Was in der Pubertät im Gehirn passiert

Planet Wissen 14.05.2024 07:01 Min. UT Verfügbar bis 13.10.2028 WDR

Psychologie

Pubertät

Die Eltern sind doof, die Schule nervt, und das Leben ist fürchterlich anstrengend – das ist die Zeit zwischen elf und 18 Jahren, auch Pubertät genannt. Für die Jungs und Mädchen gleicht das Leben dann einer Baustelle.

Von Christiane Tovar, Tobias Aufmkolk

Früher in die schweren Jahre

In der Pubertät verändert sich der Körper mit jedem Tag ein bisschen mehr, und auch im Gehirn geht einiges durcheinander. Und als wäre das noch nicht genug, stürzt die erste Liebe viele Jugendliche in ein tiefes Gefühlschaos.

Der Begriff Pubertät kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "Mannbarkeit". Damit wird die Zeit bezeichnet, in der Kinder beziehungsweise Jugendliche geschlechtsreif werden.

Mitte des 19. Jahrhunderts bekamen die meisten Mädchen mit knapp 17 Jahren ihre erste Regelblutung. Heute haben viele junge Frauen schon deutlich früher ihre erste Periode. Die Jungs stehen ihnen da in nichts nach: Sie haben ihren ersten Samenerguss manchmal schon vor dem zwölften Lebensjahr.

Als Gründe für die frühzeitigere Geschlechtsreife sehen Experten vor allem die verbesserte Ernährungslage der Bevölkerung im Laufe des vergangenen Jahrhunderts. Dazu kommt, dass Kinder häufiger an Übergewicht leiden. Vor allem bei Mädchen ist das kritisch zu sehen: Je mehr Fett der Körper einlagert, desto eher setzt die erste Regelblutung ein.

Ein weiterer, jedoch schwer nachzuweisender Grund könnte die in den vergangenen Jahrzehnten vermehrte Aufnahme der Chemikalie Bisphenol-A sein. Diese Chemikalie hat eine ähnliche Wirkung wie das weibliche Hormon Östrogen und könnte zu einer frühzeitigen Pubertät beitragen.

Immer früher in die Pubertät?

Planet Wissen 14.05.2024 02:50 Min. UT Verfügbar bis 13.10.2028 WDR

Forscher der Universität Florenz wollen noch einen weiteren Grund entdeckt haben: Sie gehen davon aus, dass es einen Zusammenhang zwischen Fernseh- und Computerkonsum und dem Eintritt der Pubertät gibt.

Die These: Durch die Strahlung der Monitore verringere sich das Hormon Melatonin. Die niedrigere Konzentration habe Einfluss auf den Beginn der Geschlechtsreife.

Die Pubertät beginnt im Kopf

Die sogenannten Gonadotropine setzen die Vorgänge im Körper in Gang. Diese Hormone werden in der Hirnanhangdrüse gebildet und lassen die Keimdrüsen wachsen.

Die wiederum übernehmen dann die Produktion der eigentlichen Sexualhormone. Die Annahme, dass Mädchen nur weibliche und Jungen nur männliche Hormone produzieren, ist mittlerweile überholt.

Heute weiß man, dass die Pubertät bei beiden Geschlechtern durch beide Hormongruppen angestoßen wird. Das Verhältnis ändert sich erst im Laufe der Pubertät – bei den Mädchen zugunsten der Östrogene, bei den Jungs überwiegen dann die Testosterone.

Mädchen bekommen einen Wachstumsschub

Zunächst einmal verändert sich der Körper: Die Mädchen bekommen im Alter zwischen zehn und elf einen gehörigen Wachstumsschub. Dabei werden als erstes die Hände und die Füße größer. Auch die Brust und die ersten Schamhaare beginnen zu wachsen.

Mit zwölf schießen die Mädels dann noch mal so richtig in die Höhe. Außerdem entwickeln sich die Schweißdrüsen und das Schamhaar beginnt sich zu kräuseln.

Zwischen 13 und 14 setzt dann meistens die erste Regelblutung ein, dann werden auch das Becken und die Hüften breiter, unter den Armen bildet sich ein zarter Flaum.

Mit 15 ist die Brust ausgewachsen, der Zyklus wird regelmäßiger und der erste Eisprung setzt ein. Ein Jahr später sind die Mädchen voll fortpflanzungsfähig.

Jungen kommen etwas später in die Pubertät

Bei den Jungen setzt die Pubertät mit rund zwölf Jahren ein, also etwas später als bei den weiblichen Teenagern. Zuerst wachsen die Hoden, der Hodensack und die Schamhaare. Dann beginnt auch der Penis größer zu werden. Im Alter von 13 folgt der Wachstumsschub, der sich im Schnitt über drei Jahre hinzieht.

Bis die Jungs 15 Jahre alt sind, haben die meisten ihre erste Ejakulation gehabt, dann wachsen auch erste Körper- und Gesichtshaare und die Schweißdrüsen entwickeln sich. Mit 16 ist die Pubertät bei den meisten beendet. Die ersten reifen Samenzellen werden produziert.

Und noch etwas verändert sich: Die Stimme der Jungen ist nach dem Stimmbruch etwa eine Oktave tiefer.

Baustelle – auch im Gehirn

Dass sich der Körper in der Pubertät verändert, ist offensichtlich. Doch auch im Gehirn der Teenager passiert einiges. Früher ging die Wissenschaft davon aus, dass das Gehirn eines sechsjährigen Kindes so gut wie ausgewachsen ist. Neue Studien belegen aber, dass das nicht stimmt.

Pionier auf dem Gebiet ist der US-Psychiater Jay Giedd. Er fand unter anderem heraus, dass in der Pubertät neue Verbindungen zwischen Nervenzellen geknüpft werden und andere dafür verschwinden.

Von diesen Vorgängen sind in erster Linie die sogenannten Stirnlappen betroffen. In dieser Hirnregion befindet sich ein wichtiges Kontrollzentrum. Möglicherweise sind die Launen und die Entscheidungsschwächen, die Vergesslichkeit und die Unberechenbarkeit und nicht zuletzt auch die Lernschwächen vieler Pubertierender Resultate dieser Umbaumaßnahmen.

Und noch etwas kommt hinzu: Weil das Gehirn einer Baustelle gleicht, schaden ihm Alkohol, Nikotin und andere Drogen ganz besonders.

Jugendliche stoßen mit Alkopop-Flaschen an.

Alkohol: verlockend, aber auch gefährlich

Zeit des Zweifels und der Unsicherheit

Außerdem ist die Pubertät eine Zeit des Zweifelns und der Unsicherheit. Die Pubertierenden fühlen sich nicht mehr als Kind, aber die Welt der Erwachsenen erscheint oft unverständlich und mysteriös.

Es kommt einiges zusammen: das Gefühlschaos der ersten Liebe, Probleme mit dem veränderten eigenen Körper, Sinnkrisen. Manche Pubertierende leiden unter Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie, andere haben sogar Suizidgedanken.

Weitere Forschungen zeigen, dass die Verarbeitung von Emotionen bei Teenagern und Erwachsenen in unterschiedlichen Hirnarealen ablaufen. Das erklärt auch die sehr unterschiedlichen Reaktionen.

In mehreren, ähnlich aufgebauten Studien wurden Jugendlichen und Erwachsenen Porträtfotos von Menschen mit wütendem, lachendem, ärgerlichem und aggressivem Gesichtsausdruck gezeigt. Sie sollten die Emotionen der jeweiligen Mimik zuordnen. Währenddessen beobachteten die Forscher das arbeitende Gehirn.

Die Heranwachsenden nutzten ein Areal namens Amygdala für die Zuordnung. Das ist eine Hirnregion, in der Entscheidungen eher emotional und kurz entschlossen getroffen werden.

Bei den Älteren fand derselbe Prozess im wesentlich weiter entwickelten frontalen Cortex statt, einer übergeordneten Einheit. Wissenschaftler schließen daraus, dass Jugendliche schlichtweg nicht in der Lage sind, Emotionen richtig einzuordnen und deswegen oft impulsiv reagieren.

All diese Erkenntnisse können das Gefühlschaos und die Unsicherheiten und Ängste, die die Veränderungen des Körpers mit sich bringen, natürlich nicht besser machen – aber vielleicht dazu beitragen, dass Kinder und Eltern in dieser schweren Zeit ein bisschen mehr Verständnis füreinander haben.

(Erstveröffentlichung 2004. Letzte Aktualisierung 20.08.2020)

Quelle: WDR

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