Blühende Lavendelfelder in der Provence in Südfrankreich

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Provence

Herber Rosmarin, würziger Knoblauch und feiner Lavendel, diese Düfte strömen beim Gedanken an die Provence unwillkürlich in die Nase. Fest steht aber: Zu einer einzigartigen Landschaft macht die Region im Süden Frankreichs mehr als nur Lavendelduft.

Von Sophie Eva Schuster

Zwischen Rhône und Mittelmeer

Über die geografischen Grenzen der Provence herrscht gemeinhin Verwirrung. Reiseliteratur nennt die Landschaft häufig in einem Atemzug mit der Côte d’Azur. In der französischen Verwaltung bilden beide gemeinsam die Region Provence-Alpes-Côtes d’Azur (PACA) mit den Départements Alpes-Maritimes, Var, Bouches-du-Rhône, Vaucluse sowie Alpes-de-Haute-Provence und Hautes-Alpes. Teile der benachbarten Départements Gard und Drôme im Nordwesten zählen touristisch ebenfalls zur Provence.

Die gesamte Region PACA hat eine Fläche von rund 31.400 Quadratkilometern – was in etwa der Größe von Belgien entspricht – und knapp fünf Millionen Einwohner.

Nimmt man die Landkarte zur Hand, so lässt sich die Provence zwischen dem Rhônetal im Westen und der Mittelmeerküste im Süden eingrenzen. Umstritten ist die Grenze zur südöstlich gelegenen Côte d’Azur, sie befindet sich je nach Sichtweise bei der Küstenstadt Toulon oder der Départementgrenze von Var weiter östlich.

Bei der Anreise von Norden herrscht ebenfalls Uneinigkeit darüber, wann man denn nun endlich in der Provence angelangt ist. Beim Städtchen Orange, das schon zur Römerzeit als "Tor zur Provence" galt? Beim Überschreiten der Grenze zum Département Vaucluse?

Oder stellt sich das Gefühl, in der Provence angekommen zu sein, schon viel früher ein – beim Durchqueren der benachbarten Landschaft Dauphiné, wenn erste intensive Düfte in die Nase steigen und die Landschaft anfängt auszusehen, wie viele sich die Provence vorstellen?

Karte der Provence

Die Provence besteht aus sechs Départements

Lavendel, so weit das Auge reicht?

Die Montagne de Lure im Nordosten der Provence ist eine raue Landschaft. Felder, die mit violetten Blüten übersät sind, findet man hier nur vereinzelt. Soll das die Provence sein? Tatsächlich erwarten viele Touristen bei ihrem ersten Besuch in Südfrankreich nichts anderes als duftende Lavendelfelder – ein Klischee, das getrost als solches enttarnt werden kann.

Die Provence ist eine weit vielfältigere Landschaft. Im Rhônetal etwa begegnet man einem fruchtbaren Land mit Obst- und Gemüseplantagen, im Mündungsgebiet der Rhône, der Camargue, einer Sumpflandschaft. Mediterranes Flair findet man an den Sandstränden und in den Hafenstädten am Mittelmeer.

Auch Fels- und Gebirgslandschaften hat die Provence parat: bewaldete Kalkfelsen im zentral gelegenen Lubéron-Gebirge oder die bizarren Felsgebilde des Vaucluse-Hochlands – wer genauer hinschaut, entdeckt einen scheinbar unendlichen Reichtum an Landschaftsformen.

Rötlich gefärbte, spitze Felsen

Bizarre Felsen in der Vaucluse

Auf den Lavendel verzichten muss dennoch niemand. Wie aus dem Bilderbuch dehnen sich im Hochsommer violette Felder in der Haute-Provence aus. Hier wird Lavendel gewerblich angebaut, wenn auch mit einer geringen industriellen Bedeutung. Umso größer ist seine Auswirkung auf das Image der Provence und damit auf den Tourismus.

Die Römer und der Graf von Anjou

Die Provence ist eines der ältesten Siedlungsgebiete der Welt. Schon in der Altsteinzeit lebten hier urzeitliche Menschen und Neandertaler. Die antiken Hochkulturen schätzten die Region am Mittelmeer aufgrund ihrer vorteilhaften Lage für Wirtschaft und Militär.

Im 6. Jahrhundert vor Christus stießen Griechen in das bis dahin vorwiegend kelto-ligurisch besiedelte Gebiet vor. Sie hatten nicht nur Olivenbäume und Weinstöcke im Gepäck, sondern schufen auch durch den Bau von Straßen und Hafenanlagen die Grundlage für eine funktionierende Infrastruktur.

Im 2. Jahrhundert vor Christus wurden die Griechen von den Römern abgelöst, die in den folgenden fünf Jahrhunderten den Prozess der Modernisierung ihrer "Provincia Gallia Narbonensis" nahtlos fortsetzten.

Im Jahr 308 ernannte Kaiser Konstantin der Große die Stadt Arles sogar zur römischen Hauptstadt. Immerhin 16 Jahre behielt sie diesen Status. Der römischen Epoche verdankt die Provence übrigens ihren heutigen Namen, abgeleitet vom lateinischen Wort "provincia".

Römische Arena und christliche Kirche in Arles

Arles war eine bedeutende Stadt im Römischen Reich

Der Beginn des Mittelalters läutete für die Provence ein bewegtes Zeitalter ein. Ab dem 10. Jahrhundert gehörte die Region zum Königreich Burgund, bis sie durch Erbstreitigkeiten 1245 an den Grafen Karl von Anjou ging. Dadurch geriet die vorher an der deutschen Monarchie orientierte Provence zunehmend in die Einflusssphäre Frankreichs und stand ab Ende des 15. Jahrhunderts unter der Verwaltung des französischen Königs.

Mit dieser Abhängigkeit konnten sich die Provenzalen allerdings nicht abfinden. 1501 veranlasste das Autonomiestreben den französischen König Ludwig XII. sogar dazu, in der Stadt Aix-en-Provence ein Parlament mit Nicht-Provenzalen einzurichten, um die Region besser kontrollieren zu können.

Für das mittelalterliche Christentum war die Bedeutung der Provence enorm. Das Städtchen Avignon beheimatete bis 1377 sieben Päpste sowie zwei Gegenpäpste.

Nächtlich beleuchtetetr Papstpalast in Avignon

Der Papstpalast in Avignon – für 68 Jahre die Residenz der Päpste

Die Französische Revolution von 1789 veränderte die Herrschaftsstrukturen Frankreichs maßgeblich. Obgleich fernab vom Hauptschauplatz Paris gelegen, gingen die Umwälzungen an der provenzalischen Bevölkerung nicht spurlos vorüber. Auch hier gab es revolutionäre Zusammenschlüsse und Erhebungen.

Die Region wurde nun endgültig in das französische Staatsgebiet eingegliedert, der Name "Provence" verschwand im Zuge der Neustrukturierung Frankreichs in Départements von der Landkarte.

Volkskunst und Burgen – kulturelle Höhepunkte

Was ihre einstigen Bewohner an Bauwerken, Malerei und Brauchtum hinterließen, prägt heute die provenzalische Kultur. Höhlenzeichnungen, etwa in der Grotte Cosquer bei Cassis, zeugen von der Kreativität unserer frühen Vorfahren. Unbestritten ist die enorme kulturelle Leistung der Römer. Sie prägten die Provence vor allem architektonisch.

Ein Höhepunkt antiker Architektur ist die Aquäduktbrücke Pont du Gard, einst eine gigantische Wasserleitung in die Stadt Nîmes.

Frontale Ansicht auf die Bögen der Brücke 'Pont du Gard' über dem Fluss Gardon.

Pont du Gard – die bekannteste Brücke der Antike

Die Römer schufen einen kulturellen Nährboden, auf dem sich eine eigene südfranzösische Sprache herausbildete: das Provenzalische. Diese Variante des Okzitanischen entwickelte sich aus Vulgärlatein. Zweisprachige Ortsschilder erinnern noch heute an die so gut wie tote Sprache.

Vom Mittelalter und der frühen Neuzeit zeugen zahlreiche Burgen, Klöster und Kirchen. Der Papstpalast in Avignon, wo einst das Oberhaupt der Kirche residierte, die Brücke Pont Saint-Bénezet, bekannt durch das Volkslied "Sur le Pont d'Avignon", oder das Kloster St. Gilles am Rande der Camargue sind nur einige Beispiele.

Zur provenzalischen Volkskunst zählen handgearbeitete Krippenfiguren aus Ton, die "Santons" (provenzalisch: "kleine Heilige"). Regionaltypische Feste, Tänze und Lieder sowie Küchentraditionen runden die Vielfalt der Provence als Kulturlandschaft ab.

"L'art de vivre" – das Lebensgefühl im sonnigsten Teil Frankreichs

Das abwechslungsreiche kulturelle Treiben und die Lust aufs Feiern zeugen von der Lebensfreude der Provenzalen. In der Tat scheinen diese sich vom Rest der Franzosen zu unterscheiden. Je näher man dem Meer kommt, desto unbeschwerter und fröhlicher werden die Gemüter, desto wilder die Gesten zum Unterstreichen des Gesagten, desto unerschütterlicher die Ruhe.

Der Südfranzose bringt seinen Landsleuten aus dem Norden häufig spöttische Abneigung mit ironischem Anklang entgegen, ein Überbleibsel aus der griechischen Kolonisation. Der exklusive Zugang zum antik-humanistischen Gedankengut führte zu einem tief verwurzelten Gefühl der Überlegenheit.

Das Image der romantischen Agrarprovinz und vom malerischen Leben auf dem Bauernhof ist jedoch falsch. Vom klischeeträchtigen Lavendel, selbst von Obst- und Gemüseanbau oder der Winzerei lebt nur ein Bruchteil der Bevölkerung. Nicht anders als im übrigen Europa arbeitet der durchschnittliche Provenzale in der Industrie oder im Dienstleistungsbereich.

Ebene mit Kühltürmen eines Atomkraftwerks

Die Provence ist durchaus industriell geprägt

(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 05.03.2019)

Quelle: WDR

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