Querschnitt-Ansichten eines menschlichen Gehirns auf einem Computermonitor

Forschung

Hirnforschung

Das Gehirn ist unser wichtigstes Organ. Es ist Steuerzentrum für den Körper und Träger der Persönlichkeit. Die Gehirnforschung untersucht einerseits die Funktionsweise des Gehirns, andererseits seine Rolle bei unserer Wahrnehmung, Gefühlen und Denkprozessen.

Von Malte Linde und Katrin Ewert

Der Blick in den Kopf

Schätzungsweise 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen) kommunizieren über 100 Billionen Synapsen miteinander. Die Nervenzellen und die Synapsen – Verbindungsstellen, über die die Informationsübertragung von Nervenzellen zu anderen Zellen abläuft – bilden ein gewaltiges Netzwerk, in dem Informationen verschoben und erzeugt werden.

Die Hirnfunktionen verteilen sich auf vier Bereiche, von denen das Großhirn der wichtigste ist. Hier sind die Zentren für das Sehen und Sprechen angesiedelt und auch das Denken ist im Wesentlichen eine Funktion des Großhirns. Das Zwischenhirn kontrolliert das vegetative Nervensystem, also den Teil des Nervensystems, der lebenswichtige Organfunktionen steuert.

Das Kleinhirn ist in der Hauptsache für die Koordination des Körpers zuständig. Im Stammhirn werden elementare Reflexe gesteuert, wie zum Beispiel das Gähnen oder auch Atmung und Herzschlag. Das Stammhirn ist entwicklungsgeschichtlich der älteste Teil des Gehirns.

Bildgebende Verfahren messen Gehirnaktivität

Um den Geheimnissen des Gehirns auf die Spur zu kommen, messen die Hirnforscher, welche Teile des Gehirns unter welchen Umständen besonders aktiv werden.

Ein wichtiges bildgebendes Verfahren ist die sogenannte funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT), eine Sonderform der gewöhnlichen MRT. Der Proband liegt dabei in einer langen Röhre, in der ein Magnetfeld erzeugt wird. Bei der fMRT messen die Forscher zusätzlich den Sauerstoffgehalt des Bluts im Gehirn. Dadurch machen sie sichtbar, wie und wo das Gehirn gerade arbeitet.

Hebt der Proband zum Beispiel eine Hand, wird eine bestimmte Hirnregion aktiv. Mithilfe der fMRT-Bilder können die Wissenschaftler erkennen, welche Hirnareale bei Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer oder nach einem Schlaganfall betroffen sind. Diese Erkenntnisse können dabei helfen, Therapien zu entwickeln.

Bei der Magnetoenzephalographie (MEG) messen Forscher über Sensoren die feinen elektrischen Aktivitäten der Nervenzellen im Gehirn. Auf den dadurch entstehenden Bildern können sie erkennen, wie stark bestimmte Teile des Gehirns beansprucht werden. Auf diese Weise lassen sich gesteigerte Aktivitäten im Gehirn lokalisieren.

Auch wenn die zugrunde liegende Technik solcher Messverfahren hoch kompliziert ist, zeigen bei solchen Verfahren schon einfache Experimente, welche Bereiche des Gehirns für bestimmte Aufgaben verwendet werden.

So lässt sich schnell feststellen, ob ein Proband bei einem Experiment starke Gefühle entwickelt, ob er sich Bilder vorstellt oder viel nachdenken muss. Manche Messungen ergeben so eindeutige Ergebnisse, dass Wissenschaftler die gemessenen Ströme nutzbar machen können.

Dadurch ist es möglich, einen Computer über gedachte Befehle zu steuern: Sensoren messen zum Beispiel die Hirntätigkeit, die sich einstellt, sobald der Proband sich eine bestimmte Bewegung vorstellt, und setzen diesen Impuls um – beispielsweise um einen Cursor auf dem Monitor zu bewegen oder Geräte zu steuern.

Diese Technik wird entwickelt, um Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, allein durch gedachte Befehle mit ihrer Umwelt zu kommunizieren.

Geist und Gehirn

Trotz solcher Experimente ist die Wissenschaft aber weit entfernt davon, den Inhalt unseres Bewusstseins auslesen zu können. Wie das Gehirn als Organ funktioniert, unterscheidet sich vollkommen davon, wie wir uns selbst wahrnehmen, wie wir denken und fühlen.

Im Gehirn selbst gibt es keine Bilder oder Farben, sondern wie in einem Computer nur bestimmte Schaltzustände. Einen bestimmten neuronalen Zustand kann man sich als Foto vorstellen, auf der alle Aktivitäten aller Neuronen zu einem bestimmten Zeitpunkt abgebildet sind.

Zwischen diesem neuronalen Zustand und einem einfachen Bewusstseinserlebnis, wie etwa einer Farbempfindung, besteht kein offensichtlicher Zusammenhang.

Zwar gehen die meisten Hirnforscher davon aus, dass sich im Prinzip auch die Inhalte zum Beispiel eines gedachten Bildes von außen erkennen lassen können. Doch selbst wenn wir technologisch dazu in der Lage wären, könnten wir damit nicht beschreiben, was wir dabei spüren.

Selbst wenn es uns also gelingen würde, alle Prozesse im Gehirn genau zu verstehen und zu beschreiben, könnten wir die Art und Weise, in der wir etwa Dinge wahrnehmen, damit nicht vollständig erklären.

Die Kluft zwischen der gemessenen Gehirnaktivität und dem Erlebnis des tatsächlichen Denkvorgangs bleibt auch für die Hirnforschung unüberbrückbar. Dennoch sind sich die Hirnforscher einig: Alles, was wir erleben, wahrnehmen und denken, ist ein Resultat der Aktivitäten des Gehirns.

Drei Bündel roter Nervenzellen verbinden sich

Nervenzellen bestimmen unser Denken und Fühlen

Zukunftsvisionen und Ziele der Hirnforschung

Je genauer die Forscher die Zentren der Hirnaktivität kennen, desto vielfältiger können sie auf diese einwirken. Das gilt in erster Linie für neuronale Erkrankungen, bei denen bestimmte Hirnareale geschädigt sind.

So gelang es beispielsweise den Wissenschaftlern der Ruhr-Universität Bochum, allein durch den Einsatz einer speziellen Magnetspule den Tastsinn zu verfeinern: Sie regten den für dieses motorische Segment verantwortlichen Teil des Gehirns durch ein Magnetfeld von außen an. Bereits nach wenigen Sitzungen konnten die Wissenschaftler eine Verbesserung der feinmotorischen Fähigkeiten messen.

Diese Art äußerlicher Stimulation, genannt Transkranielle Magnetstimulation, wird bei Erkrankungen des Nervensystems angewendet: etwa bei Multipler Sklerose und Parkinson und psychischen Erkrankungen wie Depression und Schizophrenie.

Hirnforscher koppeln die bildgebenden Verfahren außerdem mit künstlicher Intelligenz. Mithilfe der beiden Technologien wollen sie in Zukunft voraussagen, wie Krankheiten wie Parkinson bei Patienten verlaufen.

Aber auch für gesunde Menschen gibt es in Zukunft womöglich eine Reihe von Anwendungen aus der Hirnforschung, die das tägliche Leben vereinfachen oder verbessern könnten. Eine Zukunftsvision ist etwa, dass wir dank Hirnscans besser verstehen, wie wir lernen und Informationen verarbeiten.

Ob aber je komplexeres Wissen oder Fähigkeiten per Knopfdruck implementiert werden können, ist fraglich. Theoretisch spricht nichts dagegen, wenn wir den Code des Gehirns genauer verstehen. Schließlich machen auch solche Visionen die Hirnforschung zu einem der spannendsten Wissenschaftsgebiete unserer Gegenwart.

(Erstveröffentlichung: 2007. Letzte Aktualisierung: 03.03.2021)

Quelle: WDR

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