Autobahnkreuz

Artensterben

Zersiedelung der Landschaft

Unsere gut ausgebaute und moderne Infrastruktur ist ein wichtiger Faktor für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Auf mehr als 600.000 Kilometer summiert sich allein das deutsche Straßennetz, das zu einem der dichtesten in der Welt gehört.

Von Dieter Engelmann

Ursachen der Zersiedelung

Auch für unser persönliches Mobilitätsbedürfnis haben die allgegenwärtigen Straßen große Vorteile. Doch für viele Wildtiere bedeutet diese Entwicklung das genaue Gegenteil, werden sie doch in ihrer Bewegungsfreiheit immer weiter eingeschränkt.

Rund 100 Hektar Naturraum werden in Deutschland täglich "verbraucht". Das heißt, jede Minute werden rund 700 Quadratmeter Wald oder Wiese zu Neubaugebieten oder zu neuen Industrieflächen und Großeinkaufszentren gemacht.

Sie werden mit Asphalt beschichtet zu Straßen oder mit Schotter, Schienen und Lärmschutzwänden versehen zu Bahntrassen. Sie werden mit Beton und Stein ausgekleidet zu kanalisierten Fließgewässern oder gerodet und umgepflügt zu neuen Äckern, Wiesen und Weiden.

Die Art und Weise der Nutzung ist vielfältig. Die Folgen für die Natur sind jedoch immer gleich: Der natürliche Lebensraum von Tieren und Pflanzen wird in immer kleinere Areale zerschnitten.

Barrieren und Hindernisse

Überfahrene Tiere, die tot am Straßenrand liegen oder noch platt auf der Fahrbahn kleben, sind für die meisten Autofahrer ein fast schon vertrauter Anblick. Für Wildtiere gibt es keine Ampeln, und auf die Gefahren im Straßenverkehr kann die Natur sie nicht vorbereiten. Die Überquerung einer vielbefahrenen Straße gehört für die Tiere daher zu den gefährlichsten Herausforderungen.

Ein überfahrenes Reh liegt am Straßenrand einer Landstraße.

Allgegenwärtig: tote Wildtiere am Straßenrand

Tiere, die aufgrund natürlicher Wanderungsbewegungen oder bei ihrer Nahrungssuche große Strecken zurücklegen, sind ganz besonders gefährdet, da sie viel häufiger auf entsprechende Barrieren stoßen. Für viele dieser Arten ist der Tod auf der Straße eine der Haupttodesursachen.

Doch es gibt auch Hindernisse, die für uns Menschen als solche nicht erkennbar sind. Für Waldfledermäuse ist bereits eine Schneise durch den Wald eine kaum zu bewältigende Hürde. Die Tiere orientieren sich im Flug per Echolot, wobei die Bäume in ihrem Lebensraum eine wichtige Rolle spielen. Kommt jetzt plötzlich eine baumlose Stelle, sind die Tiere so irritiert, dass sie nicht über die freie Fläche fliegen, sondern sich entlang des Waldrandes orientieren.

Für einen Igel sind große Ackerflächen ein Hindernis. Für die Tiere als Lebensraum völlig ungeeignet, werden solche Flächen gemieden und daher auch nicht überquert. Problematisch sind auch große Monokulturen, auf denen massiv Pestizide eingesetzt werden. Sie sind in der modernen Landwirtschaft weit verbreitet. Für zahllose Insekten sind diese Felder eine Wüste, in der es für sie keine Nahrung mehr gibt und die sie entsprechend auch komplett meiden.

Isolation von Tierpopulationen

Für die Tiere ist ihr Lebensraum letztendlich ein Gefängnis, dessen Mauern aus dicht befahrenen Straßen, Bahntrassen oder landwirtschaftlichen Monokulturen besteht. Ausbruchversuche sind extrem gefährlich und enden häufig tödlich.

Die Folge: Die Populationen werden zunehmend isoliert, was auf längere Sicht eine große Bedrohung darstellt. Der fehlende genetische Austausch und drohende Inzucht erhöhen die Gefahr des Aussterbens nachweislich.

Blick auf eine natürliche Auenlandschaft mit offenem Wasser.

Altarm des Rheins

Ganz massiv leiden bereits heute sämtliche Frösche und Kröten unter dieser Zwangsisolation. Die meisten ihrer ehemaligen Lebensräume wurden vom Menschen zerstört. Die noch wenigen verbliebenen Feuchtgebiete liegen häufig weit auseinander, so dass zwischen den Populationen kein Austausch mehr stattfinden kann.

Was tun?

Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, wie wir die Bedingungen für wandernde Tiere verbessern können. Das fängt bereits im eigenen Garten an, den man für viele kleinere Tiere als Lebensraum oder Durchzugs-Raststelle deutlich attraktiver gestalten kann.

Der Garten kann beispielsweise naturnah angelegt und mit durchlässigen Zäunen umgeben werden. Und auch schon bei der Balkonbepflanzung kann man mit heimischen Wildpflanzen anstelle von Geranien oder ähnlichen fremdländischen Zierpflanzen erstaunliche Effekte erzielen.

Holzbank in einem Naturgarten.

Hier fühlen sich auch viele Tiere wohl

Um die Tiere vor den Gefahren des Straßenverkehrs zu schützen, gibt es verschiedene Ansätze, etwa mit Duftstoffen präparierte Pflöcke oder die klassischen Wildtierzäune. Dabei geht es immer darum, die Tiere am Überqueren der Straßen zu hindern.

Weitaus aufwändiger und nur mit Hilfe zahlreicher Freiwilliger durchführbar sind etwa Krötensammlungen an speziellen Zäunen. Die Tiere werden dann einzeln von Hand aufgehoben und über die Straße getragen.

Zunehmend werden auch Tunnel oder sogenannte Grünbrücken angelegt, mit deren Hilfe die Tiere gefahrlos Straßen und andere Hindernisse überwinden können. Wichtig bei derartig aufwändigen und teuren Konstruktionen ist die genaue Kenntnis der Wildwechsel, um die Tunnel oder Brücken an der richtigen Stelle anzulegen. Außerdem müssen bereits im Hinterland Leiteinrichtungen installiert werden, die die Tiere zu den Über- oder Unterquerungshilfen führen.

Biotopverbund soll Tierwanderungen sicherer machen

Der Biotopverbund ist seit 2002 im Bundesnaturschutzgesetz verankert. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Naturschutzgebiete – ganz gleich wie ursprünglich und gut erhalten sie auch sein mögen – immer auch eine Begrenzung für die hier lebende Tier- und Pflanzenwelt bedeuten.

Für einen nachhaltigen und gesunden Naturschutz fehlen den Populationen schlicht die vielfältigen Wechselbeziehungen mit anderen Populationen. Ziel ist es daher, die zahlreichen Schutzgebiete über Korridore miteinander zu verbinden.

Über diese Korridore könnten die Tiere dann sicher und gefahrlos von Biotop zu Biotop wandern. Die jeder Tierart eigenen Wanderbewegungen sind so zumindest in einem gewissen Umfang wieder möglich.

Quelle: SWR | Stand: 24.03.2020, 16:30 Uhr

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