Das Gebäude von Scientology in Hollywood in den USA.

Religiöse Bewegungen

Scientology

Scientology ist eine religiöse Bewegung mit einem schlechten Image – obwohl zu ihren Anhängern auch viele Hollywood-Stars zählen.

Von Carsten Upadek

Gründer Hubbard – Genie oder Verbrecher?

Auch Paul Haggis war 35 Jahre lang Scientology-Mitglied. Dann trat der Hollywood-Regisseur und Drehbuchautor 2009  aus – seine Geschichte bildete später die Grundlage für das Buch "Im Gefängnis des Glaubens". Es schildert das Innenleben der verschlossenen Scientology-Gemeinschaft, die nach starren Regeln funktioniert und ihre Mitglieder von der Außenwelt trennt. Scientology bestreitet die Aussagen des Buches.

Gegründet wurde Scientology vom Amerikaner Lafayette Ron Hubbard. Er gilt manchen Menschen das größte Genie aller Zeiten, für andere ist er ein paranoider, gieriger Verbrecher.

Porträt von Scientology-Gründer L. Ron Hubbard.

Der Gründer von Scientology, L. Ron Hubbard

Geboren wurde Hubbard 1911 in einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Nebraska, als Sohn einer Lehrerin und eines Soldaten. Als junger Mann schrieb er Abenteuergeschichten für Groschenhefte, später Science-Fiction-Geschichten.

Und er fühlte sich zu Höherem berufen: Nach dem Zweiten Weltkrieg befanden sich die USA in einer emotionalen Krise. In dieser Zeit entwickelte Hubbard eine angeblich wissenschaftliche Methode zur Selbsttherapie – die "Dianetik". Damit löste er in den USA einen Hype aus, der aber bald wieder abzuflauen drohte.

Um die Menschen an sich zu binden, seine Macht und den Geldfluss zu erhalten, baute Hubbard seine Dianetik zur Religion aus. Dabei nutzte er die Überschneidungen zwischen Psychotherapie und Religion – beide verändern das Weltbild – und meldete im Jahr 1953 die "Church of Scientology" an.

Außerdem schrieb er das Buch "Dianetik: Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit", das 1950 erschien und 28 Wochen lang auf der Bestsellerliste der "New York Times" stand. Bis heute soll es mehr als 21 Millionen Mal gedruckt worden sein.

Die Lehre von Scientology

Scientology sieht sich als Erlösungsreligion, die dem Menschen den Zustand geistiger Freiheit vermitteln und ihn von seinen Fesseln im physischen Universum befreien will.

Hubbard ging davon aus, dass alle Lebewesen das primäre Ziel haben zu überleben. Gesteuert werde das durch eine perfekte Rechenmaschine, die alle Daten verarbeitet: unseren Verstand. Daher stammt auch der Begriff "Dianetik", was zu deutsch etwa "durch den Verstand" bedeutet.

Der Verstand besteht laut dem Scientology-Gründer Hubbard aus zwei Teilen: einem analytischen oder bewussten Teil sowie einem reaktiven. Bei der Verarbeitung unserer Umwelt sei normalerweise der analytische Verstand zuständig, der für jedes Problem eine Lösung hat.

Bei negativen Eindrücken, körperlichen oder emotionalen Schmerzen schalte sich jedoch der reaktive Verstand ein. Er sei die Quelle von Albträumen, Ängsten, schmerzhaften Emotionen, die Scientology "Engramme" nennt. In sogenannten Auditing-Sitzungen will die Organisation diese fehlerhaften "Datensätze" aufspüren und löschen, damit die "Rechenmaschine" Verstand wieder fehlerfrei arbeiten kann.

Das geschieht mit Hilfe eines so genannten Elektropsychometers (E-Meter): Dieses Gerät besitzt zwei Elektroden, die in den Händen gehalten werden. Dann zeigt der E-Meter an, wie sich der elektrische Widerstand im Körper verändert. Scientologen meinen, sie können aus den Bewegungsmustern darauf schließen, wie es jemandem psychisch geht.

Wer diesen langwierigen (und teuren) Prozess erfolgreich durchlaufen hat, ist laut Scientology "clear". Wenn eine Person "clear" ist, lebt sie ohne ihren reaktiven Verstand, der – so Scientology – "die versteckte Quelle irrationalen Verhaltens, übertriebener Furcht, Verstimmung und Unsicherheiten" ist.

Ein E-Meter steht auf einem Tisch. Daneben liegt ein Buch mit dem Titel "Selbstanalyse" von L. Ron Hubbard.

Das E-Meter soll schädliche Erinnerungen aufspüren

Die "Thetanen"

Herzstück der Lehre ist die Vorstellung, dass jeder Mensch ein unsterbliches Wesen in sich trägt, "das grundlegende Selbst", wie Scientology auf seiner Webseite schreibt. Dieses allmächtige, allwissende und unsterbliche Geistwesen nennt die Glaubensgemeinschaft "Thetan". Zwischen ihm und dem sterblichen Körper vermittelt der Verstand.

Thetane sind laut Scientology älter als die Zeit und lebten weitab im Universum. Doch vor 75 Millionen Jahren lockte der tyrannische Herrscher Xenu sie in eine Falle, brachte sie auf die Erde, warf sie in Vulkankrater und sprengte diese mit Wasserstoffbomben in die Luft. Seitdem werden diese körperlosen Wesen in den menschlichen, physischen Hüllen wiedergeboren.

Über die Zeit haben die einst allmächtigen Thetane ihre Fähigkeiten durch traumatische Erlebnisse verlernt. Diese wiederzuerlangen, ist Ziel von Scientologen. Wem das mithilfe der Scientology-Technik gelinge, werde zum "Operating Thetan" (OT), also zum "Arbeitenden Geist". Voraussetzung dafür ist es, "clear" zu sein. Laut Scientology gibt es nichts, was ein OT nicht kann, er ist Schöpfer seiner eigenen Wirklichkeit.

Der amerikanische Schauspieler Tom Cruise hält eine Rede.

Operating Thetan VII: Schauspieler Tom Cruise

Schneewittchen und die Weltverschwörung

In den 1980er-Jahren litt das Ansehen von Scientology stark. Grund dafür war vor allem die "Operation Schneewittchen". Hubbard war davon überzeugt, dass eine Geheimorganisation von Psychiatern nach der Weltherrschaft strebte und schrieb deshalb 1973 einen Geheimbefehl, Regierungsstellen in aller Welt zu infiltrieren.

Der Pulitzer-Preisträger Lawrence Wright berichtet, dass damals 5000 Scientologen weltweit in Scientology-kritischen Ländern und Behörden platziert wurden – auch in deutschen Polizei- und Einwanderungsbehörden und bei Interpol, besonders aber in der US-Regierung.

Am 8. Juli 1977 begannen 150 FBI-Beamte in den Büros von Scientology die größte Durchsuchung der Geschichte der Behörde. Sie beschlagnahmten 200.000 Dokumente, fanden Einbruchswerkzeug und Abhörgeräte. Hochrangige Mitglieder der Organisation wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt – L. Ron Hubbard aber nicht.

Der alternde Religionsgründer versteckte sich seit Ende der 1970er-Jahre in Kalifornien. Er wurde launenhaft und verwirrt. Bezeichnend ist ein Brief, den Hubbards erste Ehefrau Polly an seine zweite Frau Sara schrieb (insgesamt war Hubbard dreimal verheiratet). Sie wollte ihr Mut machen beim Kampf nach der Trennung: "Ich habe das ebenfalls zwölf Jahre lang durchgemacht – die Schläge, die Morddrohungen, all die sadistischen Wesenszüge, die Sie ihm vorwerfen".

Selbst Hubbards Arzt bezeichnete ihn, so Buchautor Wright, als "paranoide Persönlichkeit" mit Größenwahn und nannte ihn einen "pathologischen Lügner". So gingen auch Hubbards "Vermächtnis der Erniedrigung von Untergebenen und seine paranoide Einstellung zum Staat" auf seine Organisation über und machten sie zu einer "extrem geheimnistuerischen und manchmal feindseligen Organisation", so Wright.

Wendepunkt im öffentlichen Ansehen

Journalisten, Ärzte und Richter wurden mit Klagen überhäuft, von Privatdetektiven beschattet und mit zum Teil erfundenen Delikten mundtot gemacht.

Hinter der aggressiven Strategie steckte der neue starke Mann bei Scientology, David Miscavige. Hubbard war 1986 auf einer Ranch in Kalifornien gestorben. Miscavige strukturierte die Organisation um, beauftragte PR-Strategen und religiöse Sachverständige.

Gleichzeitig setzte er die US-Steuerbehörde so lange mit Klagen unter Druck, bis diese 1993 Scientology als steuerbefreite Religionsgemeinschaft anerkannte.

Dennoch sieht Wright im Jahr 1991 den "Wendepunkt im öffentlichen Ansehen". Im US-amerikanischen Magazin "Time" erschien ein Aufsehen erregender Enthüllungsbericht, es gab zahlreiche Skandale wie den ungeklärten Tod der jungen Scientologin Lisa McPherson. Prominenten Anhängern wurde Scientology "peinlich, womit es schwieriger wurde, Scientology als spirituellen Zufluchtsort" zu präsentieren.

Porträt von David Miscavige in einem Büro.

Scientology-Führer David Miscavige

Spannungen zwischen Deutschland und den USA

Auch außerhalb der USA stand Scientology unter Druck und auch in Deutschland wurden die Aktivitäten von Scientology mit Sorge beobachtet. Zudem hatten verschiedene apokalyptische Gruppen mit Massenmorden und Massenselbstmorden für Schlagzeilen gesorgt. Zu Scientology ließen sich Parallelen im Glaubenssystem ziehen.

Die Praktiken der Organisation thematisierten zahllose Reportagen, Aussteigerberichte, Ratgeber und Broschüren. Die bekannteste und weitreichendste der darauf folgenden Maßnahmen war ein Beschluss der Innenminister, Scientology von 1997 an vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen.

Außerdem beschäftigte sich die Bundesregierung in einer zwei Jahre dauernden Untersuchung (Enquete-Kommission) mit der Sekten-Thematik im Allgemeinen und Scientology im Besonderen. Sie kam zu dem Schluss, dass die Organisation keine religiöse Gruppe sei. Wie Scientology aber einzustufen ist, ließ die Kommission offen.

Die Ablehnung in Deutschland führte sogar zu staatlichen Unstimmigkeiten zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten. Das "amerikanische Außenministerium begann, die deutsche Regierung zu drängen, sich nachgiebiger gegenüber Scientology zu zeigen", schreibt Wright.

In Deutschland habe man es befremdlich gefunden, dass den Amerikanern die Existenz von Straflagern zur Umerziehung von linienuntreuen Gläubigen mit Haft und Strafarbeiten keine Sorgen machten.

2003 ließ David Miscavige in der "Goldbasis" in Südkalifornien ein Gefangenenlager eröffnen, bei Scientology "das Loch" genannt – zusammenhängende Wohncontainer ohne Möbel, aber voller Ameisen. Wright, der für sein Buch 200 Zeugen interviewt hat, beschreibt Szenen von Psychoterror und physischer Gewalt.

2005 waren dort 70 Personen, darunter Führungspersönlichkeiten. Mit ihnen spielte Miscavige "Reise nach Jerusalem". Den Verlierern drohte er mit Ausschluss aus der Elite-Organisation "Sea Org", Versetzung an einen unwirtlichen Ort und Zwangs-Scheidung. "Die Teilnehmer begannen, einander zu stoßen und zu schlagen. (…) Manager weinten." Seit dieser Zeit haben einige führende Scientologen die Organisation verlassen.

Außenansicht des Scientology-Hauptquartiers in Los Angeles, USA.

Das Scientology-Hauptquartier in Los Angeles

Insgesamt hat Scientology wohl lange nicht so viele Anhänger wie behauptet: Die Organisation selbst spricht allein in den USA von 3,5 Millionen. Die Behörden und auch Autor Wright sprechen von 25.000. In Deutschland wird die Zahl auf etwa 4000 geschätzt.

Pulitzer-Preisträger Lawrence Wright sagte dem Magazin "Der Spiegel" 2013, trotz der Berichte über Verbrechen und Misshandlungen würde er Scientology nicht als antidemokratisch sehen: "Die Gefahr, die von Scientology ausgeht, ist persönlich, nicht gesellschaftlich. Auch wenn Scientology das bestreitet: Die Kirche zerstört Familien und Individuen."

Haggis steigt aus

Aus ähnlichen Gründen entschloss sich letztlich auch Hollywood-Star Paul Haggis zum Ausstieg: Zwei seiner Töchter sind lesbisch, doch Scientology verurteilt Homosexualität.

Auf Hubbards "Emotionsskala" liegen Homosexuelle auf der Stufe 1,1, der "gefährlichsten und heimtückischsten Stufe". Es sei die Stufe des "Perversen, des Heuchlers, des Wendehalses". Hubbard empfahl, diese Personen aus der Gesellschaft zu entfernen und einzusperren.

Haggis begann zu zweifeln und stieß bei seiner Recherche auf verstörende Berichte von alten Freunden, die bereits früher mit Scientology gebrochen hatten. So verfasste er schließlich einen Austrittsbrief: "Wenn nur ein kleiner Teil dieser Vorwürfe zutrifft, haben wir es mit gravierenden, unverzeihlichen Verstößen gegen die Menschen- und Bürgerrechte zu tun. (...) Ich schäme mich, so lange gewartet zu haben, bevor ich handelte. Hiermit kündige ich meine Mitgliedschaft in der Scientology-Kirche."

Porträt Paul Haggis.

Stieg nach 35 Jahren bei Scientology aus: Paul Haggis

(Erstveröffentlichung 2014. Letzte Aktualisierung 22.07.2019)

Quelle: WDR

Darstellung: