Bundeswehrsoldat auf Hausdach in Kundus.

Geschichte der Bundeswehr

Posttraumatische Belastungsstörung PTBS

Die Belastung für Soldaten endet nicht dann, wenn der Kampf vorüber ist. Der Krieg geht im Kopf der Betroffenen oft weiter und kann zu einer psychischen Erkrankung führen. Wie geht die Bundeswehr damit um?

Von Ingo Neumayer

Wenn die Erinnerung angreift

Es kann ein Geruch sein. Ein Geräusch. Eine Bewegung. Ein Schatten. Ein scheinbar harmloser Auslöser reicht und der Schrecken ist wieder da. Die Angstschreie, die Explosionsgeräusche, der Geruch von Blut. Wer an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leidet, wird mit einem Schlag zurückgeworfen und von den Erinnerungen heimgesucht.

Diese fühlen sich so real an, als befände sich der Betroffene wieder in der traumatischen Situation, die er Wochen oder Monate zuvor erlebt hat. In Gedanken wiederholt sich das Ereignis, das Gewaltverbrechen, der Unfall, die Naturkatastrophe, der Terroranschlag oder das Gefecht.

Auch Zeugen können an einer PTBS erkranken. In diesen Fällen versagen jene Mechanismen, mithilfe derer ein Mensch das Erlebte verarbeitet und reguliert. Die Betroffenen spüren Angst, ihre Gedanken sind düster. Während sie die Situation innerlich wiedererleben, reagiert auch ihr Körper, indem er zittert und schwitzt, das Herz rast, Übelkeit breitet sich aus.

PTBS-Patienten leiden jedoch nicht bloß an Flashbacks. Viele von ihnen sind depressiv, fühlen sich schuldig, taub und empfindungslos, sie schämen sich. Sie scheuen den Kontakt zu anderen oder meiden Freizeitaktivitäten, die sie früher gern gemacht haben, sind leicht reizbar, haben Konzentrationsschwierigkeiten und Schlafstörungen. Ihre Sicht auf die Dinge und auf sich selbst hat sich verändert.

PTBS-Fälle in der Bundeswehr steigen

Zu den Menschen, die deutlich öfter in traumatisierende Situationen geraten, gehören seit jeher Soldaten. Seit Jahrhunderten werden die Symptome, die für PTBS typisch sind, bei ihnen entdeckt und beschrieben. Wurden die Soldaten früher noch als "nostalgisch" oder "Kriegszitterer" diffamiert, hat sich das Bild nach dem Vietnamkrieg gewandelt.

Zehntausende von Veteranen kehrten mit psychischen Problemen in die USA zurück, litten unter Angstzuständen oder hatten Schwierigkeiten, in ihr altes Leben zurückzufinden. Psychologen gehen davon aus, dass etwa jeder dritte Soldat, der in Vietnam war, hinterher an PTBS litt.

Seit Bundeswehr-Soldaten im Ausland tätig sind und sich an Kampfhandlungen beteiligen, sind die Posttraumatischen Belastungsstörungen auch hier ein Thema. Die Anzahl der betroffenen Soldaten hat sich seit den 1990ern kontinuierlich erhöht. 2018 wurden insgesamt 1875 PTBS-Fälle in der Bundeswehr behandelt, jedes Jahr kommen mehr als 100 Fälle hinzu.

Die Bundeswehr begründet den Anstieg als Folge der stärkeren Belastungen im Einsatz, der langen Therapiedauer sowie einer größeren Offenheit im Umgang mit PTBS. Psychische Erkrankungen würden in der Truppe besser akzeptiert, die Bereitschaft, sich behandeln zu lassen, sei gewachsen.

Bundeswehrsoldaten im Einsatz in Afghanistan

Bundeswehrsoldaten im Einsatz in Afghanistan

Erkennen, Vermeiden, Behandeln

Die Bundeswehr zählt das Erkennen und Vermeiden von PTBS zur "ständigen Führungsaufgabe" und setzt dafür Ärzte, Psychologen, Seelsorger und Sozialarbeiter ein. Kriseninterventionsteams sollen sich während und nach dem Einsatz um die Betroffenen kümmern.

Um die Soldaten im Einsatz nach einem belastenden Ereignis zu stabilisieren, wird eine dreitägige Kurzerholung durchgeführt. Nach der Rückkehr in die Heimat wird bei allen Soldaten eine Untersuchung durchgeführt, in der vor allem auf PTBS-Symptome geachtet wird.

Zwei Monate nach dem Ende des Einsatzes finden Seminare statt, in denen die Soldaten ihre Erlebnisse aufarbeiten können, um den Einsatz abzuschließen.

Die Soldaten, die keine Krankheitsanzeichen aufweisen, können eine Präventivkur durchführen, um möglichen Spätfolgen vorzubeugen. Um die Fitness der Psyche zu messen, sollen künftig Screenings vor und nach den Auslandseinsätzen gemacht werden. So soll möglichst im Vorfeld festgestellt werden, ob Beratungen, Präventivkuren oder zusätzliche Maßnahmen zur Belastungsreduktion angebracht sind.

Zudem hat die Bundeswehr eine Hotline und Online-Beratung eingerichtet, um Betroffenen und deren Angehörigen zu helfen. Sollte bei einem Soldaten PTBS diagnostiziert werden, wird dieser in der Regel in einem Bundeswehrkrankenhaus behandelt. Da die Fallzahlen gestiegen sind und die Patienten möglichst nahe der Heimat versorgt werden sollen, nutzt die Bundeswehr auch oft zivile Einrichtungen.

Die Chancen für die Genesung stünden gut, heißt es seitens der Bundeswehr.

Bundeswehrsoldat vor Behandlungszimmer.

Eine Therapie kann den Betroffenen helfen

Dunkelziffer und fehlende Anerkennung

Eine Studie im Auftrag des Bundestags, die 2013 vorgestellt wurde, sieht allerdings noch deutlichen Verbesserungsbedarf im Umgang der Bundeswehr mit PTBS-Patienten. So soll es eine hohe Dunkelziffer von Soldaten geben, deren Erkrankung nicht erkannt und behandelt wird. Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass aus Scham oder Angst vor Nachteilen im Beruf nur jeder zweite Betroffene professionelle Hilfe suche.

Eine Annahme, die Lars Schlierkamp 2012 gegenüber dem Magazin "Fluter" bestätigt. Der Soldat aus Münster wurde in Afghanistan Zeuge mehrerer Angriffe durch die Taliban. Aus Sorge um seine Karriere und sein Ansehen unter den Kameraden behielt er die psychischen Probleme lange für sich. "Als ich das den Kollegen und meiner Familie erzählt habe, war das bestimmt so ähnlich wie für Homosexuelle, die sich outen", sagt Schlierkamp.

Zudem klagen manche PTBS-Patienten über Schwierigkeiten, die Krankheit als "Wehrdienstbeschädigung" anerkennen zu lassen. Die Verfahren zur Überprüfung dauerten zu lange und oft würden andere Gründe als das traumatische Ereignis für die psychische Erkrankung gesucht. Nur wenn eine "Wehrdienstbeschädigung" festgestellt wird, zahlt die Bundeswehr finanzielle Hilfen.

(Erstveröffentlichung 2014. Letzte Aktualisierung 03.07.2019)

Quelle: WDR

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