Das zerstörte Atomkraftwerk Fukushima Dai-ichi

Atomenergie

Fukushima und der Atomausstieg in Deutschland

Am 11. März 2011 geschah in Fukushima das, was viele für unwahrscheinlich gehalten hatten: die Kernschmelze in einem Atomkraftwerk. Nicht nur für Japan hatte das weitreichende Folgen. Deutschland beschloss, aus der Atomenergie auszusteigen. Eine Chronologie der Ereignisse.

Von Katalin Vales und Mathias Tertilt

11. März 2011

Japan: Das stärkste je in Japan gemessene Erdbeben erschüttert das Land. Es zerstört auch die externe Stromzufuhr des Kernkraftwerks Fukushima. Die Kühlwasserpumpen müssen deswegen mit der Notstromversorgung betrieben werden.

Wenig später löst das Beben einen Tsunami aus. Seine riesigen Wellen zerstören auch noch die Notstromversorgung im Kernkraftwerk Fukushima. Nur für wenige Stunden können zusätzliche Notbatterien die Pumpen betreiben.

Eilig herbeigeschaffte mobile Notstromaggregate lassen sich nicht anschließen. Die Folge: Die Reaktorkühlung fällt gänzlich aus. Dadurch überhitzen die Reaktoren und unkontrollierbare Kernschmelzen drohen. Rund 2000 Bewohner im Umkreis von drei Kilometern werden in Sicherheit gebracht.

Ein Mann in Schutzkleidung überprüft mit einem Gerät die Strahlung von einer Mutter und ihrem Baby

Medizinisches Personal überprüft die Strahlenbelastung in einem Dorf nahe Fukushima

Deutschland: Das Bundesumweltministerium richtet noch am gleichen Tag einen Krisenstab ein. Sein Ziel: die deutsche Bevölkerung über das Unglück in Japan zu informieren und zu verhindern, dass kontaminierte Lebensmittel und Waren importiert werden.

Bis zum 18. März 2011

Japan: In drei Reaktoren des Kernkraftwerks Fukushima hat die Kernschmelze eingesetzt, was die Kraftwerksbetreiberfirma Tepco jedoch monatelang leugnen wird. Am 12. März werden alle Menschen im Umkreis von 20 Kilometern um das Kraftwerk aus der Zone herausgebracht.

Die Strahlung im Atomkraftwerk steigt auf das Tausendfache des Normalwerts. Mehrere Wasserstoffexplosionen beschädigen und zerstören in den nächsten Tagen die äußere Schutzhülle von insgesamt vier Reaktorblöcken. Radioaktive Partikel gelangen daraufhin in die Umwelt.

Weil manche Blöcke kaum noch gekühlt werden können, sollen am 17. März Hubschrauber Wasser in die beschädigten Blöcke leiten. Der Einsatz wird wegen der hohen Strahlenbelastung abgebrochen.

Erfolgreicher ist die äußere Kühlung mit Wasser aus Wasserwerfern und Löschfahrzeugen. Außerdem gelingt es, eine Notstromversorgung für die Kühlwasserpumpen in zwei Blöcken aufzubauen. Die Betreiberfirma Tepco spricht davon, die Lage bald unter Kontrolle bringen zu können. Kritiker bezweifeln das. Die Arbeiter kämpfen mit extremer Strahlung und Hitze.

Deutschland: Am 14. März setzt die Bundesregierung überraschend die erst im Oktober 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke vorübergehend aus. Insgesamt acht deutsche Kernkraftwerke werden vom Netz genommen. Alle 17 deutschen Kernkraftwerke müssen nun auf ihre Sicherheit überprüft werden.

Ein Stoppschild, im Hintergrund das Kernkraftwerk Biblis in Hessen

Die deutsche Regierung nimmt acht Atomkraftwerke vom Netz

Bis zum 25. März 2011

Japan: Lebensmittel aus dem Amtsbereich Fukushima überschreiten die zulässigen Höchstwerte für Radioaktivität. Die japanische Regierung verhängt ein Verkaufsverbot.

Im Kernkraftwerk stabilisiert sich die Lage etwas: Die Notstromversorgung kann ausgebaut werden. Durch die behelfsmäßigen Kühlmaßnahmen sinken die Temperaturen in den Abklingbecken auf unter 100 Grad. Die regulären Kühlanlagen funktionieren jedoch immer noch nicht.

Ein japanischer Milchbauer im Amtsbezirk Fukushima kippt am 23. März radioaktiv kontaminierte Milch weg

Ein Milchbauer aus dem Amtsbezirk Fukushima muss belastete Milch wegschütten

Deutschland: Die deutsche Bundesregierung beauftragt die Ethikkommission "Sichere Energieversorgung" damit, die Risiken der Kernenergie neu zu bewerten und Vorschläge für einen Atomausstieg zu erarbeiten. Die Europäische Union (EU) beschließt einen so genannten Stresstest für alle 143 Kernkraftwerke der EU. Diesem müssen sich auch die deutschen Kernkraftwerke unterziehen.

Bis Ende März 2011

Japan: Die japanische Regierung räumt eine partielle Kernschmelze in einem der Reaktoren ein. In ganz Japan dürfen Wasseraufbereitungsanlagen kein Regenwasser mehr verwenden, aus Flüssen darf kein Trinkwasser mehr entnommen werden und offene Wasserbecken müssen mit Planen abgedeckt werden.

April 2011

Japan: Für die Kühlung der Reaktoren wird ständig kaltes Meerwasser in die zerstörten Reaktoren geleitet. Dadurch sammeln sich in vier Blöcken ungefähr 60 Millionen Liter radioaktives Wasser an, das auch in die Umgebung abfließt und ins Grundwasser gelangt.

Eine Karte von Japan mit Standort Fukushima und dem Strahlungsradius

Von Fukushima geht radioaktive Strahlung aus

Mai 2011

Japan: Nach verschiedenen Abdichtungs- und Eindämmungsmaßnahmen scheint kein kontaminiertes Wasser mehr ins Meer abzulaufen. Die Chefs des Kraftwerkbetreibers Tepco treten zurück. Das Reaktorgebäude 1 soll ummantelt werden, um zu verhindern, dass weitere Radioaktivität in die Umgebung entweicht. Aus diesem Grund werden auch vier Reaktorblöcke mit Kunstharz besprüht.

Deutschland: In nur sechs Wochen hat die Reaktorsicherheitskommission (RSK) im Auftrag der Bundesregierung alle 17 deutschen Atomkraftwerke dem Stresstest unterzogen. Am 30. Mai stellt die Ethikkommission in ihrem Abschlussbericht vor, wie Deutschland innerhalb eines Jahrzehnts endgültig aus der Kernenergie aussteigen kann. Zwar hat sich das Sicherheitsniveau deutscher Kernkraftwerke seit Fukushima nicht verändert, aber die Bevölkerung ist sensibilisiert.

Juni 2011

Deutschland: Am 6. Juni 2011 beschließt das Bundeskabinett in einer Sondersitzung das Aus für acht Kernkraftwerke und den vorzeitigen stufenweisen Atomausstieg bis 2022. Damit leitet die Regierung eine grundlegende Energiewende ein. Die Mehrheit der Deutschen begrüßt diese Entscheidung.

August 2011

Deutschland: Die 13. Novelle zum Atomgesetz tritt in Kraft und folgende Atomkraftwerke werden sofort vom Netz genommen: Biblis A, Biblis B, Brunsbüttel, Isar 1, Krümmel, Neckarwestheim 1, Philippsburg 1 und Unterweser.

Dezember 2011

Japan: Die japanische Regierung erklärt das havarierte Kernkraftwerk Fukushima für sicher. In den Reaktoren bleibe die Temperatur unter 100 Grad und aus dem Atomkraftwerk trete nur noch wenig Radioaktivität aus. Umweltschützer kritisieren das als Irreführung der Bevölkerung.

2012

Japan: Im Januar beschließt die japanische Regierung die Laufzeitbegrenzung der japanischen Kernkraftwerke auf 40 Jahre. Im Mai wird vorübergehend für zwei Monate das letzte Kernkraftwerk in Japan abgeschaltet und durch fossile Kraftwerke ersetzt. Im Juli kommt eine japanische Expertenkommission zu dem Ergebnis, dass das Reaktorunglück hauptsächlich auf menschliches Versagen zurückzuführen ist.

Demonstranten protestieren mit Transparenten gegen Atomkraftwerke in Japan

Demonstrationen gegen Atomenergie in Tokio

2013

Japan: Die meisten der 54 japanischen Atomreaktoren werden gewartet oder einem Stresstest unterzogen. Zum zweiten Mal seit dem Fukushima-Atomunglück stehen in Japan sämtliche Kernkraftwerke still. Infolgedessen steigen die Energiepreise.

2014

Japan: Wieder läuft verstrahltes Wasser ins Meer und regelmäßig fallen im havarierten Atomkraftwerk die Kühlsysteme aus. Die größte Herausforderung ist es, den bereits geborgenen Atommüll sicher zu lagern. Die Strahlenbelastung in der Region ist sehr hoch. Ob und inwiefern sich dies auf die Menschen vor Ort auswirkt, ist unklar.

2015

Japan: Knapp 120.000 Menschen können wegen der Strahlung noch immer nicht zurück in ihre Heimat. Trotz massiver Anti-Atomkraft-Proteste der Bevölkerung fährt Japan im August 2015 seinen ersten Atomreaktor wieder hoch, um zur Kernkraft zurückzukehren.

Im Oktober bestätigt Japans Regierung erstmals offiziell, dass ein ehemaliger Kraftwerksangestellter sehr wahrscheinlich aufgrund der radioaktiven Strahlung nach der Kernschmelze an Leukämie erkrankt ist.

Offen ist weiterhin die Frage, ob das Atomunglück für Schilddrüsenkrebs bei Kindern und Jugendlichen im Amtsbezirk Fukushima verantwortlich ist. Die Regierung hatte flächendeckend mehr als 300.000 Kinder und Jugendliche untersucht. Das Ergebnis: 116 Fälle von bestätigten oder verdächtigten Krebsfällen. Die Rate bei den Fukushima-Kindern war im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung um das 20- bis 50-fache höher.

Allerdings ist unklar und selbst unter Wissenschaftlern strittig, ob diese Ergebnisse auf die flächendeckenden Untersuchungen zurückzuführen sind oder ob es tatsächlich einen Zusammenhang mit dem Kraftwerksunfall gibt. Die japanische Regierung bestreitet den Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und dem Reaktorunglück.

Noch immer laufen die Aufräumarbeiten in Kernkraftwerk Fukushima. Experten zufolge könnten sie noch Jahrzehnte andauern.

Ein Fahrer im Schutzanzug fährt durch das verwüstete Kernkraftwerk Fukushima

Auch Jahre nach dem Unglück müssen sich die Arbeiter vor den Strahlen schützen

(Erstveröffentlichung 2016. Letzte Aktualisierung 13.12.2021)

Quelle: WDR

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