Möglichkeit der Schlichtung. Das bedeutet, dass eine außenstehende Person zwischen den Tarifparteien vermittelt und einen Kompromiss, einen Schlichtungsspruch, aushandelt.

Wird weiter keine Einigung erzielt, ist das letzte Mittel ein unbefristeter Streik. Dafür ist eine Urabstimmung nötig. Wenn mindestens 75 Prozent der Mitglieder bereit sind, für ihre Forderungen die Arbeit niederzulegen, kann die Gewerkschaft zum Streik aufrufen. Zur Beendigung des Streiks müssen die Gewerkschaftsmitglieder wiederum abstimmen, ob sie dem Verhandlungsergebnis einverstanden sind. Das Ergebnis der Verhandlungen wird dann in einem neuen Tarifvertrag festgeschrieben. Den gesamten Prozess vom Aufstellen der Forderungen bis zum Abschluss eines Ergebnisses nennt man Tarifrunde.

(Erstveröffentlichung 2022. Letzte Aktualisierung 20.04.2022)

Quelle: WDR

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