Portraitaufnahme von Markus Friedrich.

Ordensleute

Interview: Jesuitischer Missionseifer

Den Entdeckern fremder Länder und Kontinente folgten ab dem 15. Jahrhundert die Missionare der christlichen Orden, darunter auch der Orden der Jesuiten. Sie sollten die dortige Bevölkerung zum Christentum bekehren. Schon früh wirkten sie in Südamerika, in Indien, ja sogar in China. Der Historiker Prof. Markus Friedrich forscht seit vielen Jahren über die bewegte Geschichte des Männerordens.

Von Claudius Auer

Planet Wissen: Herr Prof. Friedrich, wie gingen die Jesuiten dabei vor, die Menschen zu bekehren?

Prof. Markus Friedrich: Als die Jesuiten ab 1540 ihre Arbeit mit Nicht-Christen begannen, gab es dazu kaum Erfahrung, keine anerkannte 'best practice'. So haben die Jesuiten zunächst experimentiert und viele unterschiedliche Dinge versucht: Manchmal tauften sie hunderte oder tausende von Indigenen auf einmal, nur um dann festzustellen, dass das nicht den gewünschten Erfolg brachte. Letztlich setzte sich Schritt für Schritt (über zwei Generationen hinweg) die Einsicht durch, dass engagierte Missionare – wenn überhaupt – nur dann erfolgreich sein konnten, wenn sie lange und ganz eng mit den Menschen zusammenlebten und sich so weit als möglich anpassten.

Diese Anpassung an die jeweilige Kultur nennt man ja auch  "Akkulturation“ – wie sah das in der Praxis aus?

In der Praxis hieß das für die Jesuiten, sich eng auf ihr Zielpublikum einzustellen: mühsam die Sprache zu lernen und (wenn vorhanden) einheimische Literatur zu lesen. Es hieß, sich Speise- und Alltagsgewohnheiten anzupassen, beispielsweise vegetarisch zu leben, wo das angemessen war. Es hieß, sich in Erscheinung und Kleidung zu verändern, etwa wenn die Jesuiten in China Bärte trugen und sich wie chinesische Literati kleideten. Böse Zungen behaupteten immer wieder, man hätte die Jesuitenmissionare kaum mehr von den Indigenen unterscheiden können.

Das heißt, es gab auch Streitereien um das Vorgehen in der Mission?
Konflikte gab es überall. Jesuitenmissionare mussten tagtäglich zahlreiche Entscheidungen treffen: Durfte man Polygamie akzeptieren? Welche Rituale und Feiern waren zulässig? Wo war für sie die Grenze zwischen fremdartigen Umgangsformen und Aberglauben? Für die Jesuiten war dies eine Gratwanderung und eine tägliche Auseinandersetzung, auch mit den eigenen Werten. Es gibt tausende von Briefen, in denen Missionare zu Hause nachfragen, was sie dürfen und was nicht. Nicht nur innerhalb des Ordens gab es ständige Diskussionen, sondern auch mit katholischen Konkurrenten, etwa mit anderen Missionsorden. Letztendlich lag die oberste Entscheidung in Rom, beim Jesuitengeneral und beim Papst. Viele Fragen konnten erfolgreich geklärt werden, mal zu Gunsten der Missionare, mal auch gegen sie.

In China hat das nicht geklappt, dort wurden sie sogar vom Papst zurückbeordert...
Ja genau. Einige der Konflikte liefen völlig aus dem Ruder, insbesondere der sogenannte Ritenstreit in Indien und China: Wie weit durften die Jesuiten hinduistischen und konfuzianischen Praktiken entgegenkommen? Verrieten sie das Christentum? Mit ihrer Annäherung an die fremden Kulturen schienen sie nun wesentliche Kernelemente des Christentums infrage zu stellen. Das war ein grundsätzliches Problem: Plötzlich sahen sich die Europäer starken Kulturen gegenüber, die völlig andere Auffassungen hatten und die man nicht als "unzivilisiert" abtun konnte. Verschiedene Päpste entschieden letztlich gegen die Jesuiten – eine große Niederlage im 18. Jahrhundert.

Der Orden wächst

Planet Wissen 25.07.2023 02:12 Min. UT Verfügbar bis 28.09.2026 SWR

Was hatten die Jesuiten außer dem Glauben sonst noch im Gepäck?

Mindestens dreierlei. Erstens: materielle Güter. In den Missionsgebieten Amerikas waren beispielsweise Eisenwerkzeuge und bestimmte Nahrungsmittel sehr beliebt. Diese wurden entweder aus Europa importiert oder selbst vor Ort hergestellt. In China oder Japan waren es eher Kunstprodukte (Stiche oder Gemälde) oder astronomische Geräte. Insbesondere Uhren wurden gewinnbringend zur Kontaktaufnahme eingesetzt.

Zweitens: Bildung. Die Jesuiten nutzten sie geschickt, um Eindruck zu machen – mit Medizin, Astronomie oder Ingenieurstechnik. Umgekehrt, das muss man auch betonen, profitierten die Jesuiten ebenso häufig auch von indigenem Wissen, das sie begierig sammelten und nach Europa weitergaben.

Drittens: Militär. Gerade in Amerika, aber auch teilweise in Indien, agierten die Patres in engem Verbund mit den Kolonialautoritäten. Man darf deshalb auch die Akkulturation und den Wissensaustauch nicht verklären. Wo die Jesuiten konnten, versuchten sie ihre Vorgehensweise durchzusetzen.

Wo waren die Jesuiten besonders erfolgreich?

Zunächst fragt sich, was "Erfolg" hier eigentlich heißen könnte.  Heutzutage sehen wir die Ziele der historischen Mission kritisch. Zahlenmäßig entstanden vor allem in den Gebieten Amerikas und in kleineren Teilen Indiens stabile Gemeinden. Geht man dagegen eher von den kulturellen Folgen aus, dann waren sicherlich auch die Missionen in Asien große Erfolge, denn sie prägten das Bild der Jesuiten und das Nachdenken über das Christentum in starker Weise.

Besonders beachtet wurden die sogenannten "Reduktionen", zum Beispiel in Paraguay: In speziellen Missionsdörfern siedelten die Jesuiten tausende von indigenen Amerikanern an, um sie dort pastoral betreuen zu können. Gleichzeitig schützten sie sie vor portugiesischen Sklavenfängern aus Brasilien. Tatsächlich bestanden diese Reduktionen für etwa 150 Jahre, ehe sie in der Mitte des 18. Jahrhunderts von den Portugiesen weitgehend zerstört wurden. Man sah in diesen jesuitischen Siedlungen Stolpersteine für staatliche Regierungsideen.

Wie muss man sich solche Reduktionen vorstellen?

Das waren sehr regelmäßig angeordnete Planstädte: Ein großer Platz mit einer barocken Kirche stand im Zentrum. Davon zeugen noch viele eindrucksvolle Ruinen. Die Europäer lebten in einem Extra-Viertel. Das Leben war streng geregelt, und die Regeln machten die Jesuiten. Es wurde Landwirtschaft betrieben, denn die Reduktionen sollten sich selbst versorgen. Allerdings war keine dieser Siedlungen wirklich autark, sondern in den ökonomischen Markt der Kolonien eingebunden. Auch wenn die Jesuiten hier durchaus eine eigene, neuartige Lebens- und Siedlungsform etabliert hatten, so blieben die Reduktionen doch vielfältig und eng in die Kolonien integriert, schon allein über die Jesuiten selbst.

Welche Rolle spielt die Mission bei den Jesuiten heute?

Die Jesuiten sind heute globaler denn je. Die Mehrheit der Mitglieder sind keine Europäer. Aktuell regiert der Venezolaner Arturo Sosa den Orden. Das Engagement für lokale Kulturen und Anliegen nimmt zu. Spätestens seit den 1970er Jahren geht es nicht mehr primär darum, ein europäisches Christentum auf andere Kulturen zu projizieren. Die Wertschätzung anderer Religionen und Glaubensformen ist heute im Orden hoch.

Das entscheidende Stichwort lautet "Inkulturation": Man sucht den Dialog, um Gemeinsamkeiten zu finden und die Welt gemeinsam zu gestalten, nicht unbedingt, um zu bekehren. Dies ist eine enorme Herausforderung, und der Orden arbeitet bis heute daran, hierauf Antworten zu finden.

Zudem hat die Mission eine immer stärkere soziale Dimension entwickelt. Das heißt für die Jesuiten heute vor allem, Sozial- oder Bildungsprojekte zu unterhalten, der Jugend eine Perspektive zu geben oder unmittelbares Leid zu lindern. Der Jesuit Refugee Service (1980 gegründet) ist dafür vielleicht das prominenteste Beispiel, doch auch zahlreiche Bildungsinitiativen der letzten Jahre, gefördert durch die wachsende digitale Vernetzung, gehen in dieselbe Richtung.

Quelle: SWR | Stand: 22.09.2021, 16:00 Uhr

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