Dänisches Löffelkraut wächst aus einem Steinhaufen

Invasionsbiologie

Pflanzen in der Stadt

Mitten in unseren Metropolen wachsen viele Pflanzen, die man in der Stadt nicht vermuten würde: Getreide etwa oder wilder Meerrettich. Für die Wissenschaft ein spannendes Feld: Nirgends kommt und geht Flora so schnell wie hier.

Von Claudia Kynast

Spezielle Bedingungen für Spezialisten

In der Stadt ist es meist wärmer als im Umland und auch etwas trockener als in ländlichen Gebieten, denn die Kanalisation transportiert Regenwasser sofort ab.

Diese Lebensbedingungen mögen einige Pflanzenarten, die sich stark spezialisiert haben: Karge Böden oder sogar Asphalt, nur wenige Nährstoffe und vor allem kaum Konkurrenz – das ist ihr Plätzchen, um zu gedeihen. Das gelb blühende Schmalblättrige Greiskraut zum Beispiel ist in vielen Städten zu Hause.

Gerade in die Stadt, wo viel mit Waren gehandelt wird, verschlägt es auch immer wieder fremde Pflanzen, die eigentlich nicht dort wachsen. Lastwagen zum Beispiel kommen aus anderen Ländern und bringen unbemerkt Pflanzensamen an ihren Reifen und an ihrer Ladung mit.

Botanikerin Corinne Buch sieht darin aber noch kein Problem: "Fremde Arten sind erst mal nichts Schlimmes, denn viele können sich hier gar nicht entwickeln und sterben gleich wieder aus. Bedenklich wird es dann, wenn eine fremde Pflanze sich so stark verbreitet, dass sie heimische Arten verdrängt."

Das Schmalblättrige Greiskraut etwa kam einst aus Afrika nach Deutschland und hat sich mittlerweile perfekt in die heimische Natur eingefügt. Insekten lieben es besonders wegen seiner späten Blüte, denn auch im Dezember ist noch Nektar zu holen.

Zwischen Leitplanke und Asphalt

Wenn sich die Gelegenheit bietet, nehmen Biologenteams auch Biotope unter die Lupe, auf die sie normalerweise keinen Zugriff haben. Da kam im Sommer 2010 die Absperrung der A40 in Nordrhein-Westfalen gerade recht. Als Projekt der europäischen Kulturhauptstadt wurde der "Ruhrschnellweg" auf einer Länge von 60 Kilometern zum "Still-Leben".

70 Biologen nutzten die autofreie Zeit, um die Pflanzenwelt entlang der Fahrbahnen und auf dem Mittelstreifen zu untersuchen. Das Ergebnis: Viele seltene, für die Region untypische Arten haben hier ihren Platz gefunden. Sie trotzen den kargen Bedingungen und der Hitze – im Sommer kann es auf dem Asphalt bis zu 80 Grad heiß werden.

Das Dänische Löffelkraut ist zum Beispiel A40-Bewohner geworden. Eigentlich ist es in Küstenregionen zu Hause. Die richtigen Bedingungen für die Salz liebende Pflanze hat vermutlich das winterliche Streusalz geschaffen.

Die Biologen entdeckten auch Weizen und Raps, die von Lastwagen gefallen sein könnten, und sogar Apfel- und Pfirsichbäume. Ob diese aus den Apfelgehäusen und Pfirsichsteinen hungriger Autofahrer im Stau gewachsen sind? Die Wissenschaftler halten das für möglich.

Industriebrachen – alles auf Anfang

Pflanzen holen sich schrittweise die Bereiche zurück, die der Mensch nicht mehr nutzt. Besonders im Ruhrgebiet findet sich eine Vielzahl stillgelegter Industriegelände, die von Pflanzen neu besiedelt werden.

In mehreren Phasen entsteht auf den Industriebrachen eine neue Vegetation: Auf Rohboden wachsen in der Pionierphase zunächst Moose und Flechten. Nach ihnen kommt eine blütenreiche Zeit, die Hochstaudenphase, zum Beispiel mit Goldruten und Weidenröschen.

Es schließt sich eine Phase der Verbuschung an, für die Brombeeren und andere Büsche typisch sind. Nach 30 bis 50 Jahren entsteht der Birken-Vorwald. Bis zum letzten Schritt, der Waldphase, vergehen mindestens 80 bis 100 Jahre.

In jeder dieser Phasen kommen neue Pflanzen hinzu, ihnen folgen jeweils Tiere. So unansehnlich manche Menschen Industriebrachen finden mögen – für die Natur sind sie enorm wichtig, erklärt Corinne Buch: "Viele bedrohte Pflanzen- und Tierarten finden hier einen neuen Lebensraum. Manche von ihnen würden sonst aussterben. Im Ruhrgebiet haben so zum Beispiel das Filzkraut und das Tausendgüldenkraut überlebt."

Naturschutzbrachen – künstlich zu neuem Leben

Für die Erhaltung bedrohter Arten legen Biologen auch sogenannte Naturschutzbrachen an. Hierfür tragen sie die gesamte Vegetation eines ausgewählten Bereiches ab, bis zur Rohbodenphase.

In Nordrhein-Westfalen haben zum Beispiel die Forscher der "Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet" einige Flächen auf den Industriebrachen des Landschaftsparks Duisburg-Nord und im Gleispark Frintrop in Essen auf diese Weise umfunktioniert.

Anderswo wandeln Biologen Randbereiche von Wiesen und Feldern in Naturschutzbrachen um. Sie überlassen den Boden der Natur – Pflanzen und Tiere erobern sich Phase für Phase das Gebiet zurück.

Geht das Artenwachstum weiter?

Bisher stieg immer in Phasen starken Wandels – etwa nach der Eroberung Amerikas oder während der Industrialisierung – die heimische Artenvielfalt an. Aber gerade in der Stadt gibt es viele Arten, die auftauchen und nach einiger Zeit wieder verschwinden, erklärt Corinne Buch. "Man kann nicht sagen, was die Zukunft bringt. Die Landschaft wird immer steriler. Brachen werden wieder überbaut."

Trotz Vielfalt ähneln sich die Pflanzen sehr und haben deshalb auch ähnliche Bedürfnisse. Ihre Spezialisierung und ihre enge Verwandtschaft machen sie anfällig für Veränderungen. Es ist also gut möglich, dass die Pflanzenvielfalt in der Stadt in Zukunft wieder abnimmt.

(Erstveröffentlichung 2011. Letzte Aktualisierung 13.02.2020)

Quelle: WDR

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