Nahaufnahme einer Spritze, die in einen Arm gestochen wird.

Viren

Von der Grippewelle zur Pandemie

Vor der jährlichen Grippewelle lassen sich viele Menschen in Deutschland impfen. Auch wenn die Impfung keinen hundertprozentigen Schutz bietet: Wie verheerend eine weltweite Grippewelle sein kann, zeigt der Blick in die Vergangenheit.

Von Inka Reichert und Tobias Aufmkolk

Pandemie: eine Grippe, die über den Globus wandert

Von einer Influenza-Epidemie oder Grippewelle sprechen die Forscher, wenn 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung infiziert sind, die Krankheitsausbrüche aber lokal begrenzt bleiben. Anders als die Pandemie, die sich über den ganzen Globus ausbreitet.

Die Auslöser der Epidemien und Pandemien sind meist Influenzaviren der Gruppe A (seltener: B), da diese in der Lage sind, ihre Oberflächenmoleküle ständig zu verändern. Haben sie ihr Aussehen erst einmal verändert, fällt es dem Immunsystem schwerer, die Viren zu erkennen – und zu bekämpfen.

Bereits der berühmte griechische Arzt Hippokrates (etwa 460 bis 375 vor Christus) beschrieb eine Krankheit im nordgriechischen Perinthus, deren Symptome heute dem Influenzavirus zugeschrieben werden. Von Hippokrates stammt auch der Begriff der Epidemie (aus dem Altgriechischen: "epi" für über und "demos" für Volk), als er die Symptome von Infektionskrankheiten beschrieb.

Seit der ersten Beschreibung der Symptome durch Hippokrates ist die Menschheit vermutlich von mindestens 30 Grippepandemien heimgesucht worden. Im 20. Jahrhundert brachen drei Pandemien aus, die Zahl der Sterbefälle lag höher als jemals zuvor.

Hippokrates, Kupferstich aus dem 16. Jahrhundert.

Schon Hippokrates beschrieb die Symptome der Grippe

Millionen Menschen starben an der Spanischen Grippe

Keine andere Krankheit hat jemals in einem so kurzen Zeitraum so viele Menschenleben gefordert wie die Spanische Grippe. Der ungewöhnlich virulente Abkömmling des Influenzavirus Subtyp A/H1N1 tötete mindestens 20 Millionen Menschen, manche Quellen geben sogar mehr als 50 Millionen Sterbefälle an.

Die ersten bekannten Fälle traten im März 1918 in einem US-Militärcamp in Kansas auf. Von dort breitete sich das Virus über Truppentransporte nach Europa aus. Im Mai desselben Jahres hatte das Virus über Frankreich die Iberische Halbinsel erreicht, wo acht Millionen Spanier erkrankten – und der Krankheit somit den Namen verliehen.

Im August verschwand das Virus wieder von der Bildfläche. Die Pandemie sei überstanden, nahm man an. Doch im Herbst kam das Virus wieder, in einer zweiten Welle, die viel verheerender war als die erste. Jene Menschen, die schon zuvor am Frühjahrsvirus erkrankt waren, waren nun immun gegen die Viren der zweiten Welle.

Geschichte der Grippe-Pandemien

Planet Wissen 02.11.2020 03:45 Min. Verfügbar bis 13.12.2024 SWR

Das Virus war inzwischen mutiert und viel aggressiver geworden. Die Krankheit schien an mehreren Orten der Welt gleichzeitig auszubrechen. Insgesamt infizierte sich knapp ein Fünftel der Weltbevölkerung. Bis zum März 1919 starben Millionen von Menschen durch den Erreger, der Husten, hohes Fieber und Lungenentzündungen auslöste.

Genaue Zahlen über die Todesopfer gibt es nicht, da viele Länder zu dieser Zeit noch keine ordentlich geführten Sterberegister besaßen. So schnell wie sie gekommen war, verschwand die Spanische Grippe auch wieder. Im Frühjahr 1919 war die weltweite Ausbreitung gestoppt, nur in einigen Regionen der Erde gab es noch kleinere Epidemien.

Woher das Virus genau stammte, ist bis heute nicht klar. 2005 berichteten US-Forscher der Centers for Disease Control and Prevention in Atlanta, das Virus des Subtyps A H1N1 endlich rekonstruiert zu haben.

Ihren Analysen zufolge stammt der Erreger von einem Vogelgrippevirus ab. Der Übergang auf den Menschen muss unmittelbar vor der Pandemie stattgefunden haben. Spätere Varianten des Virus' verursachten 1977/1978 den Ausbruch der Russischen Grippe und 2009 der Schweinegrippe-Pandemie.

Liegt der Ursprung vieler Grippen in Asien?

In Asien entstehen immer wieder neue Influenzaviren. Klima, Bevölkerungsdichte und die traditionelle asiatische Landwirtschaft, bei der Enten, Hühner und Schweine auf engstem Raum mit den Menschen zusammenleben, sind ein guter Nährboden für Viren und andere Krankheitserreger. Zwei der drei großen Grippepandemien des 20. Jahrhunderts entstanden nachweislich in Asien.

1957 brach die sogenannte Asiatische Grippe des Subtyps A/H2N2 in Hongkong aus. Chinesische Flüchtlinge hatten das Virus in die Stadt gebracht. Von dort breitete es sich schnell in den USA und in Europa aus. Insgesamt fielen der Asiatischen Grippe weltweit etwa eine Million Menschen zum Opfer, rund 30.000 davon in Deutschland.

Dieser Virustyp war so gefährlich, weil er eine Kombination aus dem Vogelgrippevirus und dem Influenzavirus war. Beide Erreger können in infizierten Zellen ihr Erbgut untereinander tauschen. Das Immunsystem muss dann gegen einen völlig neuen Virustyp kämpfen.

1968 brach die letzte große Grippepandemie des 20. Jahrhunderts in Hongkong aus. Der Subtyp A/H3N2, die Hongkong-Grippe, war wiederum eine Mutation des Virus' der vorangegangenen Asiatischen Grippe mit einem Vogelgrippevirus.

Bis 1970 kostete die Hongkong-Grippe weltweit mehr als 800.000 Menschen das Leben, wiederum etwa 30.000 davon in Deutschland. Seitdem zirkulieren die Virentypen dieser beiden Krankheiten nicht mehr.

Vor allem Menschen, die nach 1968 geboren wurden, sind für diese Arten der Influenza anfällig, da sie die erforderlichen Antikörper noch nicht gebildet haben. Experten warnen daher seit längerem vor den möglichen Auswirkungen einer neuen Welle dieser Virusvarianten.

Die Skyline von Hongkong vom Wasser, davor ein traditionelles, chinesisches Boot

Hongkong – Namensgeber einer Grippeepidemie

Früherkennungssysteme können helfen

1997 erkrankte ein kleiner Junge in Hongkong an einer Grippe und starb wenige Tage später in einem Krankenhaus. Weitere 18 Menschen erkrankten in den folgenden Monaten an dem gleichen Virustyp. Es handelte sich um eine besonders aggressive Form des Hühnergrippevirus, der zum ersten Mal auf den Menschen übergegangen war. Sechs der erkrankten Menschen starben innerhalb kurzer Zeit.

Die Gegenmaßnahmen, die zur Virus-Eindämmung getroffen wurden, waren drastisch. Das Virus konnte nicht von Mensch zu Mensch, sondern nur von Huhn zu Mensch übertragen werden. Um Schlimmeres zu verhindern, wurden in Hongkong daher 1,6 Millionen Hühner getötet. Diese Maßnahme bewahrte die Menschheit vielleicht vor einer weiteren weltweiten Grippepandemie.

Die Früherkennungssysteme zur Bestimmung von möglichen Grippewellen sind in den vergangenen Jahren deutlich verbessert worden. Ein weltweites Netz von Virologen kann sofort neue Virustypen bestimmen und mögliche Gegenmaßnahmen vorschlagen. Zudem hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Rahmen des "Pandemic Preparedness Project" die Staaten der Erde aufgefordert, Katastrophenpläne aufzustellen.

Die Bundesregierung kam dieser Aufforderung nach und stellte 2005 den "Nationalen Influenzapandemieplan" vor, der die notwendigen Vorbereitungs- und Schutzmaßnahmen gegen eine neue Grippepandemie beinhaltet. 2009 kam der Pandemieplan zum Einsatz, als in Mexiko im Frühjahr innerhalb weniger Wochen 60 Menschen an der sogenannten Schweinegrippe starben, auch Neue Grippe oder Influenza A/H1N1 genannt.

Nachdem weltweit fast 28.000 Krankheits- und 141 Todesfälle gemeldet worden waren, erklärte die Weltgesundheitsorganisation die Schweinegrippe im Juni 2009 zu einer Pandemie der Warnstufe 6, was einen globalen Ausbruch bedeutet. Letztendlich schlug die neue Grippe milder ein, als zuvor gefürchtet. Mit 200.000 bis 400.000 Toten nahm sie ähnliche Ausmaße an wie die jährlichen Grippewellen, weshalb Kritiker den Gesundheitsorganisationen Panikmache vorwarfen.

Ein asiatischer Mann mit Overall, Mundschutz, und Handschuhen spritzt in einem Hühnerstall einem weißen Huhn Gidt aus einer Flasche.

Tötung von Vögeln als Vorsichtsmaßnahme

(Erstveröffentlichung: 2013. Letzte Aktualisierung: 19.07.2019)

Quelle: WDR

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