Hieroglyphen

Antike

Hieroglyphen

Lange war das Wissen um die altägyptische Schrift verloren. Die Kunst, sie zu lesen, war mit dem Untergang des pharaonischen Reichs verloren gegangen. Erst durch einen zufälligen Fund konnte das Rätsel der Hieroglyphen gelöst werden.

Von Lene Kemling

Eine belebte Schrift

Die Hieroglyphen sind eine Schrift von unglaublicher Schönheit. Kaum eine antike Schrift löst einen solch rätselhaften Zauber beim Betrachter aus. Diese magischen Zeichen des alten Ägyptens scheinen zu uns zu sprechen, auch wenn wir sie nicht entziffern und lesen können. Die Grundlagen dieser Schrift sind kunstfertig vereinfachte Darstellungen der Realität.

Die Hieroglyphen sind eine belebte Schrift. Neben einem sitzenden Mann, einem geschlossenen Mund oder einem angewinkelten Arm bevölkern zahlreiche Tiere die hieroglyphischen Texte. Eine stolze Gans schreitet nach rechts, ein kleines Küken streckt den Schnabel in die Luft, ein Hase ruht lang gestreckt oder eine Eule blickt mit ihren dunklen Augen direkt auf den Betrachter. Diese lebendigen Zeichen wecken die Neugier, sie lesen und verstehen zu können.

Ausschnitt: Ein Falke und ein Kauz als Hieroglyphe

Ein Falke und ein Kauz als Hieroglyphe

Heilige Vertiefungen

Für die Ägypter selbst waren die Hieroglyphen die "medu-netscher", die Gottesworte. Unser heutiger Ausdruck "Hieroglyphen" entstammt dem Griechischen und bedeutet "heilige Vertiefungen". Was verbirgt sich hinter dieser heiligen Schrift?

Hieroglyphen wurden vor allem im kultischen Rahmen verwendet und sind somit eine Schmuckschrift. Sollte etwas dagegen schnell festgehalten werden, nutzten die Schreiber im alten Ägypten nicht die Hieroglyphen. Sie schrieben in Hieratisch, einer Art kursiver Schreibschrift der Hieroglyphen.

Im direkten Vergleich der beiden Schriften kann man in der hieratischen Schrift noch die Hieroglyphen erkennen. Doch die hieroglyphischen Zeichen werden zu Strichen und Strichgruppen vereinfacht.

Gegenstände und Abbildungen lassen sich in der hieratischen Schrift nicht mehr erkennen. Hieratische Schriftstücke sind außerdem handschriftlich geprägt und daher noch schwerer zu entziffern als hieroglyphische Texte.

Steinrelief mit Figuren und Hieroglyphen

Hieroglyphen haben kultische Bedeutungen

Schriftkunst

Als Relief, gemalt oder in den Stein getrieben – Hieroglyphen sind wahre Meisterwerke. In kaum einer anderen Sprache ist der Übergang zwischen Schrift und Kunst so fließend. Hieroglyphen sind formvollendete Zeichen.

Zeichen, die mit wenigen Linien den Gegenstand stilisieren. Die Ägypter schafften in ihrer Schrift bereits das, was viele Künstler später über Jahre zu entwickeln versuchten: das Bezeichnende eines Wesens in wenigen Strichen einzufangen. Die Tierdarstellungen geben in schlichter Genauigkeit das charakteristische Wesen des Tieres wieder.

Ein Totenpapyrus auf dem Ani mit seiner Frau (rechts) beim Blumenopfern dargestellt sind. Links der Totengott Anubis mit Hundekopf und Schutzgötter.

Der Übergang zwischen Gemälde und Text ist fließend

Magische Zeichen

Im alten Ägypten hatten Hieroglyphen heilige und magische Bedeutung. Nach Meinung der alten Ägypter konnte man das Leben einer Person auslöschen, indem man allein den Namen einer Person auslöschte. So wurden beispielsweise die Namenszüge Hatschepsuts, des ersten weiblichen Pharaos, später aus nahezu allen Tempeln entfernt.

Und beinahe hätte die Auslöschung der Person Hatschepsut auch funktioniert. Hätten Archäologen nicht in den obersten Winkeln einiger Säulen noch ihren Namen gefunden, wüssten wir heute vielleicht nicht, dass Hatschepsut einst als Pharaonin das Land am Nil regierte.

Erfinder der Schrift?

Ob die Ägypter die Schrift an sich erfunden oder sie einer benachbarten Kultur entlehnt haben, kann bis heute nicht mit Gewissheit beantwortet werden. Weiterentwickelt wurden die Hieroglyphen jedoch am Nil. Denn die Bilder, aus denen sich die Hieroglyphen zusammensetzen, entstammen seinem kulturellen Umfeld.

Die ägyptische Kultur konnte sich erst durch die Erfindung der Schrift entwickeln. Ohne schriftliche Aufzeichnungen hätte am Nil kein Staatssystem von dieser Größe entstehen können. Namen und Orte des ausgedehnten Staatsgebietes mussten notiert und durch eine Zentralgewalt verwaltet werden. Ohne die Möglichkeit, sich untereinander schriftlich zu verständigen, wäre das ägyptische Reich nicht regierbar gewesen.

Blick auf den Tempel der Königin Hatschepsut unterhalb des felsigen Wüstengebirges in Luxor.

Die ägyptische Kultur konnte sich erst durch die Schrift entwickeln

Die Schreiber

Nur sehr wenige Ägypter beherrschten damals die hieroglyphische Schrift. Von der gesamten Bevölkerung waren vielleicht gerade mal ein bis fünf Prozent schreibkundig. Der Berufsstand des Schreibers wird in ägyptischen Schriften gerühmt: "Werde Schreiber, dann bleiben deine Glieder glatt und deine Hände zart."

Schreiber gehörten zur Spitze der ägyptischen Gesellschaft. Das Amt wurde meist vom Vater auf den Sohn übertragen. Den Schreibschülern stand dann eine harte Ausbildung bevor. 700 Zeichen mussten sie erlernen und den Schritt von ersten unbeholfenen Zeichnungen zu den stilistisch ausgereiften Hieroglyphen bewältigen.

Noch heute findet man altägyptische Notizzettel, auf denen man diese Schreib- und Zeichenversuche nachvollziehen kann.

Rechtschreibfehler in Gräbern und auf Fresken

Tatsächlich finden sich in den schmucken, hieroglyphischen Wandschriften immer wieder Schreibfehler. Die wenigsten Handwerker, die die Hieroglyphen in den Stein trieben, konnten selbst lesen und schreiben. Sie mussten sich auf das verlassen, was sie von den Schreibern vorgegeben bekamen.

Nicht immer waren die Schreiber mit ihrem ersten Entwurf zufrieden, sondern besserten nach. So entstanden teilweise verschiedene Konturlinien übereinander. Bei unklaren Konturen konnte der Handwerker aufgrund mangelnder Schriftkenntnisse nicht auf den Satzzusammenhang achten, sondern musste sich ganz auf die Vorzeichnungen verlassen. So schlichen sich auch in die hieroglyphischen Texte Fehlerteufel ein.

Aussprache

Die hieroglyphische Schrift kennt keine Vokale, denn diese werden nicht mitgeschrieben. Die Texte bestehen aus einer Aneinanderreihung von Konsonanten. Die genaue Aussprache der altägyptischen Sprache kann man deshalb heute nicht mehr ermitteln. Es gibt jedoch einige Anhaltspunkte, wie die Ägypter zu Zeiten der Pharaonen gesprochen haben mögen.

Zum einen gibt es andere antike Sprachen, in denen Vokale aufgezeichnet wurden. Sie können Hinweise auf die altägyptische Aussprache liefern. Ähnlich wie man aus dem französischen "le walkman" auf die Aussprache des englischen "walkman" schließen kann, kann man auch aus antiken Schriftfunden die altägyptische Aussprache rekonstruieren. Namen ägyptischer Herrscher wurden in anderen antiken Schriften als sogenannte vokalisierte Transkriptionen festgehalten, ähnlich dem französischen "le walkman".

Einen weiteren Hinweis auf die Aussprache gibt das Koptische. Das Koptische ist die späteste aller altägyptischen Sprachformen. Die Priester der koptischen Kirche halten ihre Messen bis zum heutigen Tag in dieser Spätform der altägyptischen Sprache ab. Auch bei der Entzifferung der Hieroglyphen spielte das Koptische eine entscheidende Rolle.

Untergang und Entschlüsselung der Schriftzeichen

Beinahe 1000 Jahre lang war das Wissen um die altägyptische Schrift verloren. Mit dem Untergang des pharaonischen Reichs waren auch die Kenntnisse der hieroglyphischen Schrift untergegangen.

Als 1798 zum ersten Mal Gelehrte und Künstler im militärischen Verband Napoleons nach Ägypten reisten, um die vergangene Hochkultur zu dokumentieren, konnten sie das, was sie dort sahen, zwar abzeichnen und beschreiben – entziffern und verstehen konnten sie die altägyptische Kultur jedoch nicht. Die Hieroglyphen schienen zu den Gelehrten zu sprechen, die Textinhalte gaben sie jedoch nicht preis.

Aus den Reiseberichten der Gelehrten und Künstler von damals entstand die "Déscription de l'Egypte" – die Beschreibung Ägyptens. Mit dieser Veröffentlichung brach in Europa eine Ägyptomanie aus und Scharen von Touristen machten sich auf, um die alte Hochkultur kennenzulernen.

Auch der Franzose Jean-François Champollion ließ sich von der Ägyptomanie anstecken – und konnte später als Erster die Hieroglyphen entschlüsseln.

Ägyptisches Grab mit Schädeln und Relief

Mit dem Untergang der Ägypter gingen auch die Kenntnisse von den Hieroglyphen verloren

Quelle: SWR | Stand: 09.12.2020, 16:38 Uhr

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