Die Weimarer Republik in 120 Sekunden
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Deutsche Geschichte
Weimarer Republik
Nach dem Ersten Weltkrieg steht das Deutsche Reich als Verlierer da. Die außenpolitischen Bedrängnisse führen zur Revolution: Deutschland erlebt einen demokratischen Frühling. Doch von Beginn an steht die junge Republik unter keinem guten Stern.
Von Gregor Delvaux de Fenffe
Deutschland am Abgrund
Die Oberste Heeresleitung, der Kaiser und die Generalität befinden sich im Herbst 1918, in den letzten Tagen des Ersten Weltkrieges, militärisch und politisch in einer Sackgasse.
Nach vier Jahren grausamer Kämpfe ist Deutschland am Ende seiner Kräfte und kann dem Druck der Alliierten, die die deutsche Front langsam ins Land zurückdrängen, nicht länger standhalten. Die Niederlage ist unausweichlich, die Kapitulation nur noch eine Frage der Zeit.
Für die Herren der Reichs- und Heeresleitung ist es schon schwer genug, sich selbst die Niederlage einzugestehen. Sie auch noch dem deutschen Volk zu verkünden, das unter schweren Entbehrungen leidet, das will man dann doch lieber anderen überlassen.
Die anderen, das sind die Mitglieder der zivilen Regierung, die verhassten Parlamentarier. Sie müssen jetzt die politische Verantwortung für einen Krieg übernehmen, den die kaiserliche Generalität verbrochen hat.

Viele waren in der Weimarer Republik arbeitslos
Doch aus der Verantwortungslosigkeit der kaiserlichen Eliten entsteht die erste demokratische Republik auf deutschem Boden. Schon unter Reichskanzler Otto von Bismarck gab es starke demokratische Bestrebungen im Parlament.
Doch erst jetzt, am Vorabend der Kapitulation, wird die erste parlamentarische Demokratie im Deutschen Reich verankert. Träger der politischen Macht werden die Parteien.
Novemberrevolution 1918
Am 4. November 1918 meutern Matrosen in Wilhelmshaven und Kiel. Sie sollen in einer sinnlosen Endschlacht verheizt werden, so die Absicht der Seekriegsleitung.
Von Kiel aus erstreckt sich eine Welle von Aufständen über das Land, der sich weitere Matrosen, Soldaten und Arbeiter anschließen. Arbeiter- und Soldatenräte formieren sich, der Ruf nach Abdankung des Kaisers und der Errichtung einer Republik wird laut.
Unter dem Druck der innenpolitischen Unruhen überschlagen sich die Ereignisse. Am Vormittag des 9. November 1918 erreicht die revolutionäre Bewegung Berlin.
Der von Kaiser Wilhelm II. ernannte Kanzler Prinz Max von Baden erklärt eigenmächtig die Abdankung des Kaisers und überträgt mit folgenden Worten sein eigenes Amt dem Sozialdemokraten Friedrich Ebert, der seit 1913 den Vorsitz der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) führt, also der stärksten Partei im Reichstag: "Herr Ebert, ich lege Ihnen das Deutsche Reich ans Herz."
Ebert plant, so schnell wie möglich eine Nationalversammlung einzuberufen, die eine Reichsverfassung ausarbeiten und die künftige Staatsform des Deutschen Reiches bestimmen soll: eine parlamentarische Republik oder Monarchie.
Doch wichtigstes Ziel für die SPD ist zunächst die Kontrolle über die revolutionären Umbrüche im Land. Keinesfalls will man den Moskau-Treuen das Feld überlassen, die mit Macht die Umstürzung der Verhältnisse nach sowjetischem Vorbild anstreben.
Unter allen Umständen soll mit den Führern der USPD, der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die sich im Krieg von der SPD abgespalten und weiter links neu formiert hat, eine Übereinkunft gefunden werden, um die radikale Linke zu isolieren und die Einheit der Arbeiterbewegung zu garantieren.
Da erreicht die SPD das Gerücht, dass Karl Liebknecht, Anführer der äußerst linken Spartakisten, die sozialistische Republik ausrufen will.
Die neue Republik
Am Mittag des 9. November 1918 versammeln sich revolutionär gestimmte Massen vor dem Reichstag. Philipp Scheidemann, Vorstandsmitglied der SPD, wird von seinen Leuten gedrängt, Liebknecht zuvorzukommen und am Fenster zu den Menschen zu sprechen.
Scheidemann beginnt seine Rede, doch tief berührt von der Aufregung des historischen Augenblicks geht Scheidemann viel weiter, als nur das Ende der alten Ordnung zu verkünden.
Um 12.00 Uhr ruft Scheidemann am Deutschen Reichstag die "deutsche Republik" aus. Sein Parteifreund Ebert ist entsetzt: "Du hast kein Recht, die Republik auszurufen! Was aus Deutschland wird, ob Republik oder was sonst, entscheidet eine Konstituante" – also eine verfassungsgebende Versammlung.
Doch Scheidemann kommt damit Karl Liebknecht zwei Stunden zuvor, als dieser um 14.00 Uhr vom Balkon des Berliner Stadtschlosses die "freie sozialistische Republik Deutschland" ausruft.

Philipp Scheidemann verkündet den Beginn einer neuen Zeit
Noch am gleichen Tag macht sich der Realpolitiker Friedrich Ebert an die Regierungsbildung. Um die linksradikalen Kräfte einzubinden, macht Ebert der USPD große Zugeständnisse. Um jeden Preis soll die Bildung einer Räterepublik verhindert werden.
Ebert gelingt es, eine provisorische Übergangsregierung zu bilden, den sogenannten Rat der Volksbeauftragten. Ihr gehören jeweils drei Mitglieder der SPD und der USPD an. Der Rat beschließt einstimmig die Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919.
Am 10. November geht der Kaiser ins Exil. Am Abend des 10. November hat sich die Mehrheit der gemäßigten Sozialisten gegen eine linksradikale Minderheit erfolgreich durchgesetzt, die Weichen für die Bildung einer parlamentarischen Demokratie sind gestellt.
Drückende Altlasten
Am 11. November 1918 unterzeichnet Matthias Erzberger, Abgeordneter der Zentrumspartei, den Waffenstillstand. Das Deutsche Reich steht unter Schock.
Der Erste Weltkrieg verursachte zehn Millionen Tote, 20 Millionen Verletzte. Fast zwei Millionen deutsche Soldaten sind gefallen, mehr als vier Millionen verletzt und verstümmelt.
Auf der Straße herrscht Bürgerkrieg. Chaos und Hunger bestimmen das Leben der Menschen, acht Millionen Soldaten müssen demobilisiert und wiedereingegliedert, die revolutionären Aufstände abgebremst werden.
Zu der aufgewühlten innenpolitischen Lage kommt der Druck durch die Schadensersatzforderungen der Siegermächte. Schwere wirtschaftliche Ausgleichszahlungen kommen mit dem Vertrag von Versailles auf Deutschland zu, die sogenannten Reparationen.
1921 wird von einer alliierten Kommission die Gesamtsumme der Entschädigungsleistungen auf 132 Milliarden Goldmark festgelegt, die Deutschland innerhalb von 30 Jahren abzuleisten hat. Eine schier unermessliche Summe, die das ausgeblutete Land kaum aufbringen kann.
Demokratischer Neubeginn
In Deutschland finden am 19. Januar 1919 freie Wahlen statt, erstmals sind auch Frauen zu den Wahlen zugelassen. Die Wahlbeteiligung ist mit 83 Prozent sehr hoch.
Die Deutschen wählen die Nationalversammlung. Weil man in Berlin Unruhen befürchtet, tritt sie in Weimar zusammen. Weimar gibt der jungen deutschen Republik damit eine Verfassung und ihren Namen. Deutschland ist nun eine parlamentarische Demokratie.
Die SPD wird mit 37,9 Prozent stärkste Partei im Reichstag. Friedrich Ebert wird Reichspräsident, das höchste Amt im Staat.
Als einer der bedeutendsten Politiker der Weimarer Republik setzt sich Ebert nachdrücklich dafür ein, dass die junge deutsche Demokratie aus den zermürbenden Nachwehen des Ersten Weltkriegs herausfindet.
Ebert gelingt der Schulterschluss mit den bürgerlichen Eliten, erfolgreich betreibt er die Reintegration der deutschen Soldaten in die Gesellschaft.
Doch die Geburtsstunde der ersten deutschen Republik steht unter keinem guten Stern. Von Anfang an wird ihr der verlorene Krieg angelastet, die Führer der demokratischen Parteien müssen die Niederlage vor Volk und Vaterland verantworten.

Am 6. Februar 1919 tagt zum ersten Mal die Nationalversammlung
Das deutsche Volk, das ohnmächtig die harten Vertragsbedingungen des Versailler Abkommens entgegennehmen muss, wird empfänglich für die größte Propagandalüge der Weimarer Republik: die so genannte Dolchstoßlegende.
Gezielt wird von der ehemaligen kaiserlichen Reichsleitung das Gerücht verbreitet, das deutsche Heer sei im Ersten Weltkrieg "im Felde unbesiegt" geblieben und hätte durch die Verantwortlichen der Novemberrevolution von 1918 den tödlichen "Dolchstoß von hinten" erhalten.
Wie tief die deutsche Gesellschaft gespalten ist, wird an der Vielzahl sehr unterschiedlicher Parteien deutlich. Die gemäßigten Parteien der Mitte werden flankiert von Kaisertreuen, die wieder Vorkriegsverhältnisse herstellen wollen, radikalen Rechten, die eine Diktatur anstreben und radikalen Linken, die in Deutschland eine Räterepublik ausrufen wollen.
Tatsächlich herrscht eine weit verbreitete Geringschätzung des Parlamentarismus, Weimar erscheint in der Summe oft als "Demokratie ohne Demokraten". Große Teile der Eliten akzeptieren die Republik nicht – etwa die Reichswehr. Trotzdem verhalten sie sich zunächst verfassungstreu.
14 Jahre kann sich die Weimarer Republik behaupten. 14 Jahre geprägt von wirtschaftlichen Krisen, schier unüberwindbaren politischen Problemen und gesellschaftlichen Verwerfungen, aber auch getragen von Hoffnungen, diplomatischen Glanzleistungen und demokratischen Überzeugungen.
(Erstveröffentlichung 2006. Letzte Aktualisierung 22.10.2019)
Quelle: WDR