Gemälde von Johannes Calvin

Martin Luther

Johannes Calvin und die Reformation

Der Reformator Johannes Calvin hat mit seinen Ideen und Lehren das Wesen Europas so sehr geprägt wie kaum ein anderer. Sein Werk trug entscheidend zur Reformation in Europa bei und bereitete so den Weg für den Übergang vom Mittelalter in die Moderne.

Von Jessica Becker

Einflussreich und umstritten

Das Zentrum von Calvins Schaffen lag in der Schweiz, genauer gesagt in Genf, wo der gebürtige Franzose einen großen Teil seines Lebens verbrachte. Sein Einfluss reichte jedoch weit über die Grenzen der Schweiz hinaus.

So fand seine Lehre Anklang in westlichen und nordwestlichen Regionen des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen, in Schottland und Ungarn, in seiner Heimat Frankreich und vor allem in den Niederlanden.

Die immense Bedeutung Calvins wird von kaum jemandem in Zweifel gezogen, doch seine Theologie war und ist umstritten. Während seine Anhänger seinen "genialen politisch-theologischen Esprit" rühmen und betonen, dass erst Calvin "das städtische und das internationale Element in die Reformation eingebracht" hat, sprechen seine Gegner von "theologischem Terrorismus" und sehen in Calvin einen verbissenen Asketen und Dogmatiker.

Aufschrift auf einem Zugwagon "Reformations Jubiläum 2017". Daneben die Bilder der Reformatoren Johannes Hus, Martin Luther und Johannes Calvin.

Johannes Calvin (ganz links) war einer der großen Reformatoren Europas

Im Schatten Martin Luthers

In Deutschland steht Calvin häufig ein wenig im Schatten seines "Mit-Reformators" Martin Luther. Der hatte 1517 mit dem Anschlag seiner 95 Thesen gegen den Ablasshandel der katholischen Kirche den Stein der Reformation erst ins Rollen gebracht und deren frühe Phase zweifelsohne dominiert.

Zwischen Calvin und Luther gibt es viele Gemeinsamkeiten. Den Ablasshandel der katholischen Kirche lehnen beide ab, ebenso die Tradition der Heiligenverehrung und die Vorstellung, dass die Kirche als Lehrautorität zwischen Gott und den Menschen vermittelt.

Beide glauben vielmehr an eine Kirche, in der es keine Hierarchien zwischen den Gläubigen gibt – auch nicht zwischen Kirchengelehrten und Laien. So lässt sich sowohl Luthers als auch Calvins Theologie mit den vier zentralen Grundsätzen des Protestantismus zusammenfassen: sola fide (allein durch den Glauben), sola gratia (allein durch die Gnade), sola scriptura (allein durch die Schrift) und solus christus (allein Jesus Christus).

Calvin, mehr als 20 Jahre jünger als Luther, gilt vielen als Schüler des Wittenberger Reformators. Obwohl sie sich nie persönlich getroffen haben – die Lehren des jeweils anderen haben beide aufmerksam beobachtet und größtenteils wohlwollend zur Kenntnis genommen.

Bei allen Gemeinsamkeiten gibt es aber auch einige zentrale Unterschiede zwischen den Ideen Calvins und Luthers, die dazu führten, dass es heute nicht eine einheitliche protestantische Kirche gibt, sondern eine lutherische und eine reformierte.

Historischer Stich von Luther und Calvin

Luther und Calvin sind sich in Wirklichkeit nie begegnet

Zentrale theologische Unterschiede

In ihrer Ablehnung des katholischen Verständnisses des Abendmahls stimmen Luther und Calvin überein. Doch die "richtige" Interpretation der Eucharistie, des Abendmahls, wird zu einem der größten innerevangelischen Streitpunkte.

Von allen evangelischen Auslegungen ähnelt Luthers Vorstellung des Abendmahls am stärksten der der katholischen Kirche, wonach sich während der Abendmahlsfeier das Brot in den Leib und der Wein in das Blut Christi verwandeln (Transsubstantiation). Auch nach der lutherischen Auffassung ist Jesus Christus in Brot und Wein real präsent (Konsubstantiation).

Hier liegt der wichtige Unterschied zu Calvin: Jesus Christus sei beim Abendmahl in Brot und Wein nicht leiblich präsent, wohl aber in Form des Heiligen Geistes, der die Gläubigen beim Brechen des Brotes vereint (Spiritualpräsenz).

Nicht nur in ihren Vorstellungen zum Abendmahl unterscheiden sich Luther und Calvin. Auch im Bezug auf das Verhältnis zwischen Kirche und Staat haben die beiden abweichende Ideen. So spricht Luther von zwei Reichen – einem weltlichen Reich, in dem es eine (nicht zwingend christliche) Obrigkeit gibt, und einem Reich Gottes, in dem jede Hierarchie fehlt.

Auch Calvin unterscheidet eine weltliche und eine kirchliche Obrigkeit. Diese beiden haben jedoch die gleiche Aufgabe, nämlich die göttliche Ordnung aufrecht zu erhalten und die sogenannte Kirchenzucht durchzusetzen.

Die Kirchenzucht ist ein wichtiges Element der Calvin'schen Ekklesiologie, also seiner Auffassung von Kirche und deren Struktur und Aufgaben: Die Kirche sei obere Erzieherin der Gemeinde. Jeder Mensch soll von ihr im Katechismus unterwiesen werden, das heißt in den Regeln und Grundsätzen des christlichen Glaubens.

Wer diesen Regeln nicht folgt, muss sich vor dem Konsistorium verantworten, einer Institution, der Pastoren und Stadträte angehören. Sie richtet über die Vergehen der Menschen und kann auch Strafen verhängen.

Für einen Konfirmationsgottesdienst ist der Altar vorbereitet: Kerzen brennen, die Bibel ist aufgeschlagen, das Geschirr für das Abendmahl steht bereit

Das Abendmahl wird noch heute nach den Vorstellungen Calvins begangen

Gewaltenteilung in der Kirche

Die Kirchenzucht wird häufig von Calvin-Kritikern aufgegriffen. Sie sehen in ihr den Beweis für Calvins totalitäres Wesen. Anhänger Calvins betonen jedoch, dass seine Ekklesiologie komplexer war, sehen sein Kirchenverständnis vielmehr als Wegbereiter moderner demokratischer Gesellschaften und als Prinzip der Gewaltenteilung.

Die Genfer Kirchenordnung zum Beispiel, in der Calvins Vorstellungen umgesetzt sind, beruht auf einer Vierteilung der Kirchenämter: Pastoren predigen und verwalten die Sakramente, also Taufe und Abendmahl.

Lehrer unterrichten die Gemeinde und lehren den Katechismus. Zwölf Älteste, die jährlich neu gewählt werden, wachen im Konsistorium über die Einhaltung der Kirchenordnung. Diakone kümmern sich um die Armen und Kranken einer Gemeinde.

Alle Amtsträger haben eines gemein: "Nichts aus sich selbst heraus vorzubringen, sondern aus dem Mund des Herrn heraus zu reden". Sie sollen also keine eigene Interpretation predigen, sondern nur das Wort Gottes weitergeben, ganz dem Prinzip "sola scriptura".

Mehr noch als die Kirchenzucht wird ein anderes Element der Calvin'schen Theologie mit dem Genfer Reformator in Verbindung gebracht und kritisiert: das Prinzip der doppelten Prädestination.

Calvin geht davon aus, dass das Schicksal eines jeden Menschen von Anfang an vorherbestimmt ist – durch Gott. Das Handeln des Menschen habe keinen Einfluss darauf, ob er ewige Verdammnis oder ewige Seeligkeit erfahren würde.

Diese Haltung kann als Ablehnung der katholischen Tradition interpretiert werden, wonach der Mensch durch sein eigenes Handeln sein Schicksal beeinflussen kann, zum Beispiel durch den Erwerb von Ablassbriefen.

Calvin sieht das Schicksal eines Menschen als vollkommen unabhängig von seinem Handeln an. Das bedeutet aber nicht, dass die Menschen tun können, was sie möchten, ohne Konsequenzen zu fürchten. Calvin glaubt vielmehr, dass sich schon zu Lebzeiten zeigt, wen Gott erwählt hat und wen nicht. Jeder Mensch könne daher an seinem weltlichen Erfolg erkennen, ob er ewiges Heil erwarten könne.

Während mit Calvin viele Menschen das Bild des hart arbeitenden Asketen verbinden, ist Luthers Einstellung zur Arbeit weniger bekannt. Aber auch er befürwortete Fleiß, wenn auch aus anderen Gründen. Luther fasste menschliche Arbeit als Handeln Gottes auf. Er verurteilte Müßiggang und fasste ihn auf als "Sünde wider Gottes Gebot, der hier (auf Erden) Arbeit befohlen hat".

Calvins Schriften und die zentralen Prinzipien, die er in ihnen darlegt, sind vielfach interpretiert worden – zum Teil auf sehr unterschiedliche Weise. Fest steht jedoch, dass sein Werk einen entscheidenden Beitrag zur Reformation in Europa geleistet hat und so bis heute weiterwirkt.

Das Gemälde zeigt einen reformierten Gottesdienst in Lyon, Mitte des 16. Jahrhundert. In der Mittel die Kanzel mit dem Pastor, darum stehen Holzbänke, auf denen Gläubige sitzen.

Kreuze und Heiligenbilder fehlen in der reformierten Kirche

(Erstveröffentlichung 2009. Letzte Aktualisierung 30.06.2021)

Quelle: WDR

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