Leben im Mittelalter
Kreuzzug der Armen
1095 rief Papst Urban II. die Christenheit zum Kampf gegen die muslimischen Eroberer Jerusalems auf. Er rechnete nicht damit, dass seine Worte eine große Wirkung haben würden. Aber Tausende machten sich auf den Weg – und als erste marschierten die Armen los.
Von Horst Basting
Papst Urban II. rief 1095 zum Kreuzzug auf
Nach und nach eroberten türkische Seldschuken im 11. Jahrhundert Teile von Kleinasien und wurden mehr und mehr zur Bedrohung für die oströmische Kirche in Byzanz und ihren Kaiser Alexios I. Auch Gebiete des Heiligen Lands wurden von Moslems erobert, Angriffe auf Christen häuften sich und die Pilgerwege nach Jerusalem waren in der Folge nicht mehr sicher.
Im Sommer 1095 wandte sich Kaiser Alexios I. an Papst Urban II. mit der Bitte um Hilfe im Kampf gegen die ungläubigen Heiden.
Auf dem Konzil von Clermont entfachte der Papst bei den anwesenden Bischöfen und mehreren tausend Gläubigen mit seinem Aufruf zum Kreuzzug gegen die muslimischen Eroberer eine unglaubliche Begeisterung für die Befreiung Jerusalems. Der Kreuzzug sollte zu einem reinigenden Bußgang werden. "Gott will es!" – mit dieser Überzeugung wollten sich Zehntausende im Jahre 1096 auf den Weg ins Heilige Land machen.
Der Termin des Aufbruchs wurde für August festgelegt. Zwischenzeitlich zogen fanatisierte Wanderprediger durchs Land und verbreiteten die Botschaft des Papstes – mit großem Erfolg. Das einfache Volk, Bauern, Handwerker und der niedere Adel, war besessen von diesem Gedanken, bot der Kreuzzug ihnen doch die Möglichkeit, ihrem armseligen Leben zu entrinnen.
Gründe für den Aufbruch ins Heilige Land
Die wirtschaftlichen Bedingungen Ende des 11. Jahrhunderts hatten das einfache Volk verarmen lassen. Ein starker Bevölkerungszuwachs sorgte für einen erhöhten Nahrungsbedarf. Missernten und Seuchen verschärften die Situation. Auch der Ritterstand war in der Krise.
Die Primogenitur, das Erbrecht des Erstgeborenen, wurde für die nachgeborenen Geschwister zu einem großen Problem. Sie blieben unversorgt und mussten sich selbst eine Existenz aufbauen. Da kam der Aufruf des Papstes gerade recht. Er bot ihnen die Gelegenheit, sich im Orient eine Lebensgrundlage zu schaffen.
Auch das Seelenheil spielte für den gläubigen Christen in dieser Zeit eine große Rolle. Das Elend auf Erden vergrößert die Sehnsucht nach einem guten Leben im Jenseits. Doch das Paradies wartete nur auf jene, die ohne Sünde waren. Der Kreuzzug bot nun nach den Worten des Papstes die Gelegenheit zur Wiedergutmachung aller Sünden.
Aufbruch des Kreuzzugs der Armen
Unter der Führung von Peter dem Einsiedler, einem Mönch aus der Nähe von Amiens, brachen im Februar 1096 mehrere tausend Menschen von Nordfrankreich aus nach Jerusalem auf – unter ihnen auch Diebe und Gewaltverbrecher. Sie wollten nicht bis August warten. Die meisten von ihnen hatten ihre Heimat noch nie verlassen.
Mit einfachen Ochsenkarren und zu Fuß zogen sie los, völlig unerfahren im Kampf und schlecht ausgerüstet, ohne Vorstellung davon, welche Strapazen sie erwarteten. Im April 1096 erreichte der Zug Köln. Mittlerweile hatten sich ihm 15.000 Teilnehmer angeschlossen.
Peter der Einsiedler begeistert die Menschen
Judenpogrome
In Köln – wie in einigen anderen Städten Deutschlands – hatten sich jüdische Gemeinden etabliert, die nun in den Fokus gerieten. Da die Juden als Nachfahren der Mörder Jesu angesehen wurden, kamen sie den Teilnehmern des Kreuzzugs der Armen gerade recht. Warum die Ungläubigen erst im Heiligen Land bekämpfen, wenn sie doch unter ihnen lebten?
Die Juden hatten als Händler und Geldverleiher einen hohen Anteil am Wirtschaftsleben und standen unter dem Schutz des Kaisers und der Bischöfe. Sie waren meist wohlhabend, was für die Kreuzzügler den nützlichen Nebeneffekt hatte, dass man sich an ihnen gleichzeitig materiell bereichern konnte.
Der Schutz des Kaisers nutzte den Juden nichts. Der Mob fiel gnadenlos über sie her. Schätzungsweise 5000 Menschen fielen den Judenpogromen zum Opfer.
Neben Köln waren auch Städte wie Mainz, Speyer und Regensburg betroffen. Der Tross zog den Rhein entlang weiter zum Neckar und dann der Donau folgend in Richtung Ungarn.
Juden werden zu Feinden im eigenen Land
Ein Weg voller Qualen und Plünderungen
An der ungarischen Grenze war der Kreuzzug der Armen zwischenzeitlich auf 40.000 Teilnehmer angewachsen. Die Ernährung solcher Menschenmassen stellte die Anführer vor enorme Probleme. Da die meisten mittellos waren, blieb den Kreuzzüglern nichts anderes übrig als zu stehlen und zu plündern.
Der ungarische König Koloman gewährte dem Zug den freien Durchzug durch das Land. Die Bedingung: friedlich und ohne Plünderungen. Die Ernährungslage ließ das aber nicht zu.
In Semlin erschlugen die Kreuzzügler 4000 Ungarn, später plünderten und zerstörten sie Belgrad, und in der serbischen Stadt Nisch kam es zu erbitterten Kämpfen mit byzantinischen Truppen. Ein Großteil der Teilnehmer des Kreuzzugs blieb dabei auf der Strecke und das Heer der Kreuzzügler schrumpfte auf 15.000 Mann.
Ankunft in Konstantinopel
Kaiser Alexios I. schickte den kriegerischen Pilgern Soldaten entgegen, um dem Morden ein Ende zu machen. Sie versorgten die Ankömmlinge mit Lebensmitteln und eskortierten sie nach Konstantinopel, dem heutigen Instanbul.
Als der byzantinische Kaiser Papst Urban II. im Kampf gegen muslimische Eroberer um Hilfe gebeten hatte, hatte er mit berühmten Rittern und hohen Geistlichen gerechnet. Nun sah er sich von einem Haufen randalierender Abenteurer bedroht. Die Blutspur, die dieser Kreuzzug auf seinem Weg nach Byzanz hinterlassen hatte, veranlasste Alexios, dieses Heer so schnell wie möglich über den Bosporus nach Kleinasien bringen zu lassen.
Die Haupstadt der oströmischen Kirche: Konstantinopel
Nur 3000 überlebten und wurden versklavt
Nach sechs Monaten in Kleinasien angekommen, zogen die Kreuzzügler weiter plündernd und mordend durch das Land der Ungläubigen. Viele griechische Christen waren unter den Opfern. Das Heer kündigte seinen Anführern die Gefolgschaft auf und teilte sich auf. Auf der einen Seite standen Deutsche und Italiener, auf der anderen Seite die Franzosen.
Als das Umland von Nikaia verwüstet und die Stadt bedroht worden war, rief dies Sultan Kilidsch Arslan I. auf den Plan. Seine Familie lebte in Nikaia.
Das christliche Heer war den muslimischen Kämpfern nicht gewachsen, der Sultan besiegte die Kreuzfahrer. Wer nicht zum Islam konvertierte, wurde ermordet oder auf dem Sklavenmarkt verkauft. Nur rund 3000 der weit gereisten Teilnehmer des ersten Kreuzzugs überlebten das Gemetzel.
Der erste kriegerische Pilgerzug und sein Ausgang blieb nicht ohne Folgen: Er sollte für die nächsten rund 200 Jahre Krieg in das Heilige Land bringen. Juden erkannten in den Kreuzrittern ihre Todfeinde, im Westen wuchs das Misstrauen gegenüber Kaiser Alexios I., der dem Kreuzzug seine Unterstützung verweigert hatte, und Sultan Kilidsch Arslan I. glaubte leichtes Spiel mit den Kreuzrittern zu haben, obwohl das richtige Heer sich gerade erst auf den Weg machte.
(Erstveröffentlichung 2013, letzte Aktualisierung 26.06.2019)
Quelle: SWR