
Lernen
Stottern – Wenn die Worte stolpern
Stottern beginnt meist in der Kindheit: Rund fünf Prozent der Kinder wiederholen Buchstaben, blockieren mitten im Wort oder dehnen einzelne Laute. Oft verschwinden diese Redeflussstörungen wieder von ganz allein – wenn nicht, kann das sehr belastend sein.
Von Anke Riedel
Stottern und Poltern
Wenn es beim Sprechen mal wieder nicht rund läuft, suchen wir nach Worten, verhaspeln uns oder beginnen einen Satz und bekommen ihn nicht zu Ende. Alles ganz normal. Von Stottern spricht man erst, wenn in größerem Ausmaß Silben gestottert werden und dies längere Zeit anhält.
Für Stotternde können vor allem Wortanfänge schwierig sein. Nach dem ersten Buchstaben, der ersten Silbe oder dem ersten Wort im Satz, will es einfach nicht weitergehen: "T-t-t-trägst du die Ko-ko-ko-koffer?"
Aussprache und Stimme, auch Atmung und Rhythmus des Sprechens sind beim Kampf mit den Worten beteiligt. Oft verspannt sich die Gesichtsmuskulatur oder es treten zusätzliche Bewegungen beim Sprechen auf. Manchmal ist der ganze Körper dann im Einsatz.
Weniger bekannt als das Stottern ist Poltern, das oft gleichzeitig mit dem Stottern auftritt. Es entsteht in der Kindheit und begleitet die Betroffenen unter Umständen bis ins Erwachsenenalter. Polternde sind schlichtweg schwer zu verstehen: Sie rasen durch den Satz, sprechen holprig und undeutlich. Dadurch entstehen zum Beispiel Wortkonstruktionen wie "zeispiel" – eine zeitsparende Kombination aus "zum" und "Beispiel".
Für den Zuhörer ist Poltern eine Herausforderung, vor allem wenn wichtige Informationen im Satz durch das rasante Sprechtempo verloren gehen. Polternde können ihr Sprechen für eine kurze Zeit mit Mühe kontrollieren – langfristig gelingt ihnen das aber nicht und sie hasten weiter schwer verständlich durch die Sätze.
Dabei hat das Ringen mit den Worten keinen Seltenheitswert: Redeflussstörungen wie Stottern oder Poltern gehören zu den häufigsten chronischen Erkrankungen. Weltweit stottern geschätzt 70 Millionen Menschen, also etwa einer von hundert.

Je eher eine Stotter-Therapie beginnt, desto größer sind die Erfolgsaussichten
Kinder häufiger betroffen
"Und dann ist... dann hat der... der Tim ist hingefallen!" Wenn Kinder aufgeregt von ihren Erlebnissen erzählen, holpern die Worte schon mal. Vor allem bei Vorschulkindern läuft verbal nicht immer alles flüssig, im Durchschnitt hängen die Kleinen spätestens bei jedem 20. Wort. Sie machen Pausen, schieben Ähs und Öhs ein, wiederholen Wörter oder brechen Sätze ganz einfach mittendrin ab.
Stottern dagegen passiert eher beim Wortanfang: T-t-t-iger, Ka-ka-ka-nu, mit-mit-mit Omi. Manchmal kommt eine Blockade auch mitten im Wort: B-austelle. Meist beginnt es zwischen zwei und sechs Jahren. Die Kinder stottern dann eine Weile und hören oft ganz von alleine wieder auf.
Bei drei von vier Kindern verschwinden die Symptome ganz ohne Therapie – und nach einen Jahr ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Redeflussstörung dauerhaft überwunden ist.
Wie Kinder sprechen lernen
Planet Wissen. 21.07.2022. 01:33 Min.. UT. Verfügbar bis 17.12.2024. WDR. Von Jakob Kneser.
Kritisch wird es, wenn Kinder länger als zwei Jahre stottern. Denn dann ist das Risiko größer, dass das Stottern bleibt. Und nach der Pubertät wird eine spontane Heilung immer unwahrscheinlicher. Bei Erwachsenen sind die Symptome meist dauerhaft. Warum Jungen häufiger als Mädchen betroffen sind, ist noch nicht geklärt.
Doch es gibt wirksame Therapien! Je früher die Behandlung einsetzt, desto besser: Bei Kindern am besten sechs bis zwölf Monate nach dem Auftreten der ersten Symptome. Vor allem, wenn das Kind wegen des Stotterns nicht mehr gerne spricht, oder wenn es wegen der Redeflussstörung gehänselt wird.
Auch für Erwachsene ist eine Stotter-Therapie sinnvoll, denn unter Umständen lassen sich die Symptome so weit eindämmen, dass die Wort-Stolperer gar nicht auffallen.

Stottern unterscheidet sich von kindlichem Verhaspeln
Ursachen der Redeflussstörungen
Bei der Forschung nach den Ursachen für Stottern haben Forscher sich auch die Gene angeschaut. Aus Zwillingsstudien gibt es den Hinweis, dass Stottern vererbt wird. Denn eineiige Zwillinge stottern meist beide, selbst wenn sie getrennt aufwachsen.
Was genau das Stottern jedoch auslöst, ist bisher nur wenig verstanden. Ist der schlimme Sturz tatsächlich ein Auslöser? Oder die Trennung der Eltern? Oder tritt das Stottern rein zufällig zu einem bestimmten Zeitpunkt auf? Unklar ist auch, warum ungefähr 80 Prozent der stotternden Kinder die Redeflussstörungen wieder ganz von selbst verlieren und 20 Prozent nicht.
Früher sagte man Stotternden einen Hang zur Ängstlichkeit oder zu sozialen Phobien nach – oft hieß es auch, die Familie oder der Erziehungsstil seien schuld an den Redeflussstörungen. "Eine gewagte These, für die es wenig Belege gibt", so Professor Martin Sommer von der Klinik für Klinische Neurophysiologie Göttingen. "Soziale Ängste oder Depressionen können vielmehr als Folge des Stotterns entstehen."
Heute weiß man: In den Gehirnen von Stotternden gibt es einige Unterschiede sowohl im Aufbau als auch in der Funktion im Vergleich zu nicht Stotternden. Was jedoch genau im Moment des Stotterns im Gehirn passiert, war lange Zeit unklar.
Inzwischen ist erforscht, dass die Bewegungsvorbereitung vor dem Stottermoment besonders schlecht ist: Die nötigen Signale, welche die Sprechbewegung vorbereiten, kommen nicht zur passenden Zeit am richtigen Ort an. Diese mangelnde Abstimmung der Sprachareale im Gehirn bringen die Zunge des Stotternden ins Stolpern.
Doch Stottern ist keine Sprachstörung. Die Betroffenen wissen ganz genau, was sie sagen möchten. Deshalb sollte man Stotternde ausreden lassen – ohne Unterbrechung und ohne gut gemeinte Ratschläge.
Die Betroffenen entwickeln meist eigene Strategien, um den Kontrollverlust zu umgehen: Manche meiden neuralgische Wörter und sagen zum Beispiel "Limo" statt "Co-co-cola" – andere versuchen die Worte mit zusätzlicher körperlicher Anspannung oder konzentrierter Atmung hervorzupressen.
Doch flüssiges Sprechen lässt sich nicht erzwingen. Die psychischen Folgen können gravierend sein: Zum Beispiel Sprechangst und Vermeidungsverhalten – denn wer nicht spricht, kann auch nicht stottern.
Diese Strategie des Rückzugs scheint auf den ersten Blick erfolgversprechend. Wer sich vor dem Telefonieren drückt, keine Fremden anspricht und öfter schweigt, vermeidet auch unangenehme Situationen. Langfristig kann das Vermeidungsverhalten aber in die Isolation führen. Und: Es gibt wirksame Therapien, welche die Kommunikation erleichtern.

Die Sprechvorgänge werden überwiegend von der linken Hirnhälfte aus gesteuert
(Erstveröffentlichung 2019. Letzte Aktualisierung 19.03.2019)
Quelle: WDR