Mammutbaum im Humboldt-Nationalpark

Bäume

Kalifornischer Urwald

Riesige Mammutbäume und uralte Kiefern sind die Könige der Urwälder Nordamerikas. Die kalifornischen Urwälder sind etwas ganz Besonderes, auch weil sie nur noch in wenigen Nationalparks zu bewundern sind.

Von Helge Bendl

Pflanzliche Wolkenkratzer

Drei Jahreszeiten gebe es im Norden Kaliforniens, so witzelt man: Juli, August und Regen. Bei schlechtem Wetter sind relativ wenige Touristen im "Sequoia National Park" unterwegs, um mit ihrem Auto durch einen Tunnel der besonderen Art zu fahren: durch einen ausgehöhlten Mammutbaum, auch Redwood genannt.

Abseits der Straße gibt es keine Wege mehr, nur umgestürzte Stämme voller Farne und Moose, ab und an ein Vogelzwitschern aus der Ferne – und eine Handvoll Wissenschaftler, die mit Seilen und Karabinerhaken zu einer außergewöhnlichen Expedition starten.

Sie wollen ökologisches Neuland im amerikanischen Hinterhof entdecken, wollen die pflanzlichen Wolkenkratzer erklimmen, um mehr vom Artenreichtum über ihren Köpfen zu erfahren.

Vor allem die Kronen der gemäßigten Regenwälder im Pazifischen Nordwesten – also in den US-Bundesstaaten Kalifornien, Oregon und Washington sowie in der kanadischen Provinz British Columbia – sind für die Forscher noch ökologisches Neuland.

Ob es mit einem Gasballon, riesigen Kränen oder der menschlichen Muskelkraft erreicht wird: Das Ziel lohnt sich. Rund 80 Meter über der Erde, mitten in den tief hängenden Wolken, entzieht sich vieles dem Blickfeld des Menschen, der ja schon vom mystischen, scheinbar undurchdringlichen Dschungel am Boden ziemlich beeindruckt ist.

Verborgene Welten

In den Wipfeln existieren verborgene Welten, unsichtbar für die Waldwanderer tief unten am Boden. Denn hier, in 100 Metern Höhe, türmen sich Moose, Pilze und Flechten auf den Ästen zu kleinen, bis zu 30 Zentimeter hohen Miniatur-Landschaften.

Die sogenannten Aufsitzerpflanzen (Epiphyten) auf den Baumriesen sind keine lästigen Schmarotzer und saugen somit nicht am Lebenssaft ihrer Wirte.

Im Gegenteil: Nicht nur im tropischen Regenwald, sondern auch in der gemäßigten Zone im Westen der USA ist der Boden unter den Baumriesen von starken Niederschlägen ausgewaschen und relativ nährstoffarm.

Und so strecken beispielsweise die für ihre Kronenflora berühmten Oregon-Ahorne ihre Wurzeln nicht nur in Richtung Grundwasser, sondern zapfen auch die dünne Erdschicht an, die sich nach vielen Jahren aus den abgestorbenen Pflanzenteilen der Epiphyten gebildet hat – eine Symbiose der besonderen Art, die vermutlich erst in einem viele Jahrhunderte alten Wald entstehen kann.

Eine Gruppe Mammutbäume im Sequoia National Park in Kalifornien.

Mammutbäume gehören zu den höchsten Gewächsen der Erde

Tiere in schwindelnden Höhen

Stören keine Holzarbeiter das Ökosystem, dann tummeln sich in den Urwäldern Nordamerikas Hunderte von Insekten- und Spinnenarten, die auf den bewachsenen Stämmen oder in totem Geäst Refugien gefunden haben. Flughörnchen und Kolibris, Truthahngeier und Kolkraben suchen viele Stockwerke über dem Boden nach Nahrung.

Nur selten stoßen Ornithologen indes noch auf ein Nest eines Marmelalks: Die scheuen Vögel müssen inzwischen bis zu 100 Kilometer weit fliegen, um ihrem Nachwuchs frischen Fisch aus dem Pazifik aufzutischen – viele ursprüngliche Brutreviere an der Küste sind inzwischen zerstört.

Die Abholzung des Waldes schreitet im Nordwesten der USA und in der kanadischen Provinz British Columbia voran, die Holzwirtschaft ist ein wichtiger Wirtschaftszweig.

Dem sind vor allem die riesigen Redwood-Bäume zum Opfer gefallen: Mehr als 95 Prozent des einstigen Bestands wurde vernichtet, heute kann man die pflanzlichen Majestäten fast nur noch in Nationalparks bewundern.

Quelle: SWR | Stand: 07.07.2020, 12:20 Uhr

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