Peer-Review: wissenschaftliche Qualitätssicherung

Planet Wissen 27.01.2020 00:56 Min. Verfügbar bis 27.01.2025 WDR

Forschung

Wissenschaftliches Arbeiten

Einsteins Relativitätstheorie, die Erfindung der Druckerpresse, die Entdeckung von Impfstoffen: Wissenschaftliche Erkenntnisse haben den Grundstein für viele bahnbrechende Entwicklungen gelegt. Aber wie funktioniert Wissenschaft eigentlich?

Von Annika Franck

Wichtig: methodisch gesicherte Erkenntnisse

In der Wissenschaft geht es darum, durch Forschen und Erkennen Wissen hervorzubringen. Wissen, das überprüfbar und systematisch dokumentiert ist und veröffentlicht wird.

Die Menschen, die diese Wissenschaft betreiben – also die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – haben sich dem Prinzip verschrieben, dass ihre Erkenntnisse methodisch gesichert sind. "Das ist ein Zug, der allen Wissenschaften gleichermaßen zu eigen ist, seit der Neuzeit", erklärt Stefan Böschen, Professor für Technik und Gesellschaft an der RWTH Aachen.

Wie kommen Wissenschaftler zu einer Erkenntnis?

Am Anfang des Erkenntnis-Prozesses stellen sich Wissenschaftler eine Frage, die sie beantworten möchten. Manchmal gibt es für die mögliche Antwort schon eine Vermutung oder Annahme (Hypothese), die mit Hilfe der Forschungsergebnisse bewiesen oder widerlegt werden soll.

Dann müssen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler klären, mit welcher Methode sie vorgehen: Brauchen sie Informationen von Menschen? Tragen sie Wissen aus Schriften und Büchern zusammen? Oder müssen sie sich ein eigenes Experiment überlegen, um die entsprechenden Daten zu erhalten?

Grundsätzlich haben die verschiedenen fachlichen Disziplinen teils sehr unterschiedliche Herangehensweisen, um zu neuen Erkenntnissen zu kommen: Molekularbiologen oder Chemiker gehen ganz anders vor als Soziologen oder Philosophen.

"Naturwissenschaftler arbeiten eher experimentell, sie bringen mit einer bestimmten Anordnung eines Experiments bestimmte Effekte hervor", sagt Wissenschaftssoziologe Stefan Böschen. Anschließend versuchen sie zu verstehen, was die Daten und Informationen, die sie bekommen, bedeuten können. Und wie sie im Rahmen dessen, was sie bisher wissen, zu deuten sind.

Anders ist es etwa in der Philosophie, sagt Böschen. "Das ist wesentlich noch eine Buchwissenschaft: Man hat Bücher und Texte, deutet diese, macht Unterschiede und Klassifikationen und differenziert. Im Deuten wandeln sich die Begriffe."

Wichtiger Aspekt: die Finanzierung

Ein wichtiger Teil des Prozesses ist die Frage, wie das Projekt finanziert werden kann. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind für ihre Arbeit darauf angewiesen, so genannte Drittmittel einzuwerben. Also Gelder, die nicht aus dem Etat der Institution (beispielsweise der Universität) stammen, an der sie arbeiten, sondern von Stiftungen, Unternehmen und anderen externen Unterstützern oder Auftraggebern.

Daraus ergibt sich eine etwas schwierige Situation: "Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind immer mehr dazu angehalten, sich wie Marktteilnehmer zu verhalten, etwa beim Einwerben von Drittmitteln", erklärt Böschen.

Jeder ist darum bemüht, für sich und das eigene Projekt möglichst viele Gelder zu akquirieren. Denn ohne Geld keine Forschung. "Und zugleich – das ist das Paradoxe daran – ist Wissenschaft notwendig auf Kooperation angewiesen. Die Idee, dass es ein Genie gibt, das für sich allein zu den Ergebnissen kommt, spiegelt die Wirklichkeit nicht wider", meint Böschen.

Daten richtig auswerten

Wenn eine Studie oder ein Projekt durchgeführt worden sind, müssen die Ergebnisse ausgewertet werden: Welche Erkenntnisse wurden gewonnen? Sind diese schlüssig und überprüfbar? Ein Grundsatz ist auch die Replikation: Die gewonnen Ergebnisse müssen bei erneuter Durchführung einer Studie zum ähnlichen oder gleichen Ergebnis führen (im Rahmen statistischer Schwankungen).

Auch müssen die Ergebnisse und Schlussfolgerungen überprüfbar und nachvollziehbar sein – auch von unabhängiger Seite. So ist es zum Beispiel in den Sozialwissenschaften wichtig, dass eine Stichprobe, von der man etwa auf die Gesamtheit der Bevölkerung schließen möchte, repräsentativ ist. Also dass die Forscher eine Gruppe finden, die eine vergleichbare Zusammensetzung hat. Wichtig ist auch, dass die Ergebnisse eines Projekts einer unabhängigen Überprüfung standhalten. Nur dann – so der Idealfall – werden sie publiziert.

Ergebnisse veröffentlichen

Für die Publikation gibt es verschiedene Wege. Eine Möglichkeit ist es, die Ergebnisse auf einer Konferenz vorzustellen. Viele Wissenschaftler möchten ihre Arbeit am liebsten in entsprechenden Fachzeitschriften vorstellen, so genannten "Journals".

Denn: "Ohne die formale Veröffentlichung von Forschungsergebnissen (…) gäbe es keinen kumulativen Wissensfortschritt, keine kritische Prüfung der Ergebnisse von Experimenten und Beobachtungen (…) aber auch keine Anerkennung der Leistungen, ihrer Originalität und ihrer Bedeutung", heißt es in den "Empfehlungen zur Zukunft des wissenschaftlichen Publikationssystems" der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Denn was nach diesen strengen Regeln publiziert wird, schreibe fest, was als geprüftes Wissen in einer Disziplin gelten kann.

Wenn die Erkenntnisse, die ein Wissenschaftler durch eine Arbeit erlangt hat, auch für andere Fragen von Belang sind, kann sich daraus eine Theorie entwickeln. Aus der ergeben sich dann weitere Fragen und dann beginnt der Wissenschaftskreislauf – siehe oben – erneut.

Publikationen mit unterschiedlichem Stellenwert

Die Publikationen haben aber unterschiedliches Ansehen: Als besonders renommiert gelten etwa Fachzeitschriften, bei denen vor Veröffentlichung ein so genanntes "Peer Review" stattfindet. Das bedeutet, dass die Arbeiten zuerst von Gutachtern geprüft und bewertet werden, die sich in dem Feld auskennen.

Für jeder Disziplin gibt es Fachzeitschriften, Bücher und Publikationsreihen, die als besonders prestigeträchtig gelten und den Forschern entsprechendes Renommee verschaffen.

Wissenschaftliches Publizieren hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Durch die Digitalisierung haben sich der Zugang zu Publikationen und Daten verbessert. Ergebnisse können deutlich schneller veröffentlicht werden. Häufig werden nun Forschungsergebnisse auch einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht ("Open Access"). Gleichzeitig hat sich die Zahl der Publikationsorgane deutlich erhöht.

Kehrseite dieser Entwicklung: Es gibt auch immer mehr sogenannte Raubverleger ("Predatory Publisher"), die wissenschaftliche Pseudo-Zeitschriften herausgeben.

Muss Wissenschaft zweckgebunden sein?

Häufig beschäftigen sich Wissenschaftler mit Fragen und Themenbereichen, die für die Allgemeinheit – wenn überhaupt – nur schwer zu verstehen sind. Denn Wissenschaft und Öffentlichkeit haben ein spezielles Verhältnis. Stefan Böschen sieht das so: "Wissenschaft ist öffentliche Unverständlichkeit inhärent. Um zu ihren Erkenntnissen zu gelangen, verwendet sie Sondersprachen."

Diese entsprächen nicht unserer Alltagssprache. "Denken Sie an die Formelsprache der Mathematik!" Darauf könne sich Wissenschaft aber nicht ausruhen, betont Böschen. "Denn Menschen erheben die berechtigte Erwartung nach einem erkennbaren Sinn und Nutzen. Es geht ja oft um die Verwendung öffentlicher Gelder."

Das ist der Außenanspruch, so Böschen: "Wissenschaft soll gesellschaftliche Probleme lösen – was wieder eigene Probleme hervorruft. Denn eigentlich soll Wissenschaft jenseits von Partikularinteressen (= den Interessen einzelner Menschen, Gruppen oder Firmen) erfolgen." Und sich allein an einem "organisierten Skeptizismus" orientieren, wie es der US-Soziologe Robert K. Merton formulierte.

Einen entsprechenden Artikel zur Forschungsfreiheit gibt es im Grundgesetz. Dort ist klar geregelt, dass Wissenschaft und Lehre frei sind und ausschließlich nach selbst gesetzten Regeln funktionieren. Das sei auch ein Grund, warum Lehrende an Hochschulen meist verbeamtet sind, sagt Böschen: Sie unterstünden nur ihrem eigenen Gewissen und der Verfassung.

Muss Forschung Nutzen bringen?

Aber lässt sich das umsetzen? Schließlich fließt in die Forschung auch viel Geld aus der öffentlichen Hand. Müsste nicht öffentlich geförderte Forschung immer uns allen etwas bringen? "Es ist nicht Aufgabe der Wissenschaft, dass sie irgendetwas bringt", betont der Wissenschaftssoziologe Stefan Böschen.

Häufig lässt sich eben nicht direkt erkennen, welches Potenzial eine neue Erkenntnis oder eine neue Entwicklung künftig entfalten könnte. Sicherlich könne ein Teil der Forschung sich mit anwendungsbezogenen Fragen beschäftigen, räumt Böschen ein. Etwa in der Technikfolgenforschung, der Frieden- und Konfliktforschung und der Umweltforschung. "Entscheidend ist die Balance!"

Als Beispiel führt Böschen die ehemalige DDR an. "Wissenschaftliche Innovationen gab es da weniger, der Fokus lag auf der Anwendungsforschung", sagt er. Zwar gebe es immer noch erstklassige Lehrbücher aus der Zeit, etwa in den technischen Disziplinen. "Aber bahnbrechende Neuerungen, die eine ganz andere Art von Innovation ermöglichen, sind ausgeblieben."

Wissenschaftler – ein Beruf mit vielen Hindernissen

Der Druck auf Wissenschaftler, sich am Wissenschaftskreislauf zu beteiligen, ist heute hoch. Oft hängt ihr Einkommen auch davon ab, ob und wie viel sie publizieren.

Sie brauchen ein dickes Fell, betont Soziologe Böschen. Ein Problem, das vor allem junge Wissenschaftler immer wieder beklagen: Es gibt immer mehr Wettbewerb, aber es bleibt auch die Unsicherheit wegen häufig befristeter Stellen.

Viele Studien und Experimente führen zudem nicht zu den erhofften Ergebnissen, laufen also ins Leere. Solche Rückschläge müssen Wissenschaftler verkraften können. Das geht nur mit Neugier, Begeisterung für eine Disziplin und der Aussicht, vielleicht doch irgendwann mit einer Erkenntnis einen Unterschied machen zu können.

Wichtigste Voraussetzung für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen daher: eine gehörige Portion Durchhaltevermögen.

(Erstveröffentlichung 2019. Letzte Aktualisierung 27.01.2020)

Quelle: WDR

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