Das Denkmal Martin Luthers "hält" ein Neues Testament in Lutherstadt Wittenberg in den Händen

Religion

Martin Luther

Im Jahr 1517 erhob der Augustinermönch Martin Luther seine Stimme. Er forderte: Die christliche Kirche muss zu ihren Wurzeln, zum Evangelium zurückkehren. Luther ging in die Geschichtsbücher ein, mit ihm begann das Zeitalter der Reformation.

Von Gregor Delvaux de Fenffe

"Lässt Du mich leben, so will ich ein Mönch werden"

Stotternheim, 2. Juli 1505: Tiefe Nacht herrscht über der Gemeinde bei Erfurt. Ein Mann ist unterwegs, allein. Plötzlich ziehen sich Wolken zusammen, ein Gewitter kommt auf. Regen setzt ein, Blitze erhellen die Nacht. Der Wanderer beginnt sich zu fürchten.

Plötzlich schlägt ein Blitz unmittelbar neben ihm ein. Der Mann bekommt Todesangst, fürchtet vom Blitz erschlagen zu werden. Er fällt hin und schreit: "Heilige Anna, hilf! Lässt Du mich leben, so will ich ein Mönch werden."

Der Mann überlebt unverletzt, das Gewitter zieht vorüber. Doch nun ziehen neue Wolken auf. Wolken, die sich über Jahrhunderte über Europa zusammenballen werden. Ein Gewitter wird niedergehen über dem Machtgefüge Europas, nach dem nichts mehr so sein wird, wie es war. Der Name des Mannes: Martin Luther.

Porträt von Martin Luther.

Luther macht Karriere an der Universität

Der Jurist wird zum Mönch

Erregt erzählt Luther am nächsten Tag seinen Freunden, was ihm in der Nacht widerfahren ist, und er verkündet, an seinem Gelübde festhalten zu wollen. Seine Freunde sind seine Kommilitonen, denn Luther hat erst kürzlich erfolgreich seinen Abschluss in Jura gemacht.

Ginge es nach seinem Vater, würde er als städtischer Beamter Karriere machen. Als Hausbesitzer und Teilhaber einer Erzmine hat er alles getan, um seinem Sohn eine erfolgreiche Karriere zu ermöglichen.

Doch Luther wird tatsächlich Mönch. Er tritt in den Stift der Augustiner-Eremiten ein, einen der strengsten Orden seiner Zeit.

"O meine Sünde, Sünde, Sünde!"

Wenn man verstehen will, warum Luther nur aufgrund eines bedrohlichen Gewitters einen so einschneidenden Schritt unternimmt und ins Kloster eintritt, muss man sich das christliche Verständnis der Menschen im Mittelalter vor Augen halten.

Luther hatte in jener Nacht den Tod vor Augen. Es war weniger die Angst zu sterben, die ihn so erschreckte. Was ihn mit Panik erfüllte, war der Gedanke, unvorbereitet auf seinen Schöpfer zu treffen.

Luther bekennt später im November 1521: "Ich bin nicht gern und nicht aus Eifer ein Mönch geworden, viel weniger des Bauchs wegen, sondern da mich eine Angst und Todesschreck unversehens überfiel, tat ich ein erzwungen und erdrungen Gelübde."

Das Ölgemälde von Ferdinand Pauwels zeigt Martin Luthers Thesenanschlag an die Schlosskirche zu Wittenberg am 31. Oktober 1517.

95 Thesen gegen den Ablasshandel

Luther nimmt sein Leben als Mönch sehr ernst. Permanent wähnt er sich in Sünde und begangenem Unrecht. Er kasteit sich.

Luther hat furchtbare Angst vor dem jüngsten Gericht, vor dem strafenden Gott, der nach dem Tod über den Menschen Gericht hält. Luther ist verzweifelt und depressiv.

Kein Mensch auf Erden, denkt er, sei er auch noch so bemüht und rechtschaffen, werde je vor Gott bestehen können. Denn jeder Mensch sündigt, jeder Mensch hat Phasen in seinem Leben, in denen er sich gegen Gott entscheidet.

Das bedeutet also, wenn Gott gerecht wäre, müsste der Mensch nach seinem Leben und seinen Taten in jedem Fall gerichtet und bestraft werden.

Der Ordensobere Johann von Staupitz wird sein Vertrauter und wäscht ihm ordentlich den Kopf. Luther vertraut sich ihm an: "Da ich ein Mönch war, schrieb ich Dr. Staupitz oft, und einmal schrieb ich ihm: 'O meine Sünde, Sünde, Sünde!'

Darauf gab er mir diese Antwort: 'Du willst ohne Sünde sein und hast doch keine rechte Sünde; Christus ist die Vergebung rechtschaffener Sünden, als die Eltern morden, öffentlich lästern, Gott verachten, die Ehe brechen, das sind die rechten Sünden.

Du musst ein Register haben, darin rechtschaffene Sünden stehen, soll Christus Dir helfen; musst nicht mit solchem Humpelwerk und Puppensünden umgehen und aus einem jeglichen Bombart [lautes Geräusch; die Red.] eine Sünde machen!'"

Luther entdeckt den gnädigen Gott

Was ist das für ein Gott, vor dem der Mensch nicht bestehen kann, fragt sich Luther? Eines Tages entdeckt er in der Bibel, im Brief des Apostels Paulus an die Römer, ein anderes, ein gütiges Gottesbild:

"Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche aus dem Glauben kommt und zum Glauben führt; wie geschrieben steht: Der Gerechte wird aus dem Glauben leben."

Luther erkennt, dass Gott – anders als die Kirche lehrt – kein mitleidsloser, strafender Gott ist. Der Mensch kann von sich aus die Erlösung durch Gott nicht verdienen oder erarbeiten, nur Gott selbst kann mit seinem "Dazutun" den Menschen erlösen.

Später wird Luther sagen, dass ihm diese neue Erkenntnis der Schrift in der Studierstube des Wittenberger Klosterturms gekommen ist.

Luther entdeckt den gnädigen Gott. Damit ist gemeint, dass Gott viel größer ist als nur gerecht. Natürlich muss sich der Mensch mit seinen Taten und seinem Leben vor Gott einmal verantworten – der Mensch trägt Verantwortung.

Aber Gott holt die Menschen ab, wo sie stehen, Gott bewegt sich auf die Menschen zu und nicht von ihnen weg. Gott, sagt Luther, ist barmherzig. Gott kommt zum Sünder, er nimmt den Menschen an, er liebt den Menschen und will ihn mit seinen Sünden nicht vernichten. Es ist ein liebender Gott, kein richtender Gott, den Luther von nun an predigt.

Luther – das beste Pferd im Stall

Im Jahr 1505 tritt Luther ins Kloster ein. Schon im Februar 1507 wird er wegen vorbildlicher Lebensführung im Orden zum Priester geweiht.

Sein Beichtvater Johann von Staupitz, der Generalvikar der Kongregation, erkennt das enorme Potenzial des jungen, hochbegabten Mitbruders und schickt ihn 1508 nach Wittenberg zum Theologiestudium.

In Wittenberg hat Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen gerade eine Universität gegründet. Dort wird Luther bald zum Doktor der Theologie promoviert. Nun hält er selbst Vorlesungen und predigt. Schon bald wird er "das beste Pferd im Stall" der Universität.

1510 reist Luther im Auftrag seines Klosters nach Rom. Zwar empört er sich zu jener Zeit noch nicht über die Zustände der Kirche, doch den Sittenverfall in Rom bekommt er hautnah mit.

Luther macht in Rom das ganze damalige Buß-Programm mit: Er nimmt an einer Generalbeichte teil, er rutscht auf Knien die "Heilige Treppe" am Lateran hinauf, um Sündenvergebung für sich, seine Verwandten und Mitbrüder zu erlangen.

Und er bezahlt Geld, den sogenannten Ablass, damit seinen verstorbenen Großeltern die Sünden erlassen werden. Seltsamerweise äußert er sich später in seinen Schriften nie kritisch über diesen Besuch in Rom.

Schreiende Menschen in einem Feuer

Bares erspart das Fegefeuer?

Fegefeuer – eine bedrohliche Läuterungsstation

Religion und Glaube waren damals nicht einfach ein gesellschaftliches Angebot an die Menschen, eine Option, jedermanns Privatsache, wie das in heutiger Zeit in den Industrieländern der Fall ist.

Der Glaube an Gott und an die Kirche war für die Menschen damals das Fenster zur Welt. Die Kirche war eine ungeheure Autorität, die den Sinn und den Zweck des Daseins bestimmte.

Die Macht der Kirche bestand darin, den Menschen den Weg ins Jenseits aufzuzeigen. Das bedeutete für die Menschen zu Zeiten Luthers Geborgenheit, aber auch Bedrohung.

Es ist nicht ganz richtig, wenn man sich heute vorstellt, die Menschen damals hätten Angst vor der Hölle gehabt. Jeder Christ, der einigermaßen anständig blieb, die christlichen Sakramente empfing und die kirchlichen Regeln befolgte, der machte sich keine Sorgen, in der Hölle zu landen.

Die Bedrohung lag vielmehr im Fegefeuer – einer Läuterungsstation, durch die jeder Mensch durch musste, wollte er in den Himmel kommen. So lehrte es damals die Kirche. Und gegen Geld, den sogenannten Ablass, bot die Kirche den Menschen die Möglichkeit, die Zeit dieses Läuterungsfeuers erheblich abzukürzen.

Der Mönch wird zum Anwalt der Betrogenen

Das beklemmende Gottesbild zur Zeit Luthers, die Angst des Menschen vor himmlischer Strafe nach dem Tod, schuf die Grundlage für den einträglichen Ablasshandel der Kirche.

Sie bediente sich ohne Hemmungen der Ängste der Menschen, um sich an den eingetriebenen materiellen Bußleistungen zu bereichern.

Einer der erfolgreichsten Ablassprediger war der Dominikanermönch Johann Tetzel. Tetzel versprach die Vergebung sogar der schlimmsten Sünden, solange nur ordentlich bezahlt würde. "Sobald die Münz’ im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt", lautete sein Aufruf.

Johann Tetzel, Theologe u. Ablassprediger (Todestag 11.08.1519)

WDR ZeitZeichen 11.08.2019 14:56 Min. Verfügbar bis 08.08.2099 WDR 5


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Von dem Geld, das da im Kasten klingelte, finanzierte der Papst unterdessen ein ehrgeiziges Projekt: den neuen Petersdom in Rom.

Aufgeschreckt über die von seinen Gemeindemitgliedern erworbenen Ablassbriefe erhob Luther nun seine Stimme gegen die Institution, die in Verdrehung des Evangeliums mit den Ängsten der Menschen Geschäfte machte. Luther waren die Kleriker ein Gräuel, die mit Gott handelten und die Heilsbotschaft Jesu verrieten.

Mit großer Entschiedenheit machte er sich zum Anwalt der Betrogenen und forderte eine Rückkehr der Kirche zu ihrem eigentlichen Auftrag, eine grundlegende Reform der Kirche "an Haupt und Gliedern". Der Wittenberger Mönch schickte sich an, niemand geringeren als den Papst herauszufordern.

Martin Luther, Reformator (Todestag, 18.02.1546)

WDR ZeitZeichen 18.02.2021 14:58 Min. Verfügbar bis 19.02.2099 WDR 5


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Quelle: SWR | Stand: 31.03.2020, 11:27 Uhr

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