Mann im Auto hinter Steuer mit geballten Fäusten und Grimasse

Sicherheit im Straßenverkehr

Aggressives Verhalten im Straßenverkehr

Hupen, drängeln, pöbeln, ob auf der Autobahn oder in der Stadt – fast jeder Autofahrer kennt solche Situationen. Woher kommen die Aggressionen und nehmen sie wirklich zu?

Von Ulf Kneiding

Was wird als aggressiv wahrgenommen?

Eine beängstigende Situation auf der Autobahn: Während einer normalen Überholaktion kommt von hinten ein schnelles Auto angerauscht und fährt bis auf wenige Meter auf.

Viele Menschen empfinden zu schnelles Fahren als aggressive Verhaltensweise auf deutschen Straßen. Das hat eine Umfrage des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) im Jahr 2016 gezeigt. Mehr als 70 Prozent der Befragten nennen es als Beispiel für aggressives Verhalten – gefolgt von dichtem Auffahren, Drängeln und riskantem Überholen.

Aber auch Rechtsüberholen oder zu dichtes Einscheren vor einem Auto kennen die meisten und empfinden es als aggressiv. In der Stadt zeigen sich aggressive Verhaltensweisen noch vielfältiger, etwa indem die Vorfahrt genommen wird, ein Wagen an einer Gruppe von Autos vorbeifährt, um sich möglichst weit vorne einzuordnen, Fahrradfahrer sehr dicht überholt werden oder jemand extra dicht auffährt, um zu verhindern, dass andere Fahrzeuge einscheren können.

Laut einer Umfrage der Unfallforschung der Versicherer (UDV) 2016 kennen die meisten Autofahrer diese Verhaltensweisen – zumindest vom Zusehen.

Blick in Rückspiegel auf der Autobahn. Ein Auto fährt auf wenige Meter auf

Dichtes Auffahren wird als aggressiv erlebt

Volle Straßen machen aggressiv

Für die Aggressionen hinter dem Lenkrad gibt es viele unterschiedliche Erklärungen. Es fängt damit an, dass jeder möglichst schnell sein Ziel erreichen will. Daran werden die Autofahrer und Fahrerinnen allerdings gehindert: und zwar grundsätzlich durch Verkehrsregeln, wie etwa Tempolimits.

Der Verkehrspsychologe Wolfgang Fastenmeier von der Psychologischen Hochschule Berlin bestätigt, dass Aggressionen Teil des Verkehrs seien. Wenn jemand die Absicht hat, schnellstmöglich ans Ziel zu gelangen und dabei gestört wird, entstehe Frustration und daraus oft Aggression. Im Extremfall verhielten sich Menschen so, dass sie sogar Schädigungen anderer billigend in Kauf nähmen.

Aber nicht nur die Regeln behindern die Autofahrer. Es sind vor allem die anderen Fahrzeuge, die automatisch zu Störfaktoren werden. Und diese Störfaktoren werden mehr. Auf deutschen Straßen fahren so viele Autos wie nie zuvor.

Von 2009 bis 2019 stieg die Zahl laut Statistischem Bundesamt um 14 Prozent von 41,3 auf 47,1 Millionen. Dazu werden sie größer. Waren PKW 1990 noch 1,68 Meter breit, sind es heute durchschnittlich etwa 1,80 Meter.

Immer mehr Menschen pendeln und der Lieferverkehr nimmt zu. Und den wenigen Platz müssen sich die Autofahrer in den Städten auch noch mit immer mehr Fahrrädern und neuen Verkehrsteilnehmern wie E-Scootern teilen. Die Komplexität des Verkehrs und der Platzmangel nehmen zu.

Der Verkehrspsychologe Jens Schade von der TU Dresden bestätigt: Enge und steigende Verkehrsdichte können das Stresserleben steigern und aggressives Verhalten auslösen.

Eine Straße mit Bushaltestelle, vielen Parkenden Autos und Radfahren. E-Scooter-Fahrer setzen im Vordergrund zur Fahrt an

Viele Verkehrsteilnehmer müssen sich den Platz auf den Straßen teilen

Termindruck und Stress als Ursache für aggressives Verhalten

Psychologen beobachten auch, dass zunehmende Arbeitsverdichtung, Terminhetze und psychische Belastungen die Situationen verschärfen können.

Eine große Rolle spielt dabei die Gemütsverfassung, mit der sich Menschen hinter das Steuer setzen. Daher ist es kaum verwunderlich, dass – soweit nachvollziehbar – aggressive Verstöße am ehesten am späteren Nachmittag stattfinden. Gerade in verkehrsreichen Zeiten sind die Autofahrer oft mit schlechter Laune unterwegs. Eine unglückliche Verquickung: Der Stresslevel ist von Beginn an höher und durch den vielen Verkehr steigt der Stress noch weiter an.

Und selbst Navigationsgeräte leisten ihren Beitrag. Wenn sich der berechnete Zeitaufwand durch Verkehrsbehinderungen vergrößert, versuchten viele Fahrer die verlorene Zeit durch riskante Raserei wieder aufzuholen. Doch genau das wird durch die Zunahme des Verkehrs immer schwieriger. 

Sehr dichter Abendverkehr in beide Richtungen auf einer großen innerstädtischen Straße. Alle Autos haben das Licht an

Schlechte Sichtverhältnisse steigern den Stress und so auch die Aggressionen

Das Auto als geschützter Raum

Aber auch das Auto selbst sorgt in mehrerlei Hinsicht dafür, dass sich seine Fahrer gehen lassen und rücksichtsloser oder aggressiv verhalten. Es bietet einen geschützten Raum und Anonymität. Schimpfende und drängelnde Fahrer haben kaum eine direkte Konfrontation mit den anderen Verkehrsteilnehmern zu befürchten – und oft auch keine unmittelbaren rechtlichen Folgen.

Der ADAC-Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino vergleicht das Geschehen auf deutschen Straßen mit den Kommentarspalten in den Sozialen Medien. Auch dort äußern sich Menschen hemmungsloser, weil sie ihrem Gegenüber nicht in die Augen schauen müssen, sondern mehr oder weniger anonym unterwegs sind.

Im Straßenverkehr kommt ein weiterer Aspekt dazu. Je größer und stärker das Auto, desto größer auch der empfundene und wirkliche Schutzraum – und damit das Gefühl, dass nichts passieren kann. Laut der Umfrage der Unfallforschung der Versicherer (UDV) kann das zu Rücksichtslosigkeit führen.

Die Größe der Autos hat aber auch nach außen eine entscheidende Wirkung. Sport Utility Vehicles (SUVs) etwa werden von manchen als bedrohlich groß wahrgenommen und erzeugen bei den anderen das Gefühl, bedrängt zu werden oder unterlegen zu sein, bis hin zu Angst.

Eine aggressiv wirkende Autofront eines sogenannten Sport Utility Vehicle (SUV)

Auch das Design kann sehr aggressiv wirken

Der Verkehr wird aggressiver – scheint es

Umfragen zeigen, dass so gut wie jeder Autofahrer schon aggressive und gefährdende Situationen erlebt hat. In der Umfrage des Deutschen Verkehrssicherheitsrates war knapp über die Hälfte der Befragten der Meinung, dass aggressives Verhalten im Straßenverkehr zugenommen hat.

Für viele sind es aber die Anderen, die aggressiv sind und Fehler machen. Die Umfrage zeigt eine deutliche Diskrepanz zwischen selbst- und fremdbeobachteten Verhalten. Die Autoren beschreiben es als ein verbreitetes Phänomen, mit dem Autofahrer so auf diese Weise ihr Selbstbild in Bezug auf das eigene Fahrverhalten schützen.

Neben Verkehrspsychologen berichtet auch mancher Verkehrsrichter, dass es auf den Straßen gefährlicher geworden sei und Klagen über das Verkehrsklima zunähmen. Doch es lässt sich nicht belegen, ob aggressives Verhalten zunimmt. Statistiken dazu führt niemand.

Die Polizei erwähnt in Unfallberichten etwa überhöhte Geschwindigkeit oder zu geringen Abstand als Unfallursache. Ob dabei aggressives Verhalten eine Rolle spielt, können die Beamten nicht objektiv beurteilen. Daher taucht der Aspekt Aggressionen im Straßenverkehr weder in Polizeiberichten noch in Statistiken auf.

En Polizist hat auf einer Autobahn stehend eine Skizze des Unfallhergangs gezeichnet. Wir sehnen die Skizze in seiner Hand

Die Aggressivität findet in Unfallberichten keine Erwähnung

Was ist zu tun?

Eine entscheidende Antwort auf die Frage, was wir gegen Aggressionen im Straßenverkehr machen können, steht bereits in der Straßenverkehrsordnung. Die ersten beiden Punkte des ersten Paragraphen lauten:
"(1) Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.
(2) Wer am Verkehr teilnimmt, hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder, mehr als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird."

Ein anderer, entscheidender Punkt ist in anderen Ländern, wie zum Beispiel den Niederlanden, bereits umgesetzt: das Tempolimit auf Autobahnen. Durch seine Forschung kommt der Verkehrspsychologe Bernhard Schlag zu dem Schluss, dass ein Tempolimit nicht nur zur Verringerung schwerer Unfälle beiträgt. Es nimmt den Stärkeren auch das Recht auf eine unbegrenzt schnelle Fahrt. Fahrer schnellerer Autos hätten dann auch nicht mehr das Gefühl, dass die anderen Autos sie behindern würden, da das Fahrtempo auf den Autobahnen meist so schnell wie maximal erlaubt wäre.

Der Egoismus des Einzelnen, ein Ziel besonders schnell zu erreichen, müsste nach Auffassung des Experten dem Interesse der Gemeinschaft weichen, sicher und entspannt fahren zu können.

Er fordert auch, dass auf dem Land und in der Stadt Straßen so gestaltet werden sollten, dass Autofahrer ganz von alleine langsamer fahren. Das kann durch weniger breite Straßen, Einbuchtungen, begrünte Mittelstreifen oder Markierungen auf den Straßen erreicht werden. Auch das gibt es in den Niederlanden schon, so genannte 'selbsterklärende Straßen'. Es sind keine weiteren Schilder nötig, damit der Fahrer oder die Fahrerin sich angemessen verhält.

Laut Bernhard Schlag erkennen die Verantwortlichen langsam, dass auch in Städten ein Umdenken nötig ist. Wichtige Bausteine für einen weniger aggressiven und sicheren Stadtverkehr sind der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel, sowie der Infrastruktur für Fahrräder. Am besten noch ergänzt durch ein durchgehendes Tempolimit von 30 Kilometern pro Stunde, damit sich alle Verkehrsteilnehmer nahezu auf Augenhöhe begegnen. So werden Aggressionen entschärft oder kommen erst gar nicht auf.

Eine Straße auf dem Land in den Niederlanden, in der Mitte ist ein breiter Grünstreifen, in die Fahrbahnen sind Hubbel integriert

Selbsterklärende Straßen – sie sind so gebaut, dass der Fahrer sein Tempo automatisch anpasst

(Erstveröffentlichung 2020. Letzte Aktualisierung 20.01.2020)

Quelle: WDR

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