Schwarzweiß-Foto: Passagiere auf einem Auswandererschiff

Neuzeit

Auswanderer

Im 19. Jahrhundert war das Auswandern meist eine Entscheidung fürs Leben. Heute kann man die alte Heimat in ein paar Stunden wieder erreichen. Eine große Entscheidung bleibt das Auswandern dennoch.

Von Christiane Gorse

Gründe für das Auswandern

Die ersten deutschen Auswanderer wurden von religiösen, politischen oder wirtschaftlichen Gründe angetrieben. Religiöse Splittergruppen erhofften sich zum Beispiel im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" mehr Religionsfreiheit. Viele politisch Aktive hatten nach der gescheiterten Revolution im Jahre 1848 die Hoffnung auf ein demokratisches Deutschland verloren und verließen deshalb die Heimat.

Hauptgrund für die meisten Auswanderer ist und war aber die wirtschaftliche Situation.

Im 19. Jahrhundert bewirkten Hungersnöte in den Städten und die Landknappheit – durch ein Erbrecht, das das Land in immer kleinere Parzellen aufteilte –, dass vielen ein Überleben in Deutschland kaum möglich war. Durch die beginnende Industrialisierung starben außerdem ganze Berufszweige aus.

Auch heute treiben drohende Arbeitslosigkeit und das Gefühl der Perspektivlosigkeit viele zur Flucht nach vorne. Es gibt natürlich auch persönliche Motive, die Heimat zu verlassen: Liebe, Liebeskummer, Abenteuerlust, die Sehnsucht nach besserem Wetter oder nach einem ruhigeren Leben.

Auswandern als Martyrium

So bequem wie heute war das Auswandern damals bei weitem nicht – im Gegenteil. Die Segelschiffe, mit denen die Menschen der ersten Auswanderungswellen Anfang des 19. Jahrhunderts bis etwa 1880 Deutschland verließen – meist in Richtung Süd- und Nordamerika – waren eigentlich Frachtschiffe. In ihren Zwischendecks wurden Waren von Amerika nach Europa gebracht.

Auswandererschiff, Holzstich.

Ein Zusatzgeschäft für die Reederei: Auswanderer

Auf dem Rückweg war der Platz frei – Auswanderer waren für die Reedereien also ein willkommenes Zusatzgeschäft. Die Auswanderer mussten als "Fracht" mehrere Wochen dicht gedrängt unter Deck bleiben, oft ohne Tageslicht und Frischluft.

Die hygienischen Verhältnisse verursachten schwere Krankheiten wie Typhus und Mundfäule. Die Verpflegung mussten sich die Leute selbst mitbringen – doch wenn die Fahrt statt sechs Wochen zehn dauerte, verhungerten viele Passagiere. Nur rund 50 Prozent überlebten diese Tortur.

Da viele Auswanderer die Überfahrt nicht bezahlen konnten, ließen sie sich anwerben und verpflichteten sich, für den neuen Arbeitgeber in Übersee mehrere Jahre nur für Kost und Logis zu arbeiten. Wenn sie "entlassen" wurden, bekamen sie vom Dienstherren oft ein Stück Land dazu, das sie bewirtschaften konnten.

Komfort auf den Dampfschiffen

Anders war die Situation auf den Dampfschiffen, mit denen die Menschen ab 1880 Deutschland verließen. Selbst in der untersten Klasse, im sogenannten Zwischendeck, versetzte der sparsame Luxus mit regelmäßigen Mahlzeiten, eigener Matratze und Unterhaltungsprogramm am Abend so manch junge Dienstmagd vom Land in Erstaunen.

Die Cap Arcona, Schnelldampfer der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschiffahrts-Gesellschaft auf der Elbe.

Auf den Dampfschiffen war es angenehmer

Auswandererschutzgesetze verpflichteten die Reedereien, die Passagiere zu verpflegen, für Hygiene zu sorgen und jedem eine Koje bereitzustellen. Die Auswanderer waren noch immer ein gutes Geschäft, doch ab 1900 machten sich die Dampfschiff-Betreiber gegenseitig mehr Konkurrenz. In der Folge wurden die Bedingungen angenehmer und die Überfahrten günstiger.

Auswanderungsziele in der Geschichte

Die meisten Auswanderer wollten in die USA. Hier gab es genügend Land sowie günstiges Wetter und gute Böden, um die eigene Scholle zu bewirtschaften. Anders in lateinamerikanischen Ländern wie Brasilien oder Chile. Aber hier konnte es sehr unwirtlich sein: Die Deutschen waren das subtropischen Klima nicht gewöhnt und die Infrastruktur ließ auch zu wünschen übrig.

Auswanderer bei der Abfahrt eines Schiffs.

Auf dem Weg zu einer neuen Perspektive

Zwischen 1820 und 1930 gelangten knapp sechs Millionen Deutsche in die USA. Viele bildeten in den ländlichen Gebieten deutsche Gemeinschaften, wo man den gleichen Dialekt sprach und die Orte nach aktuellen deutschen Architekturmoden errichtete. Vielerorts entstand so ein "Little Germany", und erst die Enkel dieser Einwanderer verstanden sich tatsächlich als Amerikaner.

Andere Ziele waren Australien und Neuseeland. Dorthin verschlug es allerdings zunächst nur ganz wenige Deutsche. Neuseeland war damals britische Kolonie und hatte den Ruf, zwar deutsche Tugenden wie Fleiß und Ausdauer zu schätzen, nicht aber das Leben des Einzelnen. Ganz zu schweigen von den Ureinwohnern, den Maoris, denen man nachsagte, Menschenfresser zu sein. Erst die Goldfunde in den 1860er-Jahren ließen Neuseeland zum Auswandererland werden.

Ellis Island

Die USA wurden besonders nach den Unabhängigkeitskriegen 1775 bis 1785 bei deutschen Auswanderern beliebt. Doch Ende des 19. Jahrhunderts änderte sich dort die Einwanderungspolitik. Die Einwanderungswilligen wurden stärker kontrolliert. Besonders Menschen aus Osteuropa waren nicht mehr gern gesehen, da sie als nicht assimilierungswillig wahrgenommen wurden.

Poster der Hamburg-Amerika-Linie

Die Einwanderung nach Amerika wurde schwieriger

1892 gründete die Regierung daher vor dem Hafen von New York die Einreisebehörde Ellis Island. Auf der vorgelagerten Insel errichteten die Behörden eine neue Sammelstelle, wo bis zu 12.000 Menschen am Tag ankamen. Allein 1907 wurden mehr als eine Million Einwanderer abgefertigt. 40 Prozent aller heutigen US-Bürger haben Vorfahren, die über Ellis Island ins Land kamen.

Mit der Quotenregelung ab 1924 begann der Niedergang von Ellis Island. 1932 war die Zahl derer, die abgewiesen wurden, zum ersten Mal größer als die der Zugelassenen. Bald lohnte sich die Bürokratie nicht mehr, so dass Ellis Island 1954 geschlossen wurde. Heute befindet sich auf der Insel ein Museum zur US-Einwanderungsgeschichte.

Auswandern heute

Neben den USA ist Kanada heute eines der beliebtesten Länder für Auswanderer – wegen der guten wirtschaftlichen Entwicklung veranstaltet das Land sogar Jobbörsen in Deutschland. Mit der Europäischen Union (EU) hat sich aber auch die Migrationsmöglichkeit innerhalb Europas verbessert.

Während man für außereuropäische Länder ein Visum und eine Arbeitsgenehmigung braucht, ist es innerhalb der EU unproblematisch, den Wohnort zu wechseln. Das ist besonders praktisch für Rentner, die den Lebensabend im Süden verbringen wollen.

Für diejenigen, die Arbeit suchen, stehen Österreich und die Schweiz hoch im Kurs – auch hier finden Deutsche oft lukrativere Jobangebote als in Deutschland. Jedes Jahr verlassen rund 150.000 Deutsche ihr Heimatland.

Dennoch hat sich ein Wandel in der Art der Auswanderung vollzogen: Heute zieht man eher um. Denn im Prinzip kann jede Entscheidung noch einmal rückgängig gemacht werden. Wenn der befristete Arbeitsvertrag ausgelaufen ist, die Selbstständigkeit geplatzt ist oder man im Alter die solide, deutsche Gesundheitsversorgung benötigt, können Auswanderer schnell wieder zurück in Deutschland sein.

Und für Rückkehrer gilt: Auch wenn der Aufenthalt in der Fremde nicht so glücklich gelaufen ist, wie sie es sich erträumt haben – jeder ist immerhin um die Erfahrung reicher, wie es ist, im Ausland zu leben. Und nicht selten sieht ein Rückkehrer Deutschland viel positiver als vor dem Aufbruch in die große weite Welt.

Quelle: SWR | Stand: 21.04.2020, 10:30 Uhr

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