
Katalonien
Antoni Gaudí – Architekt des "Modernisme"
Phantasievolle Fassaden, verspielte Dächer und farbenprächtige Mosaike – seine Bauwerke machten den Künstler Antoni Gaudí i Cornet weltberühmt. Er ist der bekannteste Vertreter des Modernisme, einer katalanischen Strömung des Jugendstils.
Von Claudia Heidenfelder
Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts erblühte die sehr eigene Stilrichtung des Modernisme in Katalonien. Barcelona war das Zentrum des spanischen Jugendstils und bis heute sind zahlreiche Bauwerke aus dieser Zeit in der ganzen Stadt zu bewundern.
Aus kleinen Verhältnissen
Antoni Gaudí wird am 25. Juni 1852 in Reus geboren, einer kleinen Stadt in der Nähe von Tarragona. Als Sohn eines Kupferschmiedes wächst er in bescheidenen Verhältnissen auf. Schon als Kind plagt ihn der Rheumatismus, die Schmerzen begleiten ihn sein Leben lang.
Die Krankheit hält den jungen Antoni davon ab, mit anderen Kindern auf der Straße herumzutoben. Die Ärzte verschreiben eine strenge Diät und gemäßigte Bewegung. So durchstreift er auf langen Spaziergängen die Gegend – eine für das 19. Jahrhundert recht ungewöhnliche Beschäftigung.
Während seiner Schulzeit in Reus beginnt Gaudí, sich für Architektur zu interessieren. Mit 17 Jahren geht er schließlich zum Studium der Architektur nach Barcelona. Während seiner Studienzeit lebt Gaudí in bescheidenen Verhältnissen und verdient sich nebenbei etwas Geld in den Büros einiger Architekten.
Ein sehr eigener Stilmix
Großen Einfluss auf die damalige Architektur hat die Lehre des französischen Denkmalpflegers Viollet-le-Duc (1814-1879). Dieser propagiert den Stil einer "Neuen Gotik", warnt aber vor einer unkritischen Übernahme alter Modelle. Stattdessen spricht er sich für eine Analyse großer Bauten der Vergangenheit aus. Aus ihr sollen neue Erkenntnisse für eine Architektur der Gegenwart gezogen werden.
Diese Theorie setzt Gaudí in die Praxis um. Bereits als Student zeigt sich seine Neigung, verschiedene Stile zu vermischen und so Bauwerke von ganz eigenem Charakter zu schaffen. Besonders gute Zensuren trägt ihm das nicht ein. Zumindest erhält er für eine seiner Abschlussarbeiten – ein Entwurf für eine Aula der Universität – gerade eben die Note "Bestanden".

Gaudí entwickelte einen sehr eigenen Stil
Der Auftrag
Gaudí ist 1883 in der breiten Öffentlichkeit noch unbekannt. Die ersten spektakulären Gebäude – die Casa Vicens, das Landhaus El Capricho und der Palacio Güell – hat er noch nicht in Angriff genommen, da erhält er seinen bedeutendsten Auftrag: den Bau der Sagrada Família, der Kathedrale der Heiligen Familie.
Im November 1883 übernimmt Gaudí dieses Projekt von Francisco del Villar, der sich mit den Auftraggebern überworfen hat. Dieser Auftrag wird ihn sein ganzes Leben lang beschäftigen, die letzten Jahre sogar ausschließlich.
Eine "Kirche für die Armen" will der ehrgeizige Architekt erbauen, la Sagrada Família soll als einzigartig und revolutionär in die Architekturgeschichte eingehen. Typisch für die Arbeitsweise Gaudís ist, dass er die Pläne während der Bauarbeiten mehrfach ändert und neu entwickelt.
Die finanziellen Mittel, die sich hauptsächlich aus Spenden zusammen setzen, sind begrenzt. So entstehen zu Lebzeiten Gaudís nur Krypta, Apsis, Weihnachtsfassade und einer der Glockentürme.
Nach Gaudís Tod beginnt der Streit, ob und wie das grandiose Bauvorhaben weitergeführt werden soll. Ab 1952 wird die Passionsfassade hinzugefügt, 1954 die Grundmauern der Westfassade (Passionsfassade) in Angriff genommen. Zum 50. Todestag Gaudís werden die Turmspitzen an der Westfassade vollendet.
Insgesamt sind es heute acht Türme, die hoch über die Stadt hinausragen. Noch immer ist Antoni Gaudís Lebenswerk unvollendet, Baukräne und -gerüste umsäumen das meistbesichtigte Denkmal Barcelonas.

Das ewige Projekt - La Sagrada Família
Der Mäzen
Eine private Bekanntschaft beeinflusst Gaudís Werk beinahe so lange wie der Bau der Kathedrale. Auf der Pariser Weltausstellung, wo einige seiner Projekte zu sehen sind, lernt er den Textilfabrikanten Eusebi Güell i Bacigalupi (1846-1918) kennen. Der kultivierte Industrielle wird zum Freund und Förderer des jungen Architekten.
1886 beginnt Gaudí mit dem Wohnhaus Güells, das er zu einem Palast ausweitet. Statt mit einem fertigen Plan an die Realisierung des Projekts zu gehen, entwickelt er diesen bei den Bauarbeiten ständig weiter.
Seine eigenartige Arbeitsweise erinnert an Pflanzen, die sich während ihres Wachstums ständig verändern. Typisch für ihn ist auch die Mischung verschiedener Stilelemente. Unbekümmert mixt er Metallornamente im Jugendstil, an Gotik erinnernde Spitzbögen, maurische Fliesenornamente und skurrile Figuren, die seiner Fantasie entspringen. Für Eusebi Güell entwirft Gaudí auch einen Weinkeller in Garraf und den fantastischen Parc Güell.

Der Parc Güell - Ruheoase mitten in Barcelona
Kunst zum Wohnen
Ein weiterer Auftraggeber Gaudís ist der Industrielle Josep Batlló, dessen Wohnhaus er komplett umgestaltet. Die Casá Batlló mit ihrem drachenähnlichen Dach ist für damalige Verhältnisse ein kühner und revolutionärer Bau.
Sein größtes Wohnhausprojekt beginnt Gaudí 1906 mit der Casa Milà, die vier Jahre später fertig gestellt wird. Die eigentümliche Fassade sorgt nicht nur für Begeisterung, sondern auch für Spott. "La Pedrera" – Steinbruch – lautet schnell der Spitzname für das ungewöhnliche Gebäude. Es wird Gaudís letzter weltlicher Bau. 1914 beschließt er, sich nur noch der Kirche Sagrada Família zu widmen.

Steinbruch lautet der Spitzname für das Casa Milà
Am 7. Juni 1926 wird Gaudí bei einem Spaziergang von einer Straßenbahn erfasst. Drei Tage später stirbt er im Hospital de la Santa Creu in Barcelona. Die ganze Stadt ist in tiefer Trauer. Tausende geben ihm die letzte Ehre.
Die Regierung hat seine Beisetzung in der noch unvollendeten Kirche Sagrada Família angeordnet, der Papst seine Einwilligung gegeben. Antoni Gaudí findet seine letzte Ruhe dort, wo er die meiste Zeit seines Lebens gearbeitet hat.
Quelle: SWR | Stand: 08.07.2020, 12:20 Uhr