Die Hörschnecke

Planet Wissen 01.08.2024 01:01 Min. UT Verfügbar bis 30.09.2025 WDR

Sinne

Hören

Unsere Ohren sind 24 Stunden am Tag im Einsatz und versorgen das Gehirn mit lebenswichtigen Informationen aus der Umwelt.

Von Andrea Wengel und Mona Geier

Wer hören kann, muss fühlen

Ein Musikstück kann zu Tränen rühren. Sanfte Stimmen wirken beruhigend, während hartnäckiges Schnarchen manche Menschen zur Weißglut treibt. Die emotionale Wirkung von Klängen hat einen entwicklungsgeschichtlichen Hintergrund.

Unser Gehör warnt uns vor herannahenden Gefahren. Ursprünglich waren das Raubtiere, heute ist es hauptsächlich der Straßenverkehr. Anders als die Augen nehmen die Ohren auch im Schlaf Alarmsignale wahr.

Die Werbung hat sich die emotionale Bedeutung des Tons längst zunutze gemacht: Sounddesigner arbeiten daran, etwa Rasierapparate so zu konstruieren, dass sie besonders kraftvoll und leistungsstark klingen. Chips oder Cornflakes werden mit Stoffen versetzt, die ein knuspriges Krachen im Mund erzeugen. Das Ohr isst mit.

Eine Schüssel Cornflakes.

Sind sie "extra-crunchy"?

Was beim Hören passiert

So emotional wir auch auf Töne reagieren: Was das Ohr aufnimmt, ist nichts anderes als ein schwankender Luftdruck. Schallwellen sammeln sich in der Ohrmuschel, gelangen in den Gehörgang und zum Trommelfell. Dieses gerät in Schwingung.

Hinter dem Trommelfell sitzen die nach ihrer Form benannten Gehörknöchelchen: Hammer, Amboss und Steigbügel – die kleinsten Knochen des Menschen.

Der Hammer tastet die Schwingung ab, der Amboss leitet sie weiter, der Steigbügel überträgt sie ins Innenohr. Dort liegt die Gehörschnecke: Ein spiralig gewundener Knochenraum, der eine wässrige Flüssigkeit namens Perilymphe enthält.

Der Steigbügel presst diese Flüssigkeit zusammen. Die dadurch entstehende Wanderwelle erregt die Basilarmembran und die mit ihr verbundenen Haarzellen. Die Bewegung dieser Härchen wird in Nervenimpulse übersetzt, die im Gehirn den Höreindruck erzeugen.

Illustration eines menschlichen Innenohrs.

Das menschliche Ohr ist ein feines Organ

Mit den Ohren sehen

Das Gehör hilft uns bei der Orientierung. Nicht umsonst haben wir zwei Ohren: Ein Ton von links erreicht das linke Ohr eher als das rechte. Die zeitliche Verschiebung ist minimal – sie beträgt weniger als eine Tausendstelsekunde.

Blitzschnell ortet das Gehirn die Geräuschquelle: Wir erkennen sofort, ob ein Ton von links oder von rechts naht.

Ein Kind hält die Hand ans Ohr

Von rechts oder von links?

Wie komplex der Vorgang des Hörens ist, wissen vor allem blinde Menschen. Sie tasten sich nicht nur mit ihrem Stock voran, sondern lauschen auch seinem Klang nach. So wissen sie in einem Tunnel stets, wo sie sich befinden – der hallende Klang des Stockschlags gibt Auskunft.

Blinde nutzen auch verstärkt eine weitere erstaunliche Leistung des Gehörs: den so genannten "Cocktaileffekt". Jeder kennt ihn von Partys: Wie groß das Stimmengewirr auch sein mag – wenn irgendwer über uns tuschelt, hören wir das sofort.

Ebenso schnell hören Blinde aus den Geräuschen der nahenden Bahn die Bremsen heraus: Sie liegen genau zwischen den Türen. Noch bevor sich eine Tür öffnet, weiß der Blinde, wo sie ist.

Der Hörsinn – leistungsfähig und sensibel

Unser Hörsinn ist von allen fünf Sinnen der differenzierteste. Das Ohr ist sensibler, genauer und auch leistungsfähiger als unser Auge. Es kann zwischen zehn Oktaven unterscheiden und reagiert auf Schallwellen, also Luftdruckveränderungen im Frequenzbereich zwischen 16 bis 20.000 Hertz.

Der Gehörsinn macht es uns möglich, bis zu 400.000 Töne zu unterscheiden und die Richtung, aus der sie kommen.

Gleichzeitig ist unser Ohr sehr sensibel. Jeder Teil des Ohres kann geschädigt sein oder geschädigt werden. Am häufigsten sind Defekte im Innenohr. Dass unsere Ohren einwandfrei funktionieren, ist gar nicht so selbstverständlich, wie wir oft annehmen: Jedes Jahr werden in Deutschland rund 600 Kinder gehörlos geboren.

Insgesamt leben nach Angaben des Deutschen Gehörlosen-Bundes etwa 80.000 Gehörlose hier. Schätzungsweise 14 bis 16 Millionen Menschen sind schwerhörig und etwa drei Millionen Menschen leiden unter ständigen Ohrgeräuschen, dem Tinnitus.

Fotomontage mit Schallwellen, die in ein Ohr gehen.

Der Hörsinn ist der sensibelste unserer Sinne

Die Physik des Hörens

Physikalisch gesehen sind Töne Schallwellen. Die Einheit Frequenz gibt die Zahl der Schwingungen einer Schallwelle pro Sekunde an, ausgedrückt wird das in Hertz beziehungsweise Kilohertz (kHz= 1000 Hertz).

Ein Höreindruck beim Menschen entsteht, wenn er Schallwellen in einem Frequenzbereich von etwa 16 Hertz bis etwa 20.000 Hertz wahrnimmt. Schall, dessen Frequenzen darunter liegen, nennt man Infraschall, die Frequenzen darüber heißen Hyper- beziehungsweise Ultraschall. Tiere hören in anderen Frequenzbereichen.

(Erstveröffentlichung 2015. Letzte Aktualisierung 24.08.2020)

Quelle: SWR

Darstellung: