Die deutsche Kolonialzeit Planet Wissen 08.05.2023 02:38 Min. Verfügbar bis 23.06.2027 WDR Von Hildegard Kriwet

Deutsche Geschichte

Deutsche Kolonien

Jahrhundertelang eroberten und besetzten unter anderem einige Länder Europas große Teile der Welt. Die besetzten Regionen nannte man Kolonien. Auch Deutschland hatte von 1884 bis 1919 Kolonien. Die Folgen der deutschen Kolonialzeit sind bis heute spürbar – in Afrika, aber auch in Deutschland.

Von Carsten Günther

Deutschlands "Platz an der Sonne"

Am Ende des 19. Jahrhunderts hatten Großbritannien, Frankreich, die Niederlande, Belgien, Spanien und Portugal bereits weite Teile der Erde besetzt und dort Kolonien errichtet. Nun wurde auch Deutschland Kolonialmacht. "Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne", sagte der Politiker Bernhard von Bülow dazu später, im Jahr 1897. Zu diesem Zeitpunkt hatte das deutsche Kaiserreich allerdings schon fast seinen gesamten Kolonialbesitz erworben, mit Ausnahme von Samoa, Kiautschou und einigen pazifischen Archipelen.

Dieser Satz verschleierte jedoch, worum es bei der Kolonialisierung vor allem ging: Es sollten fremde Gebiete auf anderen Kontinenten erobert und unter deutsche Kontrolle gebracht werden. Dafür schlossen die Deutschen meist zunächst Verträge mit einheimischen Machthabern, auch betrügerische Verträge. Anschließend folgten oft Demonstrationen militärischer Macht und leere Versprechen, die Vertragspartner vielfältig zu unterstützen. Aber grundsätzlich ging es darum, die einheimische Bevölkerung in den Kolonien zu enteignen, zu unterwerfen und sich dabei selbst zu bereichern.

Schon ab dem 16. Jahrhundert hatte es vereinzelte Versuche deutscher Kaufleute und Fürsten gegeben, Handelsstützpunkte in der Karibik und in Afrika zu errichten. Doch erst nach der Gründung des deutschen Reichs 1871 wurde in Deutschland verstärkt die Forderung nach eigenen Kolonien laut.

Die deutschen Kolonien befanden sich in Afrika, China und im Pazifik | Bildquelle: dpa-infografik GmbH

Die ersten deutschen Kolonien

Von November 1884 bis Februar 1885 trafen sich dann die europäischen Kolonialmächte auf der "Berliner  Konferenz", die auch "Kongokonferenz" oder "Afrika-Konferenz" genannt wurde. Dort teilten sie den afrikanischen Kontinent nahezu vollständig unter sich auf – ohne einen einzigen Vertreter der betroffenen Länder dazu zu befragen. Eingeladen zur Konferenz hatte der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck, der damit den Grundstein zum deutschen Kolonialreich legte.

Französische Karikatur zur Kongo-Konferenz: Bismarck verteilt den "Kuchen" Afrika | Bildquelle: akg-images

Die ersten deutschen Kolonien lagen 1884 in "Deutsch-Südwestafrika", im heutigen Namibia, Togo und Kamerun. 1885 entstand mit "Deutsch-Ostafrika" die größte deutsche Kolonie. Sie umfasste schließlich die heutigen Länder Tansania, Burundi und Ruanda sowie Teile von Mosambik. 1898 kam das Gebiet Kiautschou in Nordostchina hinzu sowie 1899 im Pazifik einige Inselgruppen und Samoa.

In den deutschen Kolonien lebten nach damaliger Schätzung mehr als 13 Millionen einheimische Menschen, die meisten in "Deutsch-Ostafrika". Deutschland besetzte damit nach Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden das viertgrößte europäische Kolonialreich. Der Fläche nach war es sogar das drittgrößte.

Offiziell wurden die Kolonien damals "Schutzgebiete" genannt. Damit war aber nicht der Schutz der einheimischen Bevölkerung gemeint, sondern der Schutz von wirtschaftlichen Interessen der deutschen Unternehmen.

Der deutsche Reichstagsabgeordnete Otto Arendt lässt sich von Einheimischen ziehen | Bildquelle: picture alliance / ullstein bild (Haeckel–Archiv)

Warum wollte Deutschland Kolonien haben?

Zur damaligen Zeit wurde oft behauptet, dass Deutschland aus wirtschaftlichen, politischen und so genannten zivilisatorischen Gründen Kolonien benötige. Mit zivilisatorischen Gründen meinte man, dass die Deutschen den Menschen in den Kolonien Bildung und Fortschritt bringen würden. Außerdem hieß es, dass Deutsche in die neu erworbenen Territorien auswandern könnten – was aber nie in größeren Zahlen geschah.

Ein Grund, warum es dem Deutschen Reich damals so wichtig war, Kolonien zu besitzen: Es war die Zeit der zweiten Industrialisierung, und die deutschen Fabriken brauchten Rohstoffe, um ihre Produkte herstellen zu können. Zum Beispiel Kautschuk, aus dem Gummi gefertigt wurde, aber auch Kaffee, Kakao, Baumwolle, Sisal sowie Palmöl waren gefragt.

Die einheimische Bevölkerung wurde dabei beraubt und oft auch zur Arbeit gezwungen. Die Deutschen nahmen ihnen ihr Land weg, um darauf große Plantagen zu errichten. Die Arbeitsbedingungen waren meist katastrophal.

Gegen den Kolonialismus gab es im Kaiserreich wenig Widerspruch, denn er entsprach dem damaligen Zeitgeist in westlichen Ländern. Im 19. Jahrhundert waren viele Europäer der Meinung, dass sie das Recht hätten, andere Völker zu beherrschen und zu unterwerfen.

Ein deutscher Kolonialherr in "Deutsch-Ostafrika", 1906 | Bildquelle: akg-images / Peter Weiss

Ein weiterer Grund, der damals oft genannt wurde: Viele Europäer hielten die Afrikaner für "unzivilisiert" und behaupteten, es sei die Pflicht der Europäer, ihnen "Kultur beizubringen". Völkerkundler versuchten, die europäische Überlegenheit mit angeblich wissenschaftlichen Beobachtungen und Daten zu belegen. Es wurden eigene Gesellschaften gegründet, deren Ziel es war, mit Ausstellungen und Vorträgen für den Kolonialismus zu werben.

Nur wenige Menschen kritisierten öffentlich die deutsche Kolonialpolitik. Einer von ihnen war der SPD-Politiker August Bebel, der 1894 im Deutschen Reichstag sagte: "Meine Herren, was bedeutet denn aber in Wahrheit Ihre christliche Zivilisation in Afrika? (...) Äußerlich Christentum, innerlich und in Wahrheit Prügelstrafe, Weibermisshandlung, Schnapspest, Niedermetzelung mit Feuer und Schwert, mit Säbel und Flinte. Das ist Ihre Kultur. Es handelt sich um ganz gemeine materielle Interessen, ums Geschäftemachen und um nichts weiter!"

Widerstand und Kolonialkriege

Die Einheimischen wehrten sich gegen die Unterdrückung: In China richtete sich 1900 der so genannte "Boxeraufstand" gegen die Europäer und die christlichen Missionen. 1904 rebellierten im heutigen Namibia die Stämme der Herero und Nama gegen die Deutschen. Die reagierten mit großer Grausamkeit: Im darauffolgenden Krieg wurden schätzungsweise 50.000 bis 70.000 Menschen getötet. Dies gilt als der erste Völkermord ("Genozid") des 20. Jahrhunderts.

Auch zwischen 1905-1907 wehrte sich im Süden von "Deutsch-Ostafrika" die einheimische Bevölkerung gegen die deutsche Kolonialherrschaft. Der so genannte "Maji-Maji-Aufstand" endete mit einer Niederlage der Afrikaner und einer großen Hungersnot. Es wird geschätzt, dass bis zu 300.000 Menschen durch die Kämpfe und ihre Folgen starben.

Der Völkermord an den Herero und Nama Planet Wissen 08.05.2023 00:54 Min. Verfügbar bis 23.06.2027 WDR

Wie endete die deutsche Kolonialzeit?

Nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) musste das Deutsche Reich als Kriegsverlierer alle seine Kolonien aufgeben. Im Vertrag von Versailles beschlossen die Sieger 1919, dass die Gebiete auf die anderen Kolonialmächte wie Großbritannien, Frankreich, Belgien oder Portugal aufgeteilt wurden. Damit war die deutsche Kolonialzeit nach 35 Jahren beendet.

Die deutsche Herrschaft hat in den ehemaligen Kolonialgebieten ihre Spuren hinterlassen. In manchen afrikanischen Städten stehen heute noch Kirchen und Gebäude, die im deutschen Stil erbaut sind. In Namibia, dem ehemaligen "Deutsch-Südwestafrika", sprechen noch etwa 20.000 Menschen die deutsche Sprache.

Lange Zeit wurde die Kolonialzeit in Deutschland verdrängt oder schöngeredet. Erst gegen Ende der 1990er-Jahre begann in Deutschland eine Diskussion über die koloniale Vergangenheit mit ihren zahllosen Verbrechen und darüber, wie man diese Zeit aufarbeitet. In vielen deutschen Städten wurden Straßennamen geändert, die die Namen von Kolonialherren trugen. Mehrere Museen haben begonnen, ihre Ausstellungsstücke, die aus ehemaligen Kolonien stammen, an die Herkunftsländer zurückzugeben.

2022 gab Deutschland die berühmten Benin-Bronzen an Nigeria zurück | Bildquelle: IMAGO/photothek

(Erstveröffentlichung 2025. Letzte Aktualisierung 12.05.2025)

FACHBERATUNG

Prof. Jens Jäger
Historisches Institut, Universität zu Köln

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