Siegmund Freud am Schreibtisch, davor sein Hund, den er als einer der Ersten zur Unterstützung von Psychotherapien einsetzte.

Tierische Helfer

Interview: Tiere als Co-Therapeuten und Assistenten

Besitzen Tiere heilende Kräfte? Ist ihr Einsatz in Psycho- oder Verhaltenstherapien von Menschen sinnvoll? Und was ist mit dem Tierwohl, wenn Tiere als "Co-Therapeuten" zum Einsatz kommen? Ein Interview mit der Spezialistin für tiergestützte Therapie Bettina Mutschler und Dr. Rainer Wohlfarth, dem Leiter des Instituts für tiergestützte Therapie "Ani.motion".

Von Marion Werner

Planet Wissen: Wodurch unterscheidet sich die tiergestützte Therapie von anderen Psychotherapien?

Rainer Wohlfarth: Normalerweise arbeitet man in der Psychotherapie in einer sogenannten Dyade, also in einer Zweierbeziehung. Der Therapeut spricht mit dem Patienten, und vielleicht werden auch einige Übungen gemacht.

Jetzt kommt der Hund dazu. Das heißt, wir gehen aus einer Zweierbeziehung in eine Dreierbeziehung. Dabei kann der Klient beobachten, wie ich mit meinem Hund umgehe. Ich als Therapeut kann beobachten, wie geht der Klient mit dem Hund um. Oder wir beide, das heißt der Therapeut und der Klient, beobachten: Was macht denn der Hund?

Wir schaffen in der Psychotherapie oder im Coaching Erlebnisräume beziehungsweise Erlebensräume. Das wird natürlich mit einem Tier sehr viel spannender, denn da kommt ein unbekanntes Momentum dazu. Dadurch sieht man sehr viel mehr und erkennt sehr viel mehr und schneller.

[Der Kinderpsychotherapeut] Boris Levinson hat gesagt: "Man braucht ein drittes Auge." Und das stimmt. Dieses dritte Auge muss man schulen. Man muss immer im Blick haben, was zwischen dem Hund und einem selbst passiert, aber auch, was zwischen dem Hund und dem Patienten passiert. Dazu braucht man Erfahrung. Viele Menschen unterschätzen, dass das eine sehr komplexe Angelegenheit ist.

Bettina Mutschler: Von den Tieren bekommt der Patient eine direkte Rückmeldung – und die ist ehrlich! Ich als Mensch bin zum einen nicht so ehrlich und zum anderen auch nicht so feinfühlig. Mir kann man als Mensch viel mehr vorspielen.

Planet Wissen: Kann das Tier allein nicht auch schon therapeutisch wirken?

Rainer Wohlfarth: Eine Studentin von mir hat eine interessante Studie dazu gemacht. Sie hat Patienten in Suchtkliniken befragt, in denen Hunde eingesetzt werden. Dabei kam heraus, dass die Therapeuten für alles Sprachliche zuständig sind und die Hunde für alles Non-Verbale: alles, was mit Körpersprache, mit Mimik, mit Freude, mit direkter Rückmeldung zu tun hatte.

Während wir Psychotherapeuten sehr viel reden, geht es bei den Tieren um das direkte Erleben. Das ergibt zusammen ein unschlagbares Teamwork. Die Therapeuten sind eher fürs Diskutieren, Reflektieren und für das Nachfragen zuständig, die Tiere für das Erleben und für das Emotionale.

Bettina Mutschler: Die Tiere bieten den Patienten ein schönes Erlebnis. Das Erlebnis allein kann zwar sehr wohltuend sein, ist aber nichts Nachhaltiges. Ohne den Coach oder Therapeuten bringt es den Patienten persönlich nicht weiter. Als Therapeut arbeite ich das, was der Patient mit dem Tier erlebt hat, sprachlich auf.

Schwarzweißfotografie: Kranke Kinder im Bett beobachten und streicheln Entenküken.

Der Kontakt zu Tieren führt oft zu positiven Emotionen

Können tiergestützte Therapien auch schaden?

Rainer Wohlfarth: Wenn der Hund beißt, wenn er hochspringt, dann ist das ganz offensichtlich schädlich für den Menschen. Desgleichen, wenn der Esel tritt oder beißt.

Darüber hinaus ist zu diesem Thema relativ wenig geforscht worden. Natürlich kann es auch in einer tiergestützten Therapie in eine falsche Richtung gehen. Jede Therapie hat Nebenwirkungen, denn keine Wirkung ohne Nebenwirkung. Nur haben wir bisher dort nicht so richtig hingeschaut. Insgesamt hat man sich in der Psychotherapie wenig für Nebenwirkungen interessiert und in der tiergestützten Psychotherapie noch weniger.

Außerdem muss man bei den Nebenwirkungen auch das Tier sehen. Da ist bisher noch viel weniger hingeschaut worden, ob tiergestützte Therapie eventuell auch beim Tier zu Nebenwirkungen führt.

Wenn ich das Tier in der Therapie einsetze, dann ist das immer mit einem gewissen Stresslevel verbunden. Man muss immer schauen, dass sich dieses Stresslevel in einem bestimmten Rahmen hält. Unser Hund beispielsweise ist für eine tiergestützte Psychotherapie super geeignet und macht seinen Job wirklich sehr gerne. Aber er ist nach Ende einer Stunde dann auch wirklich kaputt.

Zwei Delfine im Kontakt mit einem behinderten Kind und der Therapeutin.

Beliebt, aber nicht überall zugelassen: die Therapie mit Delfinen. Das Tierwohl muss gewährleistet sein

Der Hund bekommt in der psychotherapeutischen Sitzung alle Emotionen ungefiltert mit. Wir Menschen dagegen haben einen Frontalhirn-Filter, der unsere Emotionen wegschaltet. Das kann ein Tier nicht beziehungsweise nur sehr begrenzt.

Tiere sind nun einmal Gefühlswesen. Das lieben wir ja auch so an ihnen. Die Therapie kann also nicht nur Nebenwirkungen für den Patienten haben, sondern auch für das Tier.

Bei welchen psychischen Krankheiten funktioniert die tiergestützte Therapie am besten? Und bei welchen schlecht oder gar nicht?

Rainer Wohlfarth: Die meisten Erfahrungen haben wir mit Angststörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen und Burnout gemacht. Auch im gesamten Suchtbereich ist die tiergestützte Therapie sehr erfolgreich – ebenso wie bei Psychosomatosen. Relativ wenig Erfahrungen haben wir im Bereich der Psychosen.

Beim Einsatz von Tieren in der Autismus-Therapie hängt es stark von der einzelnen Person ab, ob das funktioniert oder nicht. Sehr erfolgreich wird die tiergestützte Therapie im Kinderbereich eingesetzt bei den Themen Achtsamkeit, Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsdefizite und Impulskontrollstörungen.

Bettina Mutschler: Auch bei Menschen, die Bindungsprobleme oder Bindungsstörungen haben, sind Tiere als Co-Therapeuten sinnvoll. Dann funktioniert das Tier als Übergangsobjekt, mit dem ich Bindungserfahrungen machen kann, die ich optimalerweise nach der Therapie auf Menschen übertragen kann.

Wie bewerten Sie den Einsatz von sogenannten "Schnüffelhunden", die Krankheiten erschnüffeln können?

Bettina Mutschler: Es hängt davon ab, wie der Hund ausgebildet wird, und wie viel Regenerationszeit er hat, und ob ich mir einen Hund aussuche, der an dieser Geruchsunterscheidung Spaß hat. Wenn ich einen Hund habe, der Spaß am Erschnüffeln hat und ich bilde ihn vernünftig aus, dann ist diese Schnüffel-Arbeit für den Hund großartig.

Rainer Wohlfarth: Das war aus Hundesicht gesehen. Das müssen wir jetzt noch aus medizinischer Sicht betrachten: Die Hunde können Covid-19, Krebs und auch andere Krankheiten erschnüffeln. Ich glaube aber nicht daran, dass Hunde eine Präzision erreichen, wie wir das in der medizinischen Forschung fordern.

Die Hunde schaffen das Erschnüffeln von Diabetes, Krebs, Covid-19 zu einem annehmbaren Prozentsatz nur für einen ganz kurzen Zeitraum, weil die Schnüffelarbeit für die Hunde sehr anstrengend ist. Ich würde meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass die erreichten Quoten tatsächlich ausreichend hoch sind.

Ich weiß, dass in Österreich Krebs-Schnüffelhunde ausgebildet werden. Die Hunde sind nach einer Viertelstunde, spätestens nach 20 Minuten, völlig kaputt. Für die Hunde ist das Hochleistungsarbeit. Wir sollten uns genauer anschauen, wie die Hundenase und das Hundegehirn funktionieren. Nach diesem Vorbild sollten wir etwas bauen, das die gleiche Arbeit leistet.

Ein Hund schnüffelt in der kreisrunden Öffnung eines Metallbehälters.

Schnüffeln erfordert höchste Konzentration

So etwas machen wir ja bei anderen Tierarten. Wir schauen uns an, was sie zu ihren besonderen Leistungen befähigt, und das versuchen wir dann mit einer technischen Lösung nachzubauen. Beispiel: die elektronische Nase.

Wir sollten das Tier als Modell für eine neue Technik nehmen. Ich glaube, genau da liegt die große Chance. Bis jetzt haben Schnüffelhunde noch keine hundertprozentigen Ergebnisse gebracht.

Bettina Mutschler: Ich habe kürzlich mit einem Rettungshund gearbeitet. Da konnte man sehen, dass die Hunde nach einer Viertelstunde hochkonzentrierter Arbeit beginnen nachzulassen. Eine weitere Viertelstunde suchen sie dann noch mehr oder weniger konzentriert. Und nach einer Stunde geht dann gar nichts mehr. Dann kann das Opfer auch neben dem Hund sitzen und der Hund zeigt das nicht mehr an, weil er nicht mehr kann.

Der Markt für die Ausbildung von Assistenzhunden boomt zur Zeit. Wie beurteilen Sie diesen Boom?

Rainer Wohlfarth: Bei den medizinischen Warnhunden gibt es keinerlei empirische Evidenz dafür, dass sie die notwendigen, verlässlichen Ergebnisse liefern. Im Gegensatz dazu haben aber alle Behindertenbegleithunde einen nachhaltigen Effekt – und dafür gibt es tatsächlich eine empirische Evidenz.

Hunde helfen zum Beispiel bei autistischen Kindern, diese ein wenig zu regulieren. Sie helfen, deren Stress zu verringern.

Bettina Mutschler: Es ist auch oft so, dass die behinderten Menschen ihr Leben für die Hunde besser organisieren. Die halten sich dann plötzlich an geregelte Essenszeiten, weil der Hund ja auch essen muss. Außerdem muss der Hund dreimal am Tag raus. Das alles bringt Struktur in den Tag und schwächt eventuell auch die Krankheitssymptome ab.

Rainer Wohlfarth: Ich bin absolut für Behindertenbegleithunde. Denn genau da liegen die Stärken der Hunde. Sehr oft bilden die Behinderten und ihre Hunde zusammen ein ganz starkes Team. Die Hunde wirken oft sehr positiv auf die Psyche der behinderten Menschen ein – allein schon dadurch, dass sie einfach da sind.

Bei allen anderen Assistenzhunden bin ich skeptisch. Es gibt eine Studie aus Amerika, die besagt, dass 50 Prozent dieser Hunde nach drei bis fünf Jahren aufhören, ihren Job zu machen. Die Hunde kriegen dann Verhaltensprobleme – wahrscheinlich wegen Überlastung.

Bettina Mutschler: Normalerweise ruht ein Hund 16 bis 18 Stunden am Tag. Darüber hinaus ist er zwei Stunden körperlich aktiv, und den Rest der Zeit ist der Hund einfach aufmerksam, aber nicht aktiv.

Wenn der Hund auf einen Menschen mit Diabetes oder Epilepsie aufpassen muss, der zur Arbeit geht, der einkaufen geht, der den ganzen Tag unterwegs ist, dann kommt der Hund nicht zu seiner Ruhephase. Er kann niemals acht oder neun Stunden hintereinander ruhen, weil ständig irgendetwas los ist. Dann ist der Hund nach drei Jahren natürlich körperlich und psychisch am Ende. Im Prinzip ist das Schlafentzug für den Hund.

Quelle: SWR | Stand: 25.06.2021, 17:00 Uhr

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