Container mit Aufschrift "Made in Germany".

Exportnation Deutschland

Kritik am deutschen Exportmodell

Deutschland ist eine weltweit führende Exportnation. Jeder dritte deutsche Arbeitsplatz hängt direkt oder indirekt mit dem globalen Handel zusammen, in der Industrie ist es sogar jeder zweite. Doch die Stärke der Exportwirtschaft verursacht auch Probleme.

Von Beate Krol

Kritikpunkt 1: Deutschland macht sich abhängig von der Weltkonjunktur

Die deutsche Exportindustrie ist darauf angewiesen, dass die weltweite Wirtschaft gut läuft. Ist das nicht der Fall, ist der auf dem Export basierende Wohlstand schnell gefährdet. Das zeigte sich zuletzt bei der Weltwirtschaftskrise von 2008. Innerhalb von nur einem Jahr brach das deutsche Exportgeschäft um fast ein Fünftel ein.

Ähnlich dramatisch könnte sich der Handelskrieg zwischen den USA und China auswirken. Experten erwarten, dass der Handel weltweit ins Stocken kommt, wenn sich beide Länder mit Strafzöllen überziehen. Auch überraschende politische Entscheidungen wie der Brexit treffen Deutschland als Exportnation härter als Länder, die eine starke Binnenwirtschaft haben.

Grafik Weltwirtschaftskrise

In der Weltwirtschaftskrise2008 brach das deutsche Exportgeschäft um fast ein Fünftel ein

Kritikpunkt 2: Die Exportindustrie ist zu mächtig

Die hohe Anzahl an Arbeitsplätzen, die am Export hängen, sorgt dafür, dass die Politik der Exportindustrie oft stark entgegenkommt. Sie ist sozusagen "too big to fail" – zu groß zum Scheitern. Bei der Weltwirtschaftskrise stützte die Bundesregierung die deutsche Autoindustrie beispielsweise mit der Abwrackprämie, die die deutschen Steuerzahler fünf Milliarden Euro kostete.

Auch dass die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel sich bei der Europäischen Union (EU) immer wieder vehement für die Lockerung der eigentlich geplanten EU-Abgaswerte einsetzte, hängt mir der großen Bedeutung der Exportindustrie zusammen. Im Zweifel gilt "Export first" – selbst wenn Deutschland dafür internationale Verträge brechen muss.

Nahaufnahme Auspuff eines Autos.

Die EU-Abgaswerte könnten die deutschen Automobil-Exporte behindern

Kritikpunkt 3: Arbeitnehmer zahlen den Preis für den Exporterfolg

Produkte "Made in Germany" sind aufgrund ihrer hohen Qualität im Ausland zwar begehrt, oft entscheidet aber auch der Preis darüber, ob die Unternehmen den Zuschlag erhalten.

Um den Preis so niedrig wie möglich zu halten, setzen viele deutsche Exportunternehmen auf Leiharbeit, befristete Beschäftigung und niedrige Löhne. Ganz besonders trifft das die Beschäftigten der Zuliefererindustrie. Sie erhalten oft nicht viel mehr als den Mindestlohn und bezahlen damit den Preis für den deutschen Exporterfolg.

Forderungen nach höheren Löhnen wehren die Unternehmen damit ab, dass deutsche Produkte dann nicht mehr konkurrenzfähig und deshalb Arbeitsplätze gefährdet seien. Nach dem Motto: besser eine schlecht bezahlte Arbeit als keine Arbeit.

Weil Leiharbeiter und befristet Beschäftigte kaum gewerkschaftlich organisiert sind, ist ihre Macht, gegen die schlechte Bezahlung vorzugehen, gering. Zudem sind viele Exportunternehmen aus der Tarifbindung ausgestiegen.

Streik gegen Leiharbeit.

Deutschland kann durch Leiharbeit und niedrige Löhne günstig produzieren

Kritikpunkt 4: Der deutsche Exportüberschuss schadet anderen Ländern

Deutschland exportiert deutlich mehr Waren, als es aus anderen Ländern einführt. Für die anderen Länder bedeutet das zum einen, dass sie Schulden anhäufen, weil sie mehr Geld ausgeben als einnehmen.

Zum anderen gerät ihre Exportindustrie immer mehr ins Hintertreffen. Weil die Unternehmen weniger Gewinne machen, können sie weniger in moderne Anlagen, Gebäude und Beschäftigte investieren. So verlieren sie weitere Marktanteile, während die deutsche Exportindustrie ihre Handelsbeziehungen ausbaut und festigt.

Leidtragende dieser Dynamik sind unter anderem Frankreich und Italien. Französische Arbeitsmarktexperten haben errechnet, dass aufgrund des Ungleichgewichts 400.000 Arbeitsplätze in Frankreich verloren gegangen sind.

Demonstration gegen Arbeitslosigkeit in Paris.

Demonstration gegen Arbeitslosigkeit in Paris

Was die Staaten besonders erzürnt: Deutschland hat auch deshalb so viel Erfolg, weil es EU-Regeln bricht. Eigentlich müssten die Löhne und Gehälter parallel zur Produktivität steigen. In Deutschland ist das nicht der Fall. So bootet die deutsche Exportnation andere EU-Länder aus.

Kritikpunkt 5: Dem Export fallen Bürger- und Menschenrechte zum Opfer

"Export first" – das heißt oft auch: Was kümmern uns die Menschenrechte? Viele deutsche Unternehmen beliefern autokratische Systeme und Diktaturen. Besonders umstritten sind Waffenexporte in Staaten, die Krieg führen oder ihre Bevölkerung unterdrücken. Dazu gehört beispielsweise Saudi-Arabien.

Zeichnung Panzer in Schwarz-Rot-Gold.

Deutsche Waffen für Saudi-Arabien: Exporterfolg geht vor Menschenrechte

Auch die Entwicklungsländer haben unter der deutschen Exportstärke oft zu leiden. Weil sie im Rahmen von Handelsabkommen den Zugang zu ihren Märkten freigeben müssen, kommen subventionierte EU-Waren ins Land, wie beispielsweise deutsches Milchpulver. Weil die heimischen Produzenten dagegen nicht ankommen, verschlechtert sich die Lage der einheimischen Wirtschaft, statt sich zu verbessern.

Umgekehrt muss Deutschland Zugeständnisse machen, weil es auf den Zugang zu anderen Märkten angewiesen ist. Diese Zugeständnisse gehen auch auf Kosten der Allgemeinheit. Bei dem gescheiterten Handelsabkommen TTIP war die deutsche Bundesregierung beispielsweise bereit, die umstrittenen privaten Schiedsgerichte zu akzeptieren.

Quelle: SWR | Stand: 13.08.2019, 14:30 Uhr

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